Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

März/2017

Spalte:

215–217

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Ellis, Nicholas

Titel/Untertitel:

The Hermeneutics of Divine Testing. Cosmic Trials and Biblical Interpretation in the Epistle of James and Other Jewish Literature.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2015. XIII, 275 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 396. Kart. EUR 79,00. ISBN 978-3-16-153491-1.

Rezensent:

Susanne Luther

Die Studie von Nicholas Ellis nimmt die Frage nach der Vorstellung der göttlichen Prüfung des Menschen im Jakobusbrief als Ausgangspunkt und untersucht die göttliche, satanische und menschliche Rolle im kosmischen Drama sowie die hermeneutischen Implikationen für die Rezeption alttestamentlicher Versuchungserzählungen im Jak. Die Monographie basiert auf der überarbeiteten Dissertation des Vf.s, die an der Faculty of Theology der University of Oxford von Markus Bockmuehl betreut wurde.
Die Studie gliedert sich in drei Teile: Teil I (Kapitel 1–3) bietet einen Überblick über die Forschungsgeschichte zum Thema »Prüfung/Versuchung« im Jak und legt Ansatz und Methodik dar. Kapitel 1 diskutiert die einschlägigen Verse zum Thema πειρασμός/ πειράζειν in Jak 1,2 f. und 1,12–14 sowie die Verweise auf alttestamentliche Versuchungserzählungen, vor allem auf die Bindung Isaaks in Jak 2,21–24 und auf Hiob in Jak 5,9–11 vor dem Hintergrund der Auslegungsgeschichte. Daraus wird die These entwickelt: »I suggest that an analysis of two related features that run throughout the Epistle’s discourse may offer a way forward: (1) the metaphor of cosmic drama, specifically within the divine law-court; and (2) the interpretation of biblical narratives of probation« (27). In Kapitel 2 wird die Methodik dargelegt: In Bezug auf die historische Situation des Jak nimmt der Vf. an, dass das Schreiben im 1.–2. Jh. n. Chr. verfasst wurde, »(t)he author was likely circumcised and Thora-observant, as was his audience. The letter’s purpose was to engage with the socio-religious circumstance of certain Jewish Diaspora communities« (40). Davon ausgehend erstellt er ein Corpus von Vergleichstexten aus dem griechisch-hellenistischen Judentum, die vor allem hinsichtlich der dramatis personae im Kontext von Prüfung und Gericht sowie hinsichtlich der Rezeption und Interpretation alttestamentlicher Prätexte zur Prüfung analysiert werden sollen, um als Folie für die Auslegung des Jak zu dienen. Kapitel 3 weist auf zwei für die Studie relevante Forschungsdiskurse hin: auf Meira Kenskys Studie (Trying Man, Trying God, 2010) zu göttlichen Gerichtsszenen u. a. in der frühjüdischen Literatur sowie auf die Rolle des Yetzer hara in der jüdischen Anthropologie.
Teil II (Kapitel 4–8) stellt Analysen eines breiten Spektrums der jüdischen Literatur des antiken Mittelmeerraums bereit. Kapitel 4 zeigt anhand der Gattung der Rewritten Bible (Jubiläenbuch, 4Q255, L. A. B.) auf, dass in der himmlischen Gerichtsszenerie Gott als Richter, eine satanische bzw. dämonische Figur als Ankläger (ὁ πειράζων) und der Mensch als Angeklagter gezeichnet werden. Zudem zeigt sich die Tendenz, Gottes Verantwortlichkeit zu negieren; unter diesem hermeneutischen Vorzeichen wird auch die Bindung Isaaks rezipiert. Im Sirachbuch (Kapitel 5) übernimmt die Weisheit die Rolle des ὁ πειράζων. Sirach weist eine Verantwortlichkeit Gottes zurück und betont die menschliche Entscheidungsfähigkeit; das Dämonische wird als dem Menschen inhärent wahrgenommen, Adam und Abraham dienen als Modellfiguren. Kapitel 6 untersucht das exegetische Werk Philos von Alexandrien, das eine Distanz zwischen dem transzendenten Gott und der Ursache und Verantwortlichkeit des Bösen schafft; Philo verortet das Böse im irrationalen Teil der menschlichen Seele und bestreitet den Einfluss externer dämonischer Mächte. Adam, Abraham und Mose werden als Beispielfiguren herangezogen. Das metaphorische Gerichtsszenario in den Pseudoklementinischen Homilien (Kapitel 7) verzeichnet eine Kontroverse zwischen den Dienern Gottes und Satans; als Gegner Gottes ist der Satan ὁ πειράζων des Menschen, das Böse bzw. Dämonische wird als externe Macht imaginiert, zugleich unterliegen die Taten eines Menschen dessen eigener Verantwortung. Als leitendes hermeneutisches Prinzip gilt: Biblische Texte, die nicht Gottes Gerechtigkeit bekennen, sind als »satanically induced test of faith« (122) zurückzuweisen. Die in Kapitel 8 untersuchten rabbinischen Quellen betonen die Gerechtigkeit Gottes und schreiben dem Yetzer eine zentrale Rolle in der Verantwortung für das Böse zu. Die Erzählungen um Abraham und Hiob vertreten vorbildhafte anthropologische Positionen. Wenngleich die Kriterien für die Auswahl der Vergleichstexte nicht offengelegt werden und die Analyse umfassender Textbereiche zum Teil gering bemessen scheint (vor allem Philos Werk), kann der Vf. in Teil II aufzeigen, dass hellenistisch-frühjüdische Texte die Tendenz aufweisen, die Verantwortlichkeit Gottes zu negieren und seine Integrität und Gerechtigkeit zu betonen. Dahingegen zeichnet sich in Bezug auf die kosmischen Agenten und die Objekte der Prüfung ein breites Spektrum an Positionen ab, ebenso hinsichtlich der hermeneutischen Prinzipien in der Rezeption atl. Prüfungserzählungen.
Im Teil III (Kapitel 9–10) der Studie wird der Jak als eine letzte jüdische Perspektive in den Kontext der vorangegangenen Analysen gestellt. Kapitel 9 richtet den Fokus auf die Metapher des göttlichen Gerichtssaals im Jak, insbesondere hinsichtlich der beteiligten dramatis personae, und verweist auf ein Zusammenspiel der göttlichen, übernatürlichen und menschlichen Einflüsse: »James recognizes a divine role within the heavenly court, but mitigates the divine role as ὁ πειράζων through a combination of an elevated anthropology and heightened demonology« (182). Diese Position wird in Analogie zu Traditionen der Rewritten Bible sowie der rabbinischen Literatur gelesen. In Kapitel 10 wird das jak Verständnis des kosmischen Dramas auf seine Interpretation alttestamentlicher Prüfungserzählungen appliziert, auf die Paradieserzählung (Jak 1,13–18), die Bindung Isaaks und die Hiobserzählung. Wie in den antiken jüdischen Vergleichstexten lässt sich aufzeigen, dass auch im Jak die als proble-matisch erachteten kosmischen und anthropologischen Aspekte der alttestamentlichen Erzählungen (Gott als Versucher Abrahams, Hi­obs Reaktion gegenüber Gott) assimiliert und zu einer ›Jobraham‹-Erzählung, einer idealen Prüfungserzählung, umgeformt werden. In dieser intra-kanonischen hermeneutischen Strategie erkennt der Vf. das Anliegen des Autors, gemäß seinen theologischen Überzeugungen einen perfekten geprüften Menschen und einen perfekten gerechten Gott zu konstruieren, indem er in beiden alttestament-lichen Erzählungen die problematischen Aspekte unterdrückt und die positiven kombiniert und hervorhebt. Ein kurzes zusammenfassendes Kapitel legt die Ergebnisse dar: Gott ist Richter im himm-lischen Gerichtshof (Jak 2,12; 4,12), die Prüfung wird entweder der menschlichen Konstitution (1,14–15; 3,5–8) oder externen übernatürlichen Mächten (2,19; 3,15; 3,5–8) zugeordnet. Dieses Szenario hat Auswirkungen auf die jak Anthropologie und Kosmologie, denn »James constructs a perfect, tested man who remains unswerving in religious loyalties despite common, demonically inspired indictments against the perfect, tested God« (237).
Die Studie geht präzise auf die zentrale Fragestellung nach der Konzeption von πειρασμός/πειράζειν und dem kosmischen Drama im Jak ein, bietet eine sorgfältige Analyse des Textbefundes und stellt die Ergebnisse in den Kontext verschiedener in der antiken jüdischen Literatur vertretener Konzeptionen. Der Vf. kann die Position des Jak überzeugend darlegen und erschließt in differenzierter Weise dessen hermeneutische Strategie in Bezug auf die Rezeption alttestamentlicher Prüfungserzählungen. Die vorliegende Studie bietet einen relevanten Beitrag zu unterschiedlichen Aspekten der aktuellen Forschungsdiskussion, indem die Fragen nach der historischen Verortung des Textes, den hermeneutischen Prämissen, der Rezeption traditionellen Textmaterials sowie der Verwendung ethischer Begründungsstrategien aufgegriffen und unter einer themenbezogenen Perspektive neu beleuchtet werden.