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Ausgabe:

März/2017

Spalte:

185–188

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Pummer, Reinhard

Titel/Untertitel:

The Samaritans. A Profile.

Verlag:

Grand Rapids u.a.: Wm. B. Eerdmans 2016. 376 S. Kart. US$ 30,00. ISBN 978-0-8028-6768-1.

Rezensent:

Benedikt Hensel

Reinhard Pummer hat sich schon seit mehreren Jahrzehnten in der wissenschaftlichen Erforschung der samarischen JHWH-Verehrer verdient gemacht. Es ist schön zu sehen, dass der lang erwartete Band nun endlich vorliegt, der so etwas wie eine »Gesamtbiographie« der samaritanischen Gemeinde von der Antike bis in die heutige Zeit ist. Ganz nebenbei gelingt es P., die wichtigen Erkenntnisse der vergangenen Dezennien aus seinen diversen Einzelpublikationen in diesem Band verfügbar zu machen und in eine konzise Zusammenschau im Sinne einer Religions- und Kulturgeschichte der Samaritaner zu überführen.
Entscheidend in der Bewertung der samarischen JHWH-Verehrer ist die Frage nach deren religiöser Identität. Der Hauptvorwurf gegenüber den Samaritanern, der sich bis in die Neuzeit hineinzieht, ist derjenige, dass selbige eine multi-ethnische und -religiöse Mischkultur darstellten, die (spätestens) nach dem Untergang des Nordreichs 722 v. Chr. allerlei synkretistische Praktiken pflegten, es sich bei den Samaritanern also nicht mehr um »Israeliten« im Vollsinne handle, wenn überhaupt um eine »jüdische Sekte«, also eine Art Deviation der (ebenfalls vorausgesetzten) nach-exilischen Jerusalemer Orthodoxie. Diese Sicht ist, so die Forschung der vergangenen drei Dezennien, im Wesentlichen polemischen Literaturen zu verdanken (namentlich Josephus).
P. beginnt seine Studie mit einer Spurensuche nach Indikatoren für eine religiöse Identität der Samaritaner (Kapitel I, 9–25) und arbeitet dabei sehr gründlich zunächst die Selbsteinschätzung der Samaritaner auf. Diese sehen sich selbst als »Israeliten« und das Ju­dentum als Produkt einer Abgrenzungsbewegung von sich selbst. Auf jüdischer Seite sieht man die Beziehungen genau umgekehrt (»jüdische Sekte«) und verortet die samaritanischen Anfänge im 4. Jh. v. Chr. (Josephus). Die moderne Forschung oszilliert zwischen beiden von der Tradition vorgegebenen Modellen. Gerade dieser Teil ist äußerst gelungen, auf dem neuesten Publikationsstand und schlägt eine ausgezeichnete Schneise in die geradezu überbordende Literatur zum Thema. P. votiert abschließend mit guten Gründen dafür, dass »the Samaritans are not a sect that broke off from Judaism, but rather a branch of Yahwistic Israel in the same sense as the Jews.« Dieser Einschätzung ist voll zuzustimmen, wenn sie auch in der Forschung bisher (noch) zu selten geteilt wird.
Die beiden folgenden Kapitel (Kapitel II, 26–35, und Kapitel III: 36–46) beschäftigen sich mit den Bezeugungen der Samaritaner in der Bibel. Im Alten Testament finden diese auch in den (mehrheitlich) judäisch-jüdischen Geschichtsnarrationen an der Textoberfläche keine Erwähnung, sondern nur chiffriert. 2Kön 17 spricht vom Untergang des Nordreichs, den assyrischen Deportationen und den Rekolonisierungsprozessen des späteren Samaria – ein grundlegender Text für die anti-samaritanische Polemik in exi-lischer oder nach-exilischer Zeit (30). Entgegen der älteren Forschung, die die Chroniktexte mehrheitlich als anti-samaritanisch eingestuft hat, entfaltet P., orientiert am Status quo der Forschung, dass die Chronik ein panisraelitisches Konzept vertritt, welches auch den Norden, also Samaria einschließt. Anders verhalte es sich bei Esra-Nehemia, wo stark gegen die Samaritaner polemisiert zu werden scheint. Im Neuen Testament begegnen die Samaritaner in den Evangelien regelmäßig, und zwar schon als Randgruppe. Sehr spannend ist das Unterkapitel zu möglichen Einflüssen samaritanischer Gruppen auf die Verschriftungsprozesse des Neuen Testaments (44–46). Hier könnte belegt sein, welche Bedeutung die Sa­maritaner noch zu neutestamentlicher Zeit hatten, wobei allerdings ein hohes Maß an Hypothesenbildung zu akzeptieren ist.
Die Sicht auf die Samaritaner der Antike wird komplettiert mit einem Kapitel zur antiken jüdischen Literatur und deren Sicht auf die Samaritaner (Kapitel IV, 47–73). Es handelt sich bei dieser Literatur um die deuterokanonischen Schriften Jesus Sir 50,25F (hebräische und LXX-Rezension), 2Makk 5,22 f.; 6,1 f. sowie Qumrantexte, Flavius Josephus und rabbinische Literatur. Dabei wird wieder deutlich, dass die polemischen Texte erst recht spät anzusetzen sind, im Grunde erst mit der Zeitenwende. Dies rüttelt durchaus an der derzeit in der Forschung immer noch favorisierten Darstellung des Josephus, welche Zerrüttungen zwischen den beiden Jahwismen sowie gegenseitige Polemik bereits für die persische Zeit voraussetzt.
Die in Kapitel V (»Archaeological Excavations«, 74–118) präsentierten detail- und kenntnisreichen Besprechungen der Ausgrabung vom Garizim sowie der Synagogen im palästinischen Kernland und in der samaritanischen Diaspora geschehen gründlich und zeugen von der jahrzehntelangen vertiefenden Beschäftigung P.s mit der Materie. Das Kapitel demonstriert eindrücklich die Vielfalt und Verbreitung samaritanischer Gemeinden in der Antike. Man vermisst allerdings die von Jürgen Zangenberg begonnene und noch nicht abgeschlossene Debatte über das im Grunde ar­chäologisch nicht nachweisbarer Tempelgebäude auf dem Garizim. Die Infragestellung eines samaritanischen, perserzeitlichen Heiligtums durch Zangenberg tut dem Wert des Befundes keinen Ab­bruch, da meiner Meinung nach in den Weihinschriften des Ga-rizim sehr deutlich ein gebäudehaftes Heiligtum vorausgesetzt ist; doch ist die Diskussion in dieser Frage noch nicht zu Ende ge­führt.
Einblick in die Vielfalt samaritanischer Identität gibt auch das anschließende Kapitel über die unterschiedlichen samaritanischen Sekten aus der Kirchenväterliteratur (Kapitel VI, 119–127). Der Band weitet seinen Blick auch bis in die Moderne. Dies geschieht mit Kapitel VII (»The Samaritans in History« [hellenistische Zeit bis Moderne], 128–169) und VIII (»Geographical Distribution and Demography«, 170–194) in einem sehr gut informierten und konzise präsentierten Geschichtsblick, in dem die vielen Umbrüche der samaritanischen Gemeinschaft aufgeführt werden, die im ausgehenden 19. Jh. beinahe zu einem völligen Verschwinden der Ge­meinschaft geführt hätten.
Der Samaritanische Pentateuch steht im Zentrum der aktuellen wissenschaftlichen Debatte um die Entstehung der Tora in nach-exilischer Zeit (Stichwort »Gemeinsamer Pentateuch«). P. greift hier den aktuellen Forschungsstand auf (Kapitel IX, 195–218), diskutiert die in letzter Zeit verstärkt in den Fokus gerückte sogenannte proto- bzw. prä-samaritanische Textgruppe sowie – und dies ist besonders verdienstvoll – die Entstehung der samaritanischen Schrift sowie die Geschichte der Erforschung des Samaritanischen Pentateuchs in der Moderne.
Dem in der Forschung häufig vernachlässigten Studium der samaritanischen, mehrheitlich arabischen Traditionsliteratur und ihren sprachlichen und stilistischen Eigenarten widmet sich P. im folgenden Kapitel (Kapitel X, 219–256) und lässt so auch das religiöse Eigene der samaritanischen Gemeinschaft zur Sprache kommen.
Faszinierend zu lesen ist das Kapitel über die samaritanischen Bräuche und Rituale bis in die heutige Zeit (Kapitel XI, 257–288), denen meines Wissens bisher kaum Aufmerksamkeit im akademischen Rahmen gewidmet wurde. Die letzten Kapitel lassen die Leserschaft mit »The Samaritans today« (Kapitel XII, 289–301) und »New Challenges« (Kapitel XIII, 302–306) dann vollends in der heutigen Zeit ankommen und geben vor allem demographische Einblicke in die verschwindend kleine Gruppe am Garizim beim heutigen Nablus und in Holon bei Tel Aviv.
Eine ausführliche Bibliographie, sowie diverse Indizes beschließen diesen ausgezeichneten Band.
Man kann diesen Gesamtentwurf zu den Samaritanern voll und ganz empfehlen. Für den Neuling in der Materie bietet er einen wohlstrukturierten, sehr gut lesbaren Aufriss der wichtigsten Fragestellungen zu den Samaritanern, der nicht nur über die Antike gründlich zu informieren weiß, sondern – und dies ist eine der großen Stärken des Bandes – der auch eine Gesamtschau samarita-nischer Geschichte, Tradition und damit Identität wagt, die es in dieser ausführlichen Form bisher noch nicht gegeben hat. Die Sa-maritanerforschung ist inzwischen keine randständige Disziplin mehr, leidet aber m. E. derzeit noch darunter, hoch spezialisiert zu sein und in der alttestamentlichen Diskussion deswegen nur am Rande wahrgenommen zu werden. Diesem Buch gelingt es, dieses Problem durch seine konzise Darstellung zu überwinden. Dem Fachmann bietet das Buch hingegen eine forschungs- und publikationsaktuelle Darstellung der wichtigsten Fragestellungen zu den Samaritanern und zu den aktuellen Debatten, die man getrost schon jetzt als Standardwerk der Samaritanerforschung bezeichnen darf. Um dieses Buch und den dort formulierten Status quo wird in Zukunft niemand umhinkommen, der sich eindringlicher mit der Garizim-Gruppe beschäftigen will.