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Ausgabe:

März/2017

Spalte:

212–214

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Breytenbach, Cilliers

Titel/Untertitel:

Grace, Reconciliation, Concord. The Death of Christ in Graeco-Roman Metaphors,

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2010. XIV, 368 S. = Supplements to Novum Testamentum 135. Geb. EUR 145,00. ISBN 978-90-04-18608-8.

Rezensent:

Thomas Knöppler

Im Jahr 1989 publizierte Cilliers Breytenbach seine Habilitationsschrift zum Thema der Versöhnung und löste damit eine leidenschaftlich geführte Diskussion aus. Mit dem vorliegenden Sammelband, der, in vier thematische Einheiten gebündelt, sechzehn Beiträge umfasst, wendet sich B. erneut der paulinischen Soteriologie zu. Neben den Aufsätzen, die 1990 bis 2009 verstreut in Zeitschriften, Tagungsbänden und Festschriften auf Englisch oder Deutsch publiziert wurden, finden sich auch vier bislang unveröffentlichte Beiträge. Den Zusammenhang der in diesem Band versammelten Studien erläutert eine Einleitung (1–7). Drei Indizes schließen den Band ab (351–368).
Im ersten Teil geht B. mit fünf Beiträgen auf das vorpaulinische und paulinische Verständnis des Todes Christi ein und führt damit die Diskussion um seine Habilitationsschrift weiter. Der erste Aufsatz fasst die Gründe für eine klare Differenzierung des Vorstellungsgehalts der Begriffe »Versöhnung, Stellvertretung und ›Sühne‹« (11) zusammen (11–33). Der nächste Beitrag bietet Argumente für das Verständnis von hilaskesthai als Gnädigstimmen, Gnädigwerden und Gnädigsein sowie für die Eigenständigkeit der (vor-) paulinischen Hingabe- und Sterbeformeln gegenüber der Vorstellung von Sühne (35–58). Im Anschluss führt B. in die paulinischen »für uns«-Wendungen ein (59–81). Er vertieft dies durch einen Blick auf die frühchristlichen Hingabeformeln mit Sündenterminus (83–94) und eine Analyse von Tradition und Redaktion der Sterbeformeln (95–126).
Im zweiten Teil befasst sich B. mit weiteren soteriologischen Termini in den Paulusbriefen. Anhand der Rede von Gottes Barmherzigkeit betont er die Relevanz alttestamentlicher Toratexte für Paulus (129–148). Es folgt eine Analyse von 1Thess 1,2–10, die demonstrieren soll, wie Paulus die Gemeinde zur Verehrung des wahren Gottes geführt habe (149–169). Ein weiterer Beitrag konzentriert sich auf Hintergrund und Gehalt der paulinischen Versöhnungsaussagen (171–186). Sodann beleuchtet B. die Rede vom Triumph Gottes in 2Kor 2,14–16b (187–205). Die beiden letzten Beiträge dieses Teils beziehen sich auf den Röm: Auf die Interpretation der Begriffe charis und eleos (207–238) folgen Beobachtungen zum Verständnis der Zeit und der Hoffnungsgewissheit (239–256).
Im dritten Teil thematisiert B. die nachpaulinische Soteriologie. Er beleuchtet die Rezeption frühjüdischer Traditionen in den Aussagen zum Leiden Christi im 1Petr (259–277), stellt das frühchristliche Verständnis von Sündenvergebung dar (279–295) und klärt den Hintergrund der Rede von kosmischer Eintracht in 1Clem 20,3 (297–311).
Der vierte Teil der Sammlung handelt von zwei Aspekten der südafrikanischen Paulusinterpretation. Dabei wird die christliche Identität anhand der paulinischen Anthropologie reflektiert (315–335) und die Bedeutung der Gal-Auslegung von Bernard Lategan gewürdigt (337–350).
Zweifelsohne hat B. mit diesem Aufsatzband bedeutende Beiträge zur Soteriologie der paulinischen Tradition vorgelegt. Wer immer an Fragen der vorpaulinischen, paulinischen und deuteropaulinischen Soteriologie interessiert ist, wird seine Argumentationen mit Spannung verfolgen. Die entschiedene Trennung von philologischem Vorkommen und deutenden Begriffen zwingt zum genaueren Hinsehen. Eine Auskunft über den differenzierten Zusammenhang von Stellvertretung, Sühne und Versöhnung ist von B. dagegen nicht intendiert. Die Stärke seiner Ausführungen liegt eher in der Analyse, weniger in der Synthese. Dem Rezensenten drängen sich vor allem zum ersten Teil des Bandes folgende Beobachtungen und Rückfragen auf:
1. Es gab und gibt durchaus gute Gründe für B.s Forderung einer terminologischen Differenzierung zwischen »Versöhnung, Stellvertretung und ›Sühne‹« (11–33) in der neutestamentlichen Exegese. Denn nicht selten werden diese Begriffe unbesehen miteinander kombiniert und die soteriologischen Aussagen etwa in Jes 53 mit Sühne identifiziert. Freilich klingt es etwas pauschal, wenn B. als Anlass »an unfortunate confusion in the German research on the topic« (5) feststellt und »the German concept of ›Sühne‹« (ebd.) der Kritik unterzieht. Neben verschiedenen deutschen nennt er auch einige englischsprachige Exegeten (99–103), die von solcher confusio exegetica befallen seien.
2. Als Basis einiger wichtiger Aussagen des Paulus über Gott macht B. Texte aus der Tora geltend (129–148). Auch der »Gedanke, daß die menschliche Sünde den Tod nach sich zieht, es sei denn, Gott greift ein, läßt sich nur von altisraelitisch-jüdischen Voraussetzungen her verstehen« (23). Dem ist vorbehaltlos zuzustimmen. Daraus ergeben sich aber kritische Rückfragen: Warum sollten diese Voraussetzungen nicht auch für den positiven Gehalt der Sterbe- und Hingabeformeln in Anschlag gebracht werden? Wieso sollte im Gegensatz dazu die Soteriologie des Paulus primär profan-griechischen Vorstellungen entstammen? Und warum wird der Rekurs auf Toratexte als Grundlage neutestamentlicher Sühneaussagen als »ahistorischer« (35) Bezug abqualifiziert?
3. In seiner Habilitationsschrift konnte B. zu Röm 3,25 f. noch konstatieren: »Der Ort der sühnenden Gegenwart Gottes ist nicht mehr im Allerheiligsten, sondern besteht im Gekreuzigten selbst« (B., Versöhnung, 168). Und im vorliegenden Band konzediert er immerhin, dass Röm 3,25 und Hebr 2,17 auf das kultische Ritual am Jom Kippur (Lev 16,14 ff.) zurückgreifen (33.51). Liegt es angesichts dieser Einsichten wirklich so fern, hilasterion in Röm 3,25 mit »Sühneort« (so etwa Janowski, Sühne, 362; Wilckens, Römer I, 183) zu übersetzen? B. gibt hilasterion stattdessen mit »Ort der Gnade« (32 f.) wieder. Er tendiert offensichtlich zu einer Vermeidung des Sühnebegriffs (s. 12 [Anm. 9].25.46–52.109 f.). Damit überbietet er sein ohnehin schon restriktives Verfahren mit den »soteriologischen Metaphern« (103), die er allein im Fall terminologisch entsprechender Belege im auszulegenden Text anwenden will.
Ist solches Vorgehen aber wirklich zwingend? Was spräche eigentlich dagegen, metaphorische Begriffe aufgrund einer präzisen, an biblischen Texten erarbeiteten Definition auch auf diejenigen Texte anzuwenden, in denen zwar der konkrete Terminus fehlt, aber ein entsprechender Sachgehalt formuliert ist? Zum Vollzug der Sühne jedenfalls lassen sich in den biblischen Texten bestimmte Termini und theologische Aussagen eruieren, die zum thematischen Umfeld gehören.
4. Ebendiesen Weg geht B. im Fall des Begriffs der Stellvertretung. Aus dessen Fehlen in der biblischen Tradition zieht er keineswegs die Konsequenz, sich auch dessen Gebrauch als Deutungskategorie zu versagen. B. sieht ihn vielmehr philologisch an eine Reihe von charakteristischen Wendungen bei Paulus angebunden und erkennt dabei an, dass »solche heuristischen Hilfskategorien verständnisfördernd sein« (25) können. In späteren Beiträgen (59–126) verzichtet B. jedoch weitgehend auf die Anwendung dogmatisch vorgeprägter Begriffe (s. 75.102 f.), stellt die Möglichkeiten des Verständnisses damit aber unter erhebliche Einschränkungen.
5. Abschließend ist zu fragen, ob Ferdinand Hahn, dem der Aufsatzband von B. gewidmet ist, nicht doch Recht hatte: »Das Sühneverständnis in urchristlichen Texten ist entscheidend von der alttestamentlichen und frühjüdischen Tradition geprägt. Nur von diesem Hintergrund her läßt sich die Eigenart der auf Jesu Tod bezogenen Sühneaussagen verstehen.« (Ders., Theologie II, 385)