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Ausgabe:

März/2017

Spalte:

233–234

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Herberg, Lea, u. Sebastian Holzbrecher [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Theologie im Kontext des Ersten Weltkriegs. Aufbrüche und Gefährdungen.

Verlag:

Würzburg: Echter Verlag 2016. 271 S. = Erfurter Theologische Schriften, 49. Kart. EUR 16,00. ISBN 978-3-429-03950-9.

Rezensent:

Martin Greschat

Der Band versammelt sieben Beiträge einer wissenschaftlichen Tagung des Theologischen Forschungskollegs der Universität Er­furt aus dem Jahr 2014 zum Ersten Weltkrieg.
Zunächst zeigt Dominik Burkard, dass die vielgestaltigen Zu­stim­mungen zum Krieg bzw. dessen Verteidigung sich aus genuin katholischen theologischen Einsichten und Überzeugungen ableiten ließen (11–63). Sehr ausführlich schildert sodann Peter Cornehl in der Konzentration auf zwei Theologen das Spektrum der protes­tantischen Positionen im Weltkrieg: hier der Hof- und Domprediger Bruno Doehring als Repräsentant der öffentlich dominierenden kriegerischen Gesinnung, dort der liberale Professor für Praktische Theologie Otto Baumgarten als Vertreter einer schmalen Minderheit. Eingebunden ist diese Gegenüberstellung in die Thematik »Rausch« 1914 und »Realität« ab 1917. Dieses reizvolle Unterfangen argumentiert allerdings eher idealtypisch als historisch. Das intensive Bemühen des Verfassers, die liberale Theologie an­hand der Ausnahmegestalt Baumgartens zu würdigen, blendet weitgehend aus, dass er keineswegs als Repräsentant des theologischen Liberalismus gelten kann. Dieses Feld war breit und reichte über Martin Rade und Adolf Harnack bis zu Karl Holl und schließlich Gottfried Traub, der in seinen »Eisernen Blättern« bis zuletzt einen leidenschaftlichen Chauvinismus vertrat. Darin stand er den Ausführungen Doehrings in nichts nach. Sodann steigerte der deutsche Protestantismus im Jubiläumsjahr der Reformation trotz der skizzierten Veränderung der Lage seine Militanz zu einer hemmungslosen Verherrlichung des »deutschen Luthers«, der sich unerschrocken einer Welt der Feinde mit unbändiger Kampfesfreude und eiserner Willenskraft entgegenstellte. Hierbei trug die Person des Reformators unverkennbar die Züge Hindenburgs, der am 2. Oktober 1917 seinen 70. Geburtstag feierte. Selbstverständlich kann es nicht darum gehen, die zuerst von Günter Brakelmann dargelegte herausragende theologische und politische Leistung Baumgartens zu schmälern. Repräsentativ für den deutschen Protestantismus in der Kriegs- und Nachkriegszeit war er leider nicht.
Die Bedeutung von Paris als geistigem und theologischem Zentrum der russischen Diaspora skizziert Sebastian Rimestad (155–170). Letztlich verband diese Persönlichkeiten jedoch vor allem »eine Schicksalsgemeinschaft« (170). Thomas Ruster erläutert, weshalb Katholiken ohne allzu große Skrupel gegen ihre Glaubensbrüder kämpfen konnten: Diese galten eben jeweils als Katholiken, die vom wahren Glauben abgefallen waren (171–203). Ähnliches ließe sich im Blick auf Protestanten sagen! Der Nationalismus überwucherte nahezu alles. Lea Herzberg schildert überzeugend die Übertragung des Geschlechterbildes auf die Theologie und liturgische Frömmigkeit Odo Casels (205–230): Christus ist der Starke, der heldische Kämpfer, Maria bzw. die Kirche dagegen sind die Schwachen, die wesenhaft Passiven. Theologisch ging es dabei um die Betonung des Vorrangs der Gnade im Glauben und Leben der Kirche. Gleichzeitig richtete sich diese »Verquickung von Frauen- und Kirchenbild« (229) jedoch auch gegen weibliche Emanzipationsbestrebungen: »Frauen sollen sie bleiben, Gefäße der Demut und Agape, lauschend, nicht redend, hingebend, nicht herrschend« (222).
Einige Hinweise auf Léon G. Dehon und die von ihm gegründete Kongregation der Herz-Jesu-Priester bietet David Neuhold (231–250). Christian Stoll schließlich veranschaulicht die Problematik der Ekklesiologie Karl Adams. Sein Verständnis der Kirche als »Idee« einer wesenhaften katholischen Gemeinschaftsform, die allerdings immer vollkommener in »Erscheinung« treten müsse, fand in Adams 1924 erschienenem »Wesen des Katholizismus« weite Verbreitung und große Zustimmung. Er kompromittierte diese Wirkung jedoch durch die Verbindung jener »Idee« mit dem nationalsozialistischen Aufbruch. Adam zielte nun auf ein Verhältnis der Ergänzung beider für die Gestaltung einer lebendigen religiös-katholischen Volksgemeinschaft. Von der in diesem Beitrag dargelegten theologischen Problematik ist nichts zurückzunehmen. Doch ergänzend sei auf die Anziehungskraft solcher Gedanken auf junge katholische Soldaten im Weltkrieg hingewiesen (vgl. etwa K.-Th. Schleicher/H. Walle [Hrsg.], Aus Feldpostbriefen junger Chris­ten 1939–1945. Stuttgart 2005). Hier rückten katholische Überzeugung und nationalsozialistisches Gedankengut gewiss nahe aneinander, aber doch durchweg so, dass die katholische Überzeugung dominierte, aber intensiv nach einer neuen, kraftvollen »Erscheinung« der Kirche suchte.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die in diesem Band versammelten Beiträge einmal mehr belegen, wie anregend und fruchtbar Untersuchungen zum Umfeld des Ersten Weltkriegs nach wie vor sind.