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Ausgabe:

November/1999

Spalte:

1123–1125

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Hahn, Ferdinand

Titel/Untertitel:

Frühjüdische und urchristliche Apokalyptik. Eine Einführung.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 1998. XIII, 174 S. 8 = Biblisch-Theologische Studien, 36. Kart. DM 39,80. ISBN 3-7887-1667-3.

Rezensent:

Jens-W. Taeger

Der kleine Band, der auf eine Münchener Vorlesung des Vf.s zurückgeht, verfolgt eine doppelte Zielsetzung: er will zum einen überblicksartig die apokalyptischen Schriften und Traditionen vorstellen, zum anderen das Verständnis für das Phänomen der jüdisch-christlichen Apokalyptik fördern, die oft einseitig als Katastrophenschilderung und Zukunftsweissagung wahrgenommen wird. Anders als in dem vor 25 Jahren erschienenen, ebenfalls auf einer Vorlesungsreihe basierenden Band "Die Apokalyptik. Einführung und Deutung" von W. Schmithals (Göttingen 1973), in dem versucht wurde, apokalyptische Vorstellungen und Gedanken im Zusammenhang als Ausdruck eines bestimmten - auch in nichtapokalyptischer Weise ausdrückbaren - Daseinsverständnisses zu erfassen, liegt das Gewicht hier eindeutig auf der Darstellung der apokalyptischen Literatur, der - im Rahmen einer Vorlesung unvermeidlich - knappen Erörterung ihrer inhaltlichen und theologischen Probleme.

Im ersten Teil (1-12), der Grundsatzfragen anspricht und die Forschungsgeschichte skizziert, wird "Apokalyptik" nicht primär von der literarischen Gattung der Schriften her, sondern im weiteren Sinn als eine bestimmte Denk- und Darstellungsweise in den Blick genommen und wesentlich als spezielle Form und Weiterentwicklung der Prophetie verstanden. Der der frühjüdischen Apokalyptik gewidmete zweite Teil (13-91) setzt ein mit Vorformen der Apokalyptik (bei Ezechiel, Deutero-, Tritojesaja, Deuterosacharja, Joel 3 f. sowie Jes 34 f.; 24-27). Breiteren Raum nimmt sodann die Besprechung des Buches Daniel ein, in dem erstmals "die umfassende Schau der Geschichte, die für die voll ausgebildete Apokalyptik zentrale Bedeutung besitzt", begegnet (20). Weiterhin werden die Assumptio Mosis, ausführlich die Henochüberlieferung, 4Esra, die syrische und griechische Baruch-Apokalypse vorgestellt und in ihrer Eigenart charakterisiert. Daß der Vf. Inhaltsübersichten gibt, auf die verschiedenen Textfassungen und Probleme der Textüberlieferung eingeht, Textausgaben und Übersetzungen nennt, ist hilfreich und einer "Einführung" angemessen. In diesem Sinne hätten die Hinweise auf Nachwirkungen und Wiederaufnahmen apokalyptischer Topoi im Neuen Testament sowie die Parallelen und Unterschiede hervorhebenden Querverweise zwischen den Schriften (wie sie z. B. für die Menschensohn-Vorstellung gegeben werden) noch vermehrt werden können. Auch wäre es der erklärten Absicht, eben nicht nur Zugang zu den Texten, sondern ebenso zum Phänomen der Apokalyptik zu verschaffen, zugute gekommen, wenn die (im Danielabschnitt auf wenigen Zeilen abgehandelte [35] und später nur selten gestreifte, zugegebenermaßen weithin nur hypothetisch beantwortbare) Frage nach dem Trägerkreis, der soziologische und zeitgeschichtliche Aspekt doch stärkere Berücksichtigung gefunden hätten (vgl. etwa P. Lampe, Die Apokalyptiker - ihre Situation und ihr Handeln, in: Eschatologie und Friedenshandeln [SBS 101], 1981, 59-114). Schließlich werden noch die kleineren Apokalypsen, apokalyptisch beeinflußte Schriften (darunter kurz die Qumranschriften) und die jüdischen Sibyllinen erwähnt.

Zu Beginn des dritten Teils (92-153), der sich mit der urchristlichen Apokalyptik beschäftigt, wird die in der Tradition theozentrischer apokalyptischer Prophetie stehende Verkündigung Johannes des Täufers dargestellt. Jesus setze ebenfalls "eine theozentrische Eschatologie voraus" und komme "von der Apokalyptik" her (93; ob und wie "Eschatologie" und "Apokalyptik" gegeneinander abzugrenzen sind [vgl. das Nebeneinander der Begriffe im Paulusabschnitt z. B. 99.101.103], wird leider nicht erörtert). Er unterscheide sich jedoch vom Täufer und der Apokalyptik fundamental dadurch, daß er den Anbruch des jetzt schon die Menschen erfassenden endzeitlichen Heils proklamiert, die Zukunftserwartung als dessen Vollendung versteht. Wie diese Sicht auch die urchristliche Verkündigung prägt, apokalyptische Vorstellungen adaptiert und transformiert werden (die Umformung mit Hilfe des im hellenistischen Judentum ausgebildeten Denkens bleibt ausgespart [98; vgl. aber 161 f.]), zeigt der Vf. dann an einschlägigen paulinischen Texten, am 2Thess, an Mk 13 parr und der Apk auf. Der letzte Abschnitt dieses Teils präsentiert die christliche Apokalyptik in der Übergangszeit zur Alten Kirche von Jud und 2 Pt bis hin zu den gnostischen Apokalypsen von Nag Hammadi. Abschließende Überlegungen im vierten Teil (154-168) bündeln und vertiefen das Ausgeführte.

Unterstrichen wird, daß die frühjüdische Apokalyptik "mit ihrer Geschichts- und Heilsauffassung die entscheidende Brücke zu Jesus und der Urchristenheit darstellt" (156 f.), in urchristlicher Rezeption (Heil auch bereits in der Gegenwart und im Diesseits) allerdings "an zentraler Stelle durchbrochen" ist (158). E. Käsemanns These, die Apokalyptik sei die Mutter aller (bzw. der) christlichen Theologie, wird im wesentlichen beigepflichtet (96.159; vgl. 11 f.) und festgehalten: "Die apokalyptische Denkweise erwies sich in hohem Maße als sachadäquat nicht nur für den jüdischen Glauben, sondern ebenso für die Botschaft Jesu und der Urgemeinde" (164). Ihre Aktualität liege u. a. darin, daß für eine theologische Betrachtung die Frage nach dem Gesamtzusammenhang der Geschichte unerläßlich sei (ob diese zu stellen tatsächlich notwendig ist, um sich "im Glauben gehalten [zu] wissen von Gott", bzw. wenn es gilt, "die Existenz im Ewigen zu gründen und auf die Zuwendung Gottes im Diesseits zu vertrauen" [167], mag man bezweifeln).

Es ist dem Vf. auf beeindruckende Weise gelungen, die große Materialfülle auf begrenztem Raum durchsichtig darzubieten. Daß man in manchen Einzelfragen unterschiedlicher Meinung sein und bei der Darstellung etwas andere Akzente setzen kann, ist selbstverständlich. Das gut lesbare Buch erfüllt zweifellos die ihm zugedachte Aufgabe einer Einführung, gibt einen umfassenden Überblick und vermittelt Grundinformationen.

In die im Anhang gebotene Literaturauswahl, die auch zu intensiverer Beschäftigung mit dem Thema anregen soll, hätte vielleicht noch (neben dem oben erwähnten Beitrag von P. Lampe) die teilweise anders gewichtende Darstellung von U. B. Müller, Apokalyptische Strömungen (in: J. Becker u. a., Die Anfänge des Christentums, Stuttgart u. a. 1987, 217-254) aufgenommen werden können. Die einflußreichen Ausführungen von Ph. Vielhauer werden nicht eigens genannt, vermutlich weil sie (jetzt bearbeitet und ergänzt von G. Strecker) in dem unter den Textausgaben aufgeführten 2. Band der Neutestamentlichen Apokryphen (hrsg. v. W. Schneemelcher, Tübingen 51989, 491-547) - gekürzt auch in dem forschungsgeschichtlichen Band: K. Koch/J. M. Schmidt [Hrsg.], Apokalyptik (WdF 365), 1982 - enthalten sind.