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Ausgabe:

Januar/2017

Spalte:

137–139

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Welker, Michael [Ed.]

Titel/Untertitel:

Quest for Freedom. Biblical – Historical – Contemporary.

Verlag:

Göttingen (Neukirchen-Vluyn): Vandenhoeck & Ruprecht (Neukirchener Theologie) 2015. 406 S. Kart. EUR 39,00. ISBN 978-3-7887-2831-1.

Rezensent:

Alexander Kupsch

Dieser durchgehend englischsprachige Band stellt Beiträge zusammen, die im Kontext eines mehrjährigen internationalen Forschungsdialogs entstanden sind. Die Beitragenden sind überwiegend in den verschiedenen Disziplinen der Theologie verortet, dazu kommen Beiträge eines Kulturwissenschaftlers und eines Philosophen.
Das in fünf eher lose zusammengebundenen Sektionen perspektivierte Leitthema »Freiheit« wird mit einer Gruppe von Texten er?öffnet, die alle die Rede von Freiheit im Kontrast zu Phänomenen der Sklaverei und Unterdrückung thematisieren. Der konkrete soziopolitische Ort des Freiheitsthemas wird eindrucksvoll durch Ron Soodalters Darstellung moderner Sklaverei markiert, die zwar im öffentlichen Bewusstsein aufgrund klischeehafter Vorstellungen meist als überwunden betrachtet wird, tatsächlich aber als ein globales Problem erdrückenden Ausmaßes erscheint. Auf geschickte Weise ist durch die Vorordnung dieser soziopolitischen Bestandsaufnahme der Sitz im Leben markiert, dem sich auch akademische Bemühungen um das Freiheitsthema nicht entziehen können.
Dem wird Rechnung getragen, indem Freiheit sowohl in den angeschlossenen exegetischen Beiträgen als Befreiung aus Unterdrückung thematisch wird: Manfred Oeming stellt dar, wie zentral Motive von Befreiung aus Sklaverei für die Religion Israels sind – und wie weit die rechtliche und politische Praxis dennoch dahinter zurückbleiben konnte. Die kritische Auseinandersetzung mit Texten von Paulus und der Paulusschule durch Elisabeth Schüssler Fiorenza kommt zu dem Ergebnis, dass die »christliche Freiheit« durch die gleichzeitige Bewahrung der Herrschaftsstrukturen des pater familias nicht zur vollen Realisierung kam, sowohl in den neutes?tamentlichen Texten als auch in ihrer Wirkungsgeschichte. Eine direkte Reaktion auf diese ideologiekritische Lesart findet sich später im Band bei Larry Hurtado: Er gesteht zwar ein, dass von einer Abschaffung des Systems der Sklaverei im Neuen Testament nicht die Rede sein könne, votiert aber dafür, das dort propagierte neue Selbstverständnis der Sklaven als Geschwister auf einer Ebene mit Freien in der ekklesia als nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Überwindung der Sklaverei zu verstehen.
Ein weiterer spannungsgeladener Gesprächsgang ergibt sich zwischen den Beiträgen von Beverly Roberts Gaventa und Hans-Joachim Eckstein einerseits, Katharina von Kellenbach andererseits. Gaventa und Eckstein skizzieren beide das paulinische Freiheitsverständnis als Konzept einer an Solidarität und Gemeinschaft orientierten Freiheit zur Nächstenliebe. Damit bringen sie Paulus polemisch in Stellung gegen ein modern-liberales Freiheitsverständnis, das sich in problematischer Weise auf individualistische Selbstverwirklichung konzentriere. Nach Kellenbach hingegen bringt das dort dargestellte Paradox der Freiheit als Freiheit zum Dienst enorme Gefahren mit sich: Anhand der familienpolitisch konservativen »Manhattan Declaration« weist sie darauf hin, wie die patriarchale Unterordnung der Frau und deren Indienstnahme für die Rolle der gehorsamen Ehefrau und aufopferungsvollen Mutter gerade durch Vorstellungen von Freiheit als Dienst an der Gemeinschaft strategisch legitimiert werden können. An dieser Stelle wünschte man sich noch stärkere Verknüpfungen der konfligierenden Beiträge, die in dieser Form doch recht unverbunden nebeneinanderstehen – zumal sich eine gemeinsame Perspektive in der Verbindung von individuell-emanzipativen mit kommunitär-verpflichtenden Elementen im neutestamentlichen Freiheitsbegriff finden ließe, wie auch bei Hurtado jedenfalls angedeutet wird. Verheißungsvoll ist hier der Beitrag von Dirk J. Smits, der Calvins Freiheitsverständnis als dreidimensionales rekonstruiert: Freiheit als individuelle Freiheit, Freiheit als Freiheit zur Gemeinschaft und Freiheit als Ziel und Ergebnis politischen Emanzipationsstrebens. Damit ist nochmals die Spannung zwischen jenen Beiträgen aufgenommen, die Freiheit vor allem als Aufgabe zur Be?freiung unterdrückter Personen und Gruppen bestimmen, und jenen, die Freiheit hauptsächlich als kommunitäre Zumutung für einen Liberalismus moderner Prägung begreifen. Leider gelingt es hier nicht wirklich, zu tieferen Einsichten zu gelangen, da die an sich hochspannende Fallstudie zu Apartheid und Freiheit in Südafrika dabei stehenbleibt, die faktische Berufung gegensätzlicher Positionen auf das reformierte Freiheitsverständnis als Wirkung seiner »inneren Spannungen und Paradoxien« zu beschreiben.
Zu Klärungen trägt hier die philosophische Analyse des Freiheitsbegriffs durch Reinhold Bittner bei. Er entwirft ein Freiheitskonzept, das strikt am Problem konkreter Freiheitsspielräume orientiert ist und sich stets der Frage stellt, in welcher Form Freiheit eingeschränkt wird und was dagegen zu tun sei. Mit dieser pragmatischen Orientierung knüpft der Beitrag einerseits sinnvoll an die Überlegungen der ersten Sektion an, indem er das Freiheitsthema mit den Wirklichkeiten politischer Unterdrückungserfahrungen verbindet. Andererseits sucht er dichotome Problemstellungen, wie etwa die von negativer und positiver Freiheit, zu überwinden. Völlig unthematisch bleibt allerdings die in anderen Beiträgen zentrale Frage, wodurch menschliche Freiheit in transzendentaler Perspektive bedingt ist – hier hätte man sich wiederum mehr intertextuelle Beziehungen zwischen den Aufsätzen gewünscht, die ja immerhin aus einer realen Dialogsituation hervorgegangen sind.
Insgesamt scheint der Band vor allem in zwei Richtungen vorzustoßen: Zum einen wird mehrfach das Verhältnis von indivi-dueller Emanzipation und Freiheit im Kontext kommunitärer Verpflichtung diskutiert – mit durchaus kontroversen Stellungnahmen. Zum anderen wird das Problem der Freiheit gezielt thematisiert im Umkreis konkreter Unfreiheitserfahrungen und perspektiviert auf die Frage nach Überwindung solcher Unfreiheiten. In diese Linie ließen sich auch die Beiträge zur Geschichte der Menschenrechtserklärungen und deren theologischer Rezeption von Francis Schüssler Fiorenza sowie die luzide Nachzeichnung der Ablösung eines politischen durch einen innerlichen Freiheits-begriff in der Antike bei Peter Lampe einordnen. Einen starken Schlusspunkt setzt hier schließlich der Beitrag des Herausgebers: Michael Welker verankert die Überwindung oppressiver Strukturen theologisch im biblischen Motiv der Ausgießung des Geistes, durch den Gemeinschaften der Freiheit jenseits patriarchalischer, gerontokratischer und nationalistischer Muster konstituiert werden. An dieser Stelle werden also einmal die emanzipativen mit den kommunitären Elementen eines theologischen Freiheitsbegriffs auf überzeugende Weise verbunden. Abseits dieser großen Spuren finden sich außerdem Beiträge, die für sich durchaus lesenswert sind ( F. Nüssel, R. Saarinen), deren innere Verbindung zur Debatte der übrigen Beiträge aber nicht immer von selbst deutlich wird.
Insgesamt zeichnet sich der Band durch die in allen Fällen hohe fachliche Qualität seiner Beiträge aus. Eine etwas sorgfältigere Endredaktion hätte man den Texten deshalb hin und wieder gewünscht. Manche Doppelungen, etwa im exegetischen Bereich, hätte man sich vielleicht sparen können und so Platz schaffen für weitere Beiträge außerhalb der klassischen theologischen Disziplinen. In jedem Fall liegt mit diesem Band eine lesenswerte Sammlung anspruchsvoller Untersuchungen zum Freiheitsproblem vor, die auf gekonnte Weise den thematischen Bogen vom Alten Orient bis in die Debatten der Gegenwart schlägt.