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Ausgabe:

März/2017

Spalte:

205–207

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Stone, Timothy J.

Titel/Untertitel:

The Compilational History of the Megilloth. Canon, Contoured Intertextuality and Meaning in the Writings.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2013. XIII, 258 S. = Forschungen zum Alten Testament. 2. Reihe, 59. Kart. EUR 64,00. ISBN 978-3-16-152375-5.

Rezensent:

Beate Ego

Die Dissertation von Timothy J. Stone, die am St. Mary’s College an der University of St. Andrews unter Betreuung von Nathan McDonald entstand, verdankt sich einem kanonischen Zugang, der versucht, die Bedeutungsdimension der biblischen Bücher im Kontext ihrer aktuellen Anordnung in MT bzw. in Kanonlisten aufzude-cken. Innerhalb dieses breiten Rahmens widmet sich der Vf. hier den sogenannten Megillot, also den Büchern Ruth, Ester, Hoheslied, Kohelet und Klagelieder, die ihrerseits ihren Platz in dem dreigeteilten Kanon der Hebräischen Bibel in den sogenannten Ketuvim (»Schriften«) haben.
Kapitel 1 »Canon and Compilation« (10–33) legt die hermeneutischen Grundlagen, wobei Brevard Childs’ Ansatz eines »canonical approach« und die Erforschung des Zwölfprophetenbuches und des Psalters die Basis bilden. So lassen sich verschiedene Kriterien herausarbeiten, welche die Relation zwischen einzelnen Büchern genauer zu bestimmen vermögen. Grundsätzlich wird versucht, zwischen hauptsächlich intertextuellen Bezügen allgemeiner Art und Verbindungen zu unterscheiden, die auf eine Art Bewusstsein einer Sammlung (»collection-conscience«) schließen lassen. Wichtige Textsignale, die auf kompilatorische Prozesse schließen lassen, sind Schlüsselbegriffe an den »Rändern« der benachbarten Bücher, Rahmungen, Überschriften und thematische Korrespondenzen, sei es in der Form von Fortsetzungen oder scharfen Kontrasten zwischen benachbarten Büchern.
Kapitel 2 »The Collections of the Writings in Antiquity« untersucht die allgemeinen geschichtlichen Bedingungen des Kanonisierungsprozesses der Hebräischen Bibel. Dabei kann der Vf. deutlich machen, dass der Abschluss des Kanonteils der Schriften eng mit dem des alttestamentlichen Kanons generell verbunden ist. Der dreiteilige hebräische Kanon war wohl zu einem Zeitpunkt deutlich vor dem Ende des 1. Jh.s n. Chr. abgeschlossen (cf. Josephus; 4Esra).
In Kapitel 3 »The Arrangements of the Writings in Antiquity« (79–117) stellt der Vf. fest, dass die Ordnung der Schriften bereits vor der Erfindung des Codex eine Rolle spielte, u. U. hat bereits die Anordnung der Schriften in der Tempelbibliothek einen entscheidenden Einfluss auf diese innere Struktur ausgeübt, und die Einführung des Codex stabilisierte diese. Vor dem 11. Jh. n. Chr. erscheinen im We­sentlichen nur zwei verschiedene Anordnungen der biblischen Bü­cher, nämlich die des MT und die des Traktates des Babylonischen Talmud Baba Bathra (bBB 14b), wobei der Vf. deutlich macht, dass bBB 14b eine an chronologischen Kriterien orientierte Überarbeitung des MT darstellt. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist die Anordnung der biblischen Bücher in MT am besten durch ihre kanonischen Assoziationen in den Schriften zu erklären. Nach Meinung des Vf.s ist das Arrangement in MT die älteste uns vorliegende Anordnung in der hebräischen Tradition. Die Gruppierung der Megillot in MT ist somit nicht als Ergebnis einer liturgischen Praxis zu verstehen, wenn sie auch zu einer liturgischen Lesung aller fünf Bücher beigetragen haben mag.
Nach diesen allgemeinen Ausführungen folgen konkrete Fallbeispiele, wenn sich der Vf. dem Buch Ruth (118–139), dem Buch Ester (140–181) sowie der Compilation der übrigen Megillot Hoheslied, Prediger und Klagelieder (182–207) zuwendet und zeigt, welche Implikationen die kanonische Position eines Buches für den Sinngehalt der einzelnen Bücher hat. Hier sei stellvertretend auf das Esterbuch verwiesen: Die Logik der Beziehung der Abfolge »Klagelieder« zu »Ester« in MT wiederum erklärt sich dadurch, insofern Ester die Infragestellung der Macht und Treue Gottes, wie sie in den Klageliedern laut wird, beantwortet. Eine enge Verbindung besteht auch zu Daniel 1–6, insbesondere zu Dan 1, das eine Reihe von narrativen Analogien zum Esterbuch aufweist (cf. insbesondere die Elemente der sogenannten »Hofgeschichten«). Verglichen mit Daniel und seinen Freunden erscheinen Ester und Mordechai in einem negativen Licht, da sie den Eindruck erwecken – so der Vf. –, Gott vergessen zu haben. Klagelieder und Daniel, die beide die Königsherrschaft Gottes als Thema haben, bilden zudem auch einen Rahmen um das Esterbuch, so dass Gottes Wirksamkeit im Hintergrund aller Geschehnisse gleichsam implizit zum Ausdruck kommt. In diesem Kontext möchte der Vf. sogar vermuten, dass das Esterbuch für diese Position im Kanon geschrieben wurde oder doch zumindest eine redaktionelle Überarbeitung erfahren hat und nie eine Aussage außerhalb des entsprechenden Kontexts haben sollte (181). Mit großer Wahrscheinlichkeit wurde das Esterbuch von seiner ursprüng-lichen Position in MT vor Daniel in bBB 14b direkt hinter Daniel gestellt, um der antiken Auffassung von der Datierung der Bücher gerecht zu werden.
Die Arbeit schließt mit einer kurzen Zusammenfassung (208–212). Insgesamt postuliert der Vf., dass die fünf Megillot durch die sie in der kanonischen Anordnung umgebenden Schriften zusammengehalten werden, »by the gravitational pull exerted by the wisdom corpus on the one side and the national-historical corpus on the other: Ruth’s primary connection links it with proverbs and even though Esther has some specific thematic links to Lamentations 5, its primary connections are to Daniel 1–6. Lamentations is pulled in the direction of the national-historical corpus as is the Song and Ecclesiastes to Proverbs and possibly larger wisdom corpus that may include Job« (211). Es wird betont, dass die Sammlung der Schriften weder randständig sei noch eine Anthologie darstelle, sondern vielmehr als Ergebnis eines bewussten Kompilationsprozesses anzusehen sei: »like a curated exhibition in which works of art are arranged carefully in relationship to one another. Or better, a mosaic in which tiles of different shapes and colors taken together from a larger, if complicated, pattern« (211).
Nach dieser knappen Zusammenfassung seiner Ergebnisse weist der Vf. am Ende dieser Studie auf sich daran anschließende Forschungsfragen, so z. B., dass die Verbindung von Hoheslied, Kohelet und Klagelieder weiterer Untersuchungen bedarf. Eine ausführliche Bibliographie (215–240) und verschiedene Indizes beschließen die Arbeit (243–258).
Die Ausführungen zum Kanonisierungsprozess der einzelnen Schriften sind insofern innovativ, da hier auch die Reihenfolge der einzelnen Bücher im Hinblick auf ihr Bedeutungspotential in den Blick genommen wird, und die Dimensionen, die der Vf. hier freilegt, sind durchaus verblüffend. Allerdings wäre hier doch noch deutlicher zwischen der Sinnebene an sich und der intentio auctoris zu trennen. An dieser Stelle wäre es sicher auch hilfreich, auf die Polysemantik der Texte zu verweisen, die dann durch jeweilige Kontextualisierungen in eine bestimmte Richtung fokussiert werden. Dass das Esterbuch für den hier vorliegenden Kontext geschrieben wurde sowie die negative Zeichnung der Protagonisten Mordechai und Ester erscheint im Hinblick auf das ganz eigene sprachliche Gepräge des Buches und die Darstellung der Figuren sehr unwahrscheinlich. Dennoch: Alles in allem ist dies ein anregendes Buch, das einen neuen und lohnenden Blick auf die biblische Überlieferung erschließt.