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Ausgabe:

November/1999

Spalte:

1127 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Østenstad, Gunnar H.

Titel/Untertitel:

Patterns of Redemption in the Fourth Gospel. An Experiment in Structural Analysis.

Verlag:

Lewiston-Queenston-Lampeter: Edwin Mellen Press 1998. XXX, 370 S., 1 Farbtaf. gr.8 = Studies in the Bible and Early Christianity, 38. ISBN 0-7734-8396-9.

Rezensent:

Jörg Frey

Das Alterswerk des pensionierten norwegischen Geistlichen Ø. will durch strukturanalytische Beobachtungen zur Erschließung der theologischen Mitte des vierten Evangeliums beitragen. Bereits vor Jahren hatte Ø. die Frage nach der literarischen Struktur des Joh in einem Aufsatz thematisiert (G. Ø., The Structure of the Fourth Gospel: Can it be Defined Objectively?, StTh 45, 1991, 33-55), nun bestimmt er die vermeintliche Struktur im Detail und interpretiert das Evangelium auf der Basis dieser Beobachtungen.

Methodisch basiert Ø. auf den Arbeiten von N. W. Lund (Chiasms in the New Testament, Chapel Hill 1942; 2. Aufl. Peabody 1992) und R. Meynet (L’Analyse rhétorique - une nouvelle méthode pour comprendre la Bible, Paris 1989), d. h. er sucht - und findet - im ganzen Joh eine durchgehend konzentrische bzw. symmetrische Struktur. Im Gegensatz zu anderen strukturanalytischen Arbeiten (wie z. B. G. Mlakuzhyil, The Christocentric Literary Structure of the Fourth Gospel, AnBib 117, Rom 1987) rechnet Ø. nicht mit einer Vielzahl von strukturrelevanten Textelementen, sondern setzt voraus, daß der Evangelist - wenn er sein Werk tatsächlich planvoll strukturiert hat - nur ein einziges Strukturprinzip zur Anwendung brachte, das der chiastischen Ringkomposition, um auf diese Weise seine inhaltlichen Akzentsetzungen zu verdeutlichen.

Ø.s Analyse bietet sich das Joh als durchgehend (bis in Halbverse) konzentrisch strukturiertes Ganzes dar (s. die graphische Textdarbietung, 290-345), gegliedert in 21 Textsequenzen, die je heptadisch (A B C D C’ B’ A’) oder pentadisch (A B C B’ A’) gegliedert sind und sich im Joh zu sieben Teilen zusammenfügen (s. die Tabelle, 28 f.). Dabei erweist sich für Ø. auch Joh 21 als integraler Bestandteil des siebten Teils (Joh 20,1-21,25), dessen Zentrum oder Wendepunkt er in Joh 20,25-31 sehen will. Selbst die textlich sekundäre Perikope Joh 7,53-8,11 würde perfekt in das symmetrische Schema passen, was Ø. zu der Vermutung veranlaßt, daß der Schreiber, der die Perikope eingefügt hat, die vom Evangelisten konzipierte thematische Struktur genau erkannt haben muß (29 Anm. 40). Die strukturellen Beobachtungen haben für Ø. also auch die Aufgabe, die literarische Einheit des Joh zu erweisen.

Die konzentrische Struktur läßt nach Ø. auch die thematische Einheit des Joh erkennen, da in konzentrischen Kompositionen die Hauptthemen zumeist im Zentrum stehen, ggf. weiter akzentuiert durch Korrespondenzen in den Rahmenteilen (12). Im Zentrum der einzelnen Abschnitte des Joh und an weiteren kompositionell hervorgehobenen Stellen findet Ø. nun jenes Thema, das er mit der "Objektivität" seiner strukturellen Aufweise als soteriologisches Anliegen des Joh erweisen will: die Darstellung Jesu als des "neuen Tempels".

Es ist hier nicht möglich, die Interpretation einzelner Abschnitte näher zu beleuchten, die Ø. - unter sehr selektiver Herranziehung der exegetischen Literatur - vorwiegend auf der Basis seiner Strukturbeobachtungen vornimmt. Eine präzise Einzelexegese wird nicht vorgeführt, weil Ø. den Gedankengang des Textes, wie er sich in der linearen Bewegung der Lektüre darbietet, grundsätzlich den "graphischen" konzentrischen Strukturen unterordnet. Damit kann er zwar auf manche textlichen Korrespondenzen und Akzentuierungen aufmerksam machen, aber der konkrete Sinn, die intendierte Aussage der Teiltexte bleibt oft unpräzise unter der Reihe soteriologischer Motive verborgen, die Ø. unter dem Stichwort des "neuen Tempels" subsumiert.

Entscheidend ist die Beurteilung der von Ø. herausgearbeiteten Textstruktur, die zunächst durch ihre Geschlossenheit durchaus zu faszinieren vermag. Bei längerem Hinsehen erweckt sie allerdings immer stärker den Eindruck, daß sie doch nicht so ausschließlich der kompositorischen Begabung des Evangelisten, sondern wenigstens ebenso sehr dem inventiven und kombinatorischen Genie seines Interpreten entsprungen sein dürfte. Denn viele der von Ø. behaupteten Entsprechungen werden nicht sprachlich aufgewiesen (wie z. B. anhand des Gebrauchs derselben Wörter oder semantischen Felder), sondern sie ergeben sich aus inhaltlichen Bestimmungen, die ja nur passend gewählt werden müssen, um "perfekte" Strukturen zu ergeben.

Methodisch unangemsessen ist vor allem die Beschränkung auf nur ein kompositionelles Schema und ein einziges strukturbildendes Merkmal. Dadurch bleiben viele, für den Text des Joh wichtige Gliederungssignale (chronologische, topographische, szenische Gliederungen, aber auch Parallelismen, Stichwortanknüpfungen u. a.) unbeachtet, und die im linearen Fluß der Lektüre zu erschließende Denkbewegung des Textes wird nicht zur Geltung gebracht. Die Beobachtung chiastischer Strukturen, die für einzelne Teiltexte des Joh durchaus erhellend sein kann, wird so zu Tode geritten. Ø.s "Experiment in Structural Analysis" ist deshalb zum Scheitern verurteilt, weil es in seiner methodischen Einseitigkeit die Wirklichkeit des auszulegenden Textes verfehlt. Der Ertrag für die Beschreibung der johanneischen Soteriologie des Evangeliums ist daher, bedingt durch die methodischen Mängel, ebenfalls gering.