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Ausgabe:

März/2017

Spalte:

219–221

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Winter, Bruce W.

Titel/Untertitel:

Divine Honours for the Caesars. The First Christian’s Responses.

Verlag:

Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2015. X, 338 S. Kart. US$ 35,00. ISBN 978-0-8028-7257-9.

Rezensent:

Stefan Krauter

Der römische Kontext des Neuen Testaments rückt vor allem in der englischsprachigen Forschung neben dem antik-jüdischen und hellenistischen Kontext immer stärker in den Fokus des Interesses. Einen wichtigen Aspekt, den Umgang der ersten Christen mit der kultischen Verehrung der römischen Principes, untersucht Bruce W. Winter im vorliegenden Band. Seine Grundthese ist, dass der Kaiserkult für die frühen Christen ein schwerwiegendes Problem gewesen sei, weil er mit der ausschließlichen Verehrung des einen Gottes und des einen Herrn Jesus Christus unvereinbar war (Kapitel 1: 1–19).
In einem ersten Teil gibt W. einen überaus kundigen, die aktuelle historische Forschung einbeziehenden Überblick über die kultische Verehrung der römischen Principes (Kapitel 2–4: 23–93) und über jüdische Formen des Umgangs mit ihr (Kapitel 5: 94–123). Auch wenn man vielleicht nicht jede superlativische Formulierung (»all-pervasive«, »inescapable«) teilen möchte, ist dieser Teil eine gelungene Darstellung über den Kaiserkult und seine große Bedeutung für die Herstellung politischer Loyalität im Römischen Reich.
Schwierig ist allerdings W.s Schlussfolgerung, die ihn zu seiner Grundthese führt: Er sieht zwischen dem Kaiserkult und den zentralen christlichen Glaubensvorstellungen einen grundlegenden Widerspruch, und daraus schließt er, dass der Kaiserkult für die ersten Christen ein Problem gewesen sein muss (47: »this had to be a major issue for the first Christians«). Das ist aber nicht die Herangehensweise eines Historikers: Der untersucht die Quellen nach klaren Hinweisen darauf, dass der Kaiserkult für die ersten Chris­ten tatsächlich ein Problem war. Hier liegt die grundlegende Schwierigkeit des zweiten Teils von W.s Werk.
In diesem untersucht W. mehrere Passagen des Neuen Testaments auf mögliche Verbindungen zum Kaiserkult (Kapitel 6: 127–165, die Areopagrede; Kapitel 7: 166–195, den Prozess gegen Paulus vor Gallio; Kapitel 8: 196–225, die Ausführungen über die Teilnahme an Opfermahlzeiten im 1. Korintherbrief; Kapitel 9: 226–249, den Streit über die Beschneidung im Galaterbrief; Kapitel 10: 250–265, den Aufruhr um Paulus und Silas in Thessaloniki in Verbindung mit 2Thess 2,4; Kapitel 11: 266–285, den Hebräerbrief und Ka­pitel 12: 286–306, die Johannesapokalypse – die Auswahl wird nicht näher begründet, ein zusammenfassendes Schlusskapitel fehlt). Auch wenn W. in manchen Fällen bedenkenswerte Thesen vorbringt, bleibt dieser Teil des Buches insgesamt unbefriedigend.
Das beginnt damit, dass er extrem schlecht lektoriert ist: Die Zahl der fehlerhaften griechischen und lateinischen Zitate übersteigt bei Weitem die Zahl der korrekten. Fehlende oder falsche Akzente, sinnentstellende Buchstabenverwechslungen, ungenaue und sogar schlicht falsche Übersetzungen finden sich auf fast jeder Seite. Das ist bei einem Autor, der im Vorwort ausdrücklich auf die Wichtigkeit des fachgerechten Umgangs mit Primärquellen hinweist, sehr irritierend.
Ein erstes methodisches Problem ist, dass W. unreflektiert neutestamentliche Texte als historische Faktenaussagen nimmt. So werden etwa die Areopagrede und weitere Passagen der Apostelgeschichte ohne Weiteres zu Primärquellen über Paulus, und Apk 13,16 wird zum Beleg, dass tatsächlich alle Bewohner Kleinasiens den Namen des Kaisers auf ihre Stirn und ihre rechte Hand schreiben mussten.
Noch schwerer wiegt ein zweites methodisches Problem: W. neigt dazu, aus assoziativen Ähnlichkeiten zwischen epigraphischen, dokumentarischen oder literarischen Quellen zum Kaiserkult und den betreffenden neutestamentlichen Passagen weitreichende Schlüsse zu ziehen. Ein Beispiel kann das verdeutlichen: W. stellt die These auf, dass es bei dem Konflikt um die Teilnahme an Opfermahlzeiten in Korinth vor allem um die Teilnahme an Festen zu Ehren des Princeps ging. Das ist durchaus eine diskussionswürdige These. Insbesondere behauptet W. allerdings, dass der Begriff daimonia in 1Kor 10,20 f. auf den Kult des genius Augusti hinweise. Als Argument führt er sehr verschiedene Texte an, in denen daimon das griechische Äquivalent von genius ist (214–221), und fährt dann ohne weitere semantische Analyse von 1Kor 10,20 f. fort mit »having established to whom Paul was referring« (222). Ähnliche Fehlschlüsse finden sich häufig.
Ein drittes grundlegendes Problem des Buches ist W.s bereits in früheren Publikationen vorgebrachte Erklärung für die Debatten im Urchristentum über die Beschneidung: Er geht davon aus, dass Juden eine rechtliche Freistellung von der Pflicht zur Teilnahme am Kaiserkult besaßen. Die Attraktivität der Beschneidung für frühe Christen habe also darin bestanden, sich unter das Dach einer juristisch abgesicherten religio licita zu begeben. Das ist in zweierlei Hinsicht eine gewagte These: Eine juristisch greifbare Freistellung der Juden vom Kaiserkult lässt sich in den Quellen nicht belegen. Dass Konversion zum Judentum ein rechtlich sicherer und sozial verträglicher Weg zur Vermeidung der Teilnahme am Kaiserkult gewesen wäre, ist unplausibel. In der Apostelgeschichte wird Paulus regelmäßig als jüdischer Aufrührer angeklagt und vertrieben. Viele Quellen weisen darauf hin, dass wie auch immer geartete »missionarische« Aktivitäten von Juden sofort unterbunden und mit Ausweisungen geahndet wurden.
W.s Fragestellung ist sinnvoll und wichtig. Sein Ansatz, neueste historische Erkenntnisse zur kultischen Verehrung der Principes und vor allem zahlreiche Primärquellen heranzuziehen, ist begrüßenswert. Seine Grundthese führt allerdings – zusammen mit der das ganze Buch unterschwellig durchziehenden negativen Wertung des Kaiserkults und positiven Wertung des frühen Christentums – trotz mancher guter Ideen zu einer wenig plausiblen Deutung der neutestamentlichen Texte. Insgesamt bleibt das Buch daher leider unbefriedigend.