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Ausgabe:

Januar/2017

Spalte:

142–144

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Eppler, Wilhelm [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Fundamentalismus als religionspä-dagogische Herausforderung.

Verlag:

Göttingen u. a.: V & R unipress 2015. 281 S. m. 3 Abb. Geb. EUR 45,00. ISBN 978-3-8471-0419-3.

Rezensent:

Bernhard Dressler

Dieser Sammelband, dessen Beiträge mehrheitlich aus dem Um?feld der CVJM-Hochschule Kassel stammen, macht ratlos. Und er ist ärgerlich. Schon der Titel ist eine Irreführung. Ein großer Teil der Beiträge hat keinerlei religionspädagogischen Bezug. Wo ein solcher dann doch versucht wird, kann er gegenüber der völligen Disparatheit des Gegenstandes »Fundamentalismus« nur abstrakt-allgemein bleiben. Wie soll auch ein gemeinsamer religionspäda?gogischer Bezug auf die folgende, sich über die Buchbeiträge verteilende Phänomen-Vielfalt denkbar sein: Salafismus und Rechtse xtremismus, libanesische Selbstmordattentate und Geschichte des schiitischen Islamismus, Radikalitätsaffinität der Jugendkultur, zionistischer Messianismus und ultraorthodoxer Antizionismus, um nur die wesentlichen Aspekte zu nennen, die hier unter dem »Fundamentalismus«-Etikett zusammengebracht werden. Ganz davon zu schweigen, wie die eher unter der Hand genannten Aspekte eines christlichen Fundamentalismus (der ja auch keine einheitliche Strömung ist) zu alldem in Beziehung zu setzen sind. Vor der Verwendung des Fundamentalismus-Begriffs als einem »deklassierenden Allostereotyp« warnte schon der Schweizer Religionswissenschaftler Fritz Stolz vor über 25 Jahren, leider vergeblich.
Dabei mögen einzelne gelehrte Beiträge für Spezialdiskurse in?teressant sein: Micha Brumliks Ausführungen über »zionistischen Messianismus« zwischen Mittelalter und Gegenwart, Friedrich Erich Dobberahns Analyse der Entstehung und jahrhundertelangen Entwicklung des »schiitischen Islamismus« (»Verlust und Rückeroberung der Heilsgeschichte«), vielleicht auch noch Chris?tiane Schurian-Bremeckers Beitrag zur »Bedeutung von Ritualen für Gemeinschaften« (»Warum sich der Schäfer der Gemeinde Affaltersbach dem Abendmahl verweigerte«). Was sie mit dem Buchtitel zu tun haben, bleibt, wie gesagt, rätselhaft. Das gilt auch für die Beziehung der (für sich genommen sachlich durchaus interessanten und fundierten) exegetischen Ausführungen von Thomas Pola über »Gewalt und ihr Ende in der biblischen Apokalyptik« zur Realität gegenwärtiger religionspädagogischer Problemlagen. Das »ha?bitus- und feldtheoretische Forschungsprogramm« von André Armbruster (»Zur Komplexität religiös-fundamentalistischer Selbstmordattentate«) hat leider gewisse Zukunftsaussichten, aber was hat es mit – sagen wir – dem religionsdidaktischen Problem des Umgangs mit biblizistischen Positionen im Religionsunterricht oder auch nur mit dem Islamismus im deutschen Schulalltag zu tun?
Es wird kaum besser, wenn Florian Karcher (»Jugendkultur, Religion und Fundamentalismus«) den Versuch unternimmt, »Religiosität Jugendlicher heute und ihre Anfälligkeit für Fundamentalismus« zu untersuchen. Seine Diagnose, dass auch jenseits islamistischer Gruppen von einer wachsenden »Anfälligkeit« Jugendlicher für Fundamentalismus gesprochen werden könne, ist doch sehr zu bezweifeln. Er bringt dafür auch keine empirischen Belege, sondern referiert allgemeine Phänomene jugendlicher Radikalität und Religiosität (wie z. B. Synkretismus, Institutionenferne, Eventorientiertheit etc.) aus der einschlägigen jugend- und religionssoziologischen Literatur. Der sich anschließende kurze Regelkatalog unter der Überschrift »Religionspädagogik als Befähigung zur religiösen Freiheit« (175 f.) bleibt abstrakt-allgemein und hat keinen erkennbaren besonderen Bezug zur Fundamentalismusproblematik. Jürgen Eilert (»Fundamentalistische Kommunikation als religionspädagogische Herausforderung – Fundamentalisten sind immer ›die Anderen‹«) versucht immerhin, die Frage »wer ist ein Fundamentalist?« (200) angesichts der Phänomenvielfalt, die im alltagssprachlichen Gebrauch mit diesem Begriff verbunden ist, mit dem Gedanken eines verfehlten »Bezugs auf Übersinnliches« zu beantworten, weil »der weltanschaulich gefestigte Bezug auf übersinnliche Realitäten […] erst im Jugendalter sinnvoll möglich [ist], da erst hier sich das Denken in Möglichkeiten und reinen Negationen entwicklungspsychologisch entfaltet.« Darauf muss man kommen. Solche entwicklungspsychologischen Spekulationen hängen ohne jede empirische Beobachtung in der Luft. Alles, was seit mindestens 25 Jahren über Fundamentalismen als moderne Anti-modernismen und als Verstrickung in moderne kulturelle Problemlagen diskutiert wird, wird souverän ignoriert. Stefan Piasecki (»Medien und Fundamentalismus – eine Herausforderung für die Jugendarbeit«) geht überwiegend der Frage medialer Berichterstattung über fundamentalistische Gewalttaten und deren propagandistisch-mediales Kalkül nach. Die abschließenden kurzen medienpädagogischen Überlegungen weisen indes in ihrer Allgemeinheit keinen Bezug zum Fundamentalismus-Thema auf. Ob man, wie Dietmar Molthagen (»Fundamentalismus und Demokratie – am Beispiel des Salafismus und des Rechtsextremismus in Deutschland«) offenbar meint, dass man geeignete »Präventionskonzepte« im Blick auf so unterschiedliche Phänomene wie Salafismus und Rechtsextremismus entwickeln kann, ist doch mehr als fraglich und kommt über Binsenweisheiten wie die, dass Prävention besser sei als zu späte Intervention, kaum hinaus. Dabei wäre es ja eine wirklich interessante und bislang unbefriedigend gelöste Frage, wie Präventionsmaßnahmen seriös zu evaluieren sind. Für eine muslimische Religionslehrerin, die sich (wahrscheinlich unberechtigte) Vorwürfe macht, weil einige ihrer Schüler sich dem IS angeschlossen haben, sind Präventions-Plattitüden jedenfalls nicht hilfreich.
Wilhelm Eppler untersucht in seinen »hermeneutischen Anmerkungen zur gegenwärtigen Fundamentalismusdiskussion« den Fundamentalismus nicht empirisch oder sozial- und kulturhistorisch, sondern referiert zunächst, was Autoren wie Jan Assmann und Peter Sloterdijk über den Zusammenhang von Monotheismus und Fundamentalismus denken. Er wendet gegen das Schema, wonach die Bändigung des Rückfalls in archaische intolerante Formen von Religion durch die »zivilisierenden Kräfte der Aufklärung« nötig sei (43), ein, dass es insbesondere dem christologischen Kern des Christentums nicht gerecht werde. »Zielführend« dagegen sei eine Hermeneutik eines »reflektierten Verhältnisses zur Bibel«, das den Inkarnationsgedanken mit der Einsicht verbinde, dass mit der Bibel ein Schatz »in irdenen Gefäßen« gegeben sei. In religiösen Lernprozessen entscheidend sei die Unterscheidung »zwischen der Bibel und dem Wort Gottes«. Bildungsprozesse seien in einem »Horizont sinnstiftender Lebensdeutungen« zu gestalten. Das ist religionsdidaktisches Basiswissen. Die »Freiheit vom Zwang zur eigenen Identitätskonstruktion« bedeute auch Befreiung »von einem pathogenen fundamen- talistischen Identitätswahn.« (44) Ob das Religionslehrkräften im Handgemenge ihres Berufsalltags weiterhilft?
Immerhin zwei Beiträge, die dem Buchtitel gerecht werden, enthält der Sammelband: Friedrich Schweitzer skizziert »Wege einer religiösen Erziehung jenseits von Relativismus und Fundamentalismus«, indem er auf eine Unterscheidung des Erziehungswissenschaftlers Dietrich Benner (»fundamental, nicht fundamenta-listisch«) zurückgreift. Das läuft dann im Wesentlichen auf das Mainstream-Programm einer pluralitätsfähigen Religionspäda-gogik hinaus. Die spezifischen didaktischen Probleme, die sich aus der Begegnung mit unterschiedlichen Spielarten eines (christlichen) Fundamentalismus ergeben (und vielleicht doch von Phänomenen wie Biblizismus und Evangelikalismus zu unterscheiden wären), können in dieser Allgemeinheit nicht wirklich konkret erörtert werden. Das ist aber weniger dem Autor Schweitzer als der Konzeption des Sammelbandes anzulasten. Immerhin ist mit dem islamischen Theologen Mouhanad Khorchide noch ein zweiter Autor vertreten, dessen Beitrag (»Islamischer Fundamentalismus in Deutschland: Ein soziales Phänomen? Verunsicherte Identitäten und die Suche nach Anerkennung«) zwar nicht auf religionspä-dagogische Probleme fokussiert ist, aber einen Bezug auf Probleme des islamischen Religionsunterrichts aufweist. Khorchide nimmt vor allem auf die mit der Arbeitsimmigration überwiegend aus der Türkei seit den 1960er Jahren beginnenden Probleme (nicht auf das Flüchtlingsthema) Bezug. Und darauf, dass erst seit dem 11. September 2001 weniger von »Ausländern« als von »Muslimen« gesprochen wird. Seither gilt verstärkt, dass »das Fremdsein zur Identität wird«. Das habe zu einem »Teufelskreis« geführt: »Muslim-Sein wird mit dem ›Fremd-Sein‹ gleichgesetzt, es wird zu einem Identitätsmerkmal.« (99) Dafür schlägt der Autor den interessanten Begriff der »Schalenidentität« vor. Jugendliche, die sich »als unwillkommene Ausländer und als benachteiligte Außenseiter« fühlen, übernehmen einen Islam »ohne Inhalt« (90) und werden anfällig für dessen »politische Instrumentalisierung« und für die Rekrutierung in fundamentalistische Milieus.
Es liegt auf der Hand, dass sich die religionspädagogischen Probleme im christlichen Kontext anders darstellen. Zu bezweifeln ist, ob die unterschiedlichen fundamentalistischen Milieus auf einen Begriff zu bringen sind. Zu disparat sind die unterschiedlichen »Fundamentalismen«, von der Frage einer irgendwie gegenüber dieser Unterschiedlichkeit ein gemeinsames Profil gewinnenden Religionspädagogik ganz abgesehen. Aber nicht einmal ein ernster Versuch in diese Richtung liegt hier vor. Für die christliche Religionspädagogik ist der Fundamentalismus eher ein Randphänomen. Und die Frage ist, ob jene Milieus, in denen enge Formen fundamentalismusaffiner Einstellungen vorherrschen, von den Überlegungen und Argumenten einer solchen Publikation überhaupt erreicht werden.