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Ausgabe:

Januar/2017

Spalte:

125–127

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Menke, Karl-Heinz

Titel/Untertitel:

Das unterscheidend Christliche. Beiträge zur Bestimmung seiner Einzigkeit.

Verlag:

Regensburg: Verlag Friedrich Pustet 2015. 588 S. Geb. EUR 39,95. ISBN 978-3-7917-2663-2.

Rezensent:

Wolf Krötke

Titel und Untertitel dieses Buches sind Programm. Das »unterscheidend Christliche« soll als »einzig« zur Darstellung kommen; »einzig« nämlich in dem Sinne, dass es außerhalb des »Christlichen« »keine Gemeinschaft« mit Gott gibt (17). Wer dagegen die »Einzigkeit des Christlichen«, die in der »Einzigkeit« Jesu Christi gründet, relativiert, richtet das »Christliche« selbst zugrunde.
Diese Überzeugung breitet Karl-Heinz Menke in einer Überarbeitung von Aufsätzen aus den Jahren 1998–2015 aus, die er zu einem Werk aus zwei Teilen komprimiert hat (freilich ohne der wissenschaftlichen Pflicht zu genügen, die Umarbeitung der Primärtexte auszuweisen). Der erste Teil handelt in acht Kapiteln vom »Christsein als Darstellung der Einzigkeit Jesu Christi« (21–252). Der zweite Teil besteht aus vier Kapiteln, welche die »Frage (!) nach dem unterscheidend Christlichen« stellen (253–516). Er gehört eigentlich vor den ersten Teil, in dem diese Frage schon entschieden wurde.
Diese Entscheidung lautet: »Das unterscheidend Christliche« be?steht im Geltendmachen der »inkarnatorischen Bewegung« Gottes »von oben nach unten«, welche auf die »Eingestaltung des Chris?ten in Christus« zielt (vgl. 18 f.). Das klingt »barthianisch«. In der Tat wird Karl Barth dafür gelobt, dass er »mehr als jeder andere Theologe vom Offenbarsein Gottes« her gedacht und »den Grund der Schöpfung […] in dem Bund zwischen Gott und Mensch, der in Jesus Christus ›hypostatische Union‹ geworden ist«, gesehen hat. In der »Durchkreuzung aller Gottesbilder«, die »aszendent« entworfen wer?den, wird Barth darum Übereinstimmung »mit Papst Benedikt« bescheinigt (64)! Sie besteht darin, dass der in Israel und in Jesus Christus offenbare trinitarische Gott »vollkommene Liebe ist« (51).
Diese Liebe hat ihr Wesen in der »unbedingte(n) Anerkennung des Selbstseins des Anderen« (ebd.). Das bedeutet – und damit endet die Übereinstimmung mit Barth, aber auch mit Luther und Augus?tin (vgl. 62): Gott bestimmt Menschen nicht nur mit seiner Liebe, sondern will sich auch selbst davon bestimmen lassen, wie Menschen darauf reagieren. Darum gilt: »Zwischen Welt und Gott be?steht […] eine wirkliche Wechselwirkung« (51). »Der trinitarische Gott wartet auf das freie Ja jedes Einzelnen« (106). Denn die Freiheit, in welcher er Menschen schöpferisch werden ließ, besteht darin, Ja oder Nein sagen zu können. Gott kann und will nichts »erzwingen«, wird immer wieder betont (vgl. 51.182–184 u. ö.). Auch »Christus schenkt dem Sünder nicht nur Vergebung, sondern auch die Möglichkeit, Ja oder Nein zu sagen« (150).
Dass Christus uns »schenkt«, zu ihm auch »Nein« zu sagen, ist freilich ein missglückter Ausdruck dessen, dass Gott auf die Sünde von Menschen mit »gekreuzigter Liebe« reagiert (51.82 u. ö.). Gesagt werden soll, dass der Gott, der Liebe ist, nur diese Möglichkeit hat, Menschen zu erreichen (vgl. 81). Im Kapitel über »Christus und das Christentum vor dem Tribunal der Theodizeefrage« (156–197) mitsamt »Exkursen« über »Das Handeln Gottes in der Welt« (198–208) und über das »christliche Menschenbild« (208–225) wird diese Einsicht konkretisiert. In Abgrenzung gegen Reflexionen über die Möglichkeiten einer lieblosen »Allmacht« Gottes wird Jesus Chris?tus so verstanden, dass er die Liebe »in den Abgrund« menschlicher »Sinnlosigkeit« hineinträgt (193). Denn nur er hat »als wahrer Mensch dieselbe Beziehung zum Vater gelebt […], die der innertrinitarische Sohn von Ewigkeit her ist« (vgl. 493.186.191.239.333.413. 439 u. ö.).
Der zweite Teil des Buches wehrt von daher den auch Teile der römisch-katholischen Theologie beeinflussenden »Neuprotestantismus« ab (256–347). Er wendet sich gegen Tendenzen des den Schöpfergott zugunsten des »fremden Gottes« der Liebe negierenden Marcionitismus (348–410). Er negiert eine Geist-Christologie, welche die Inkarnation des trinitarischen Gottes durch die göttliche Inspiration des Menschen Jesus ersetzt (411–450). Schließlich mündet er in ein Kapitel ein, welches dem »Grundanliegen des deutschen Papstes« gilt (451–516). Man kann das ganze Buch von daher beurteilen. Denn es zieht sich als Anliegen des Vf.s durch alle seine Argumentationen. Sein »innerer Kern« ist die »Verschränkung von vertikaler und horizontaler Inkarnation« (493).
Dazu wurde schon ausgeführt: »Der Sünder« muss auch als »Subjekt des Versöhnungsgeschehens« verstanden werden (67), der an ihm mitwirkt, indem die Liebe Gottes in ihm »inkarniert«. Die Inkarnation setzt sich also in den Glaubenden fort (wie z. B. in Edith Stein, 226–255). In ihnen wird die »exklusive Stellvertretung« Jesu Christi zur »inklusiven Stellvertretung« (101). Denn der Gott, der »sich lieber kreuzigen lässt, als irgendetwas mit Gewalt zu erzwingen« (107), braucht Personen, die seine Inkarnation der Menschheit weiter »inkarnieren«. Sie braucht – wie es gegen das »sola scriptura« heißt – nicht ein Buch. Die Bibel ist vielmehr »das kristallin gewordene Glaubensbewusstsein der frühen Kirche und nicht […] Wort Jesu Christi« (458). Zunächst repräsentieren dieses Bewusstsein die Apostel. Aber dann tut das »ein Christi Autorität repräsentierendes Amt« (ebd.). Ihre Träger – die Bischöfe – sind […] irrtumsfreie (!) Zeugen der mit Christus identischen Wahrheit« (460). In ihrem Gefolge sorgen die Gläubigen für die »Christifizierung der Welt« (503).
Als Beispiel solcher »Christifizierung« wird im Eingang des Buches eine Betrachtung der »Reliquien der Goldenen Kammer in St. Ursula in Köln« empfohlen (20). Am Ende aber ist es Maria, die uns als »Ersterlöste« (521) sagt, was bei jeder Taufe geschieht, nämlich »Eingestaltung in den verklärten Leib des zum Vater Erhöhten« (523). Das Buch schließt mit dem Satz: »Als die ganz und gar in Christus Eingestaltete ist sie das Urbild nicht nur der irdischen, sondern auch der vollendeten Kirche (und Menschheit)« (ebd.).
Reliquien am Anfang und Marias Himmelfahrt am Ende – mit dieser Einklammerung des »unterscheidend Christlichen« macht es der Vf. denen, die nicht im römisch-katholischen »Glaubensbewusstsein« beheimatet sind, schwer, in sein Verständnis der Liebe, die Gott ist, einzustimmen. Zudem fehlt dem Offenbarungs- und Trinitätspositivismus des Vf.s die Empathie dafür, warum die Perspektive »von unten« gerade heute in einer Gott entfremdeten Gesellschaft unausweichlich ist. Jesu Menschlichkeit darf theologisch sicherlich als Tor zum Verstehen der Gegenwart Gottes in Anspruch genommen werden. Karl Rahner, Johann Bapist Metz, Hans Küng, Raimund Schwager, Gustavo Guitiérrez, Klaus von Stosch – um von evangelischen Theologen wie Jürgen Moltmann zu schweigen – sollten darum nicht in die Ecke einer das Christentum zugrunde richtenden Theologie getrieben werden.
Am Verstehen der reformatorischen Theologie ist dem Vf. offenkundig auch nicht gelegen. Wie könnte er ihr sonst unterstellen, sie wisse nicht zwischen dem Sünder und der Sünde zu unterscheiden (vgl. 62)? Man kann dergleichen Urteile sicherlich auf das Konto von Vorurteilen schreiben. Gravierender aber ist, dass der Vf. zu meinen scheint, die »Christifizierung« der Welt durch die römisch-katholische Kirche sei die Pointe der Weltgeschichte. Denn in seiner Logik läuft alles darauf hinaus, dass die »Inkarnation« Gottes in Jesus Christus in der »Inkarnation« Gottes in den von Bischöfen orientierten Gläubigen die Welt letztlich durchdringen wird.
Gibt es irgendeinen Text im Neuen Testament, der den Glauben und das Zeugnis von Christinnen und Christen als »Inkarnation Gottes« beschreibt? Gibt es Christinnen und Christen, die sich selbst als »Inkarnation Gottes« verstehen? Diese Fragen stellen, heißt, sie zu verneinen. Dietrich Bonhoeffer hat im »Teilnehmen an der Weite des Herzens Christi« die Zukunft der Christenheit gesehen. Sollte das nicht der Herzschlag der weltweiten Christenheit sein, über deren »Einzigkeit« zu urteilen wir getrost Gott überlassen können?