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Ausgabe:

Januar/2017

Spalte:

102–103

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Bugliani Knox, Francesca, and David Lonsdale [Eds.]

Titel/Untertitel:

Poetry and the Religious Imagination. The Power of the Word.

Verlag:

Farnham u. a.: Ashgate Publishing (Routledge) 2015. 280 S. Geb. £ 62,99. ISBN 978-1-4724-2624-6.

Rezensent:

Stefan Berg

Dieser im Jahr 2015 publizierte Band dokumentiert den Startschuss des »The Power of the Word«-Projekts, das den Beziehungen zwischen Poesie, Theologie und Philosophie in katholischer Perspek-tive gewidmet ist. Das Buch trägt den Titel Poetry and the Reli-gious Imagination und macht die Beiträge der ersten, im Jahr 2011 in London durchgeführten Konferenz zugänglich. Weitere Konferenzen folg(t)en 2012, 2013, 2015 und 2017, so dass das Buch als erster Band einer ganzen Reihe fungiert. Die überwiegend katholischen Beiträgerinnen und Beiträger stammen sowohl aus dem angelsächsischen als auch dem kontinentalen Raum – ein bunter Reigen aus Literaturwissenschaftlern, Literaten und Theologen, darunter eine ansehnliche Gruppe Geistlicher.
Die Einleitung des durchgängig in englischer Sprache verfassten Bands fasst die Intention zusammen: »The volume addresses not so much the ›truth-bearing‹ potential of the poetic imagina-tion as the relationship between poetry and the religious imagination. Indeed it identifies the religious imagination as the appropriate common ground for a new conversation between poetry, philosophy and theology.« (1) Dieses Konzept wurde ersonnen von den Herausgebern F. Bugliani Knox und D. Lonsdale, beide beheimatet am Heythrop College und Erstere federführend im oben genannten Projekt.
Der erste Teil enthält zwei Texte, die eine Schneise in die Debatten der letzten Jahrzehnte zu schlagen versuchen: zum einen »Theology and Literature in the English-Speaking World« aus der Feder des Jesuiten M. Kirwan (9–30); zum anderen aus deutschsprachiger Sicht von G. Langenhorst (Augsburg): »Why Theologians Are Interested in Literatur. Theological-Literary Hermeneutics in the Works of Guardini, Balthasar, Tillich and Kuschel« (31–49). Diese Zusammenstellung macht deutlich, wie unterschiedlich die Diskussionen gelagert sind: Gehen sie im englischsprachigen Raum eher von literarischer Seite aus, werden sie im deutschsprachigen Bereich zumeist von Berufstheologen vorangetrieben – wobei zu fragen ist, ob sich dies hierzulande nicht inzwischen verändert, etwa durch M. Walser oder S. Lewitscharoff.
Der zweite Teil ist dem Thema religiöser Imagination gewidmet und wird mit systematischen Überlegungen des Jesuiten M. P. Gallagher eröffnet. Sein Text (»Identifying a Religious Imagination« [53–66]) vertritt – in Anschluss an W. Desmond – die These: »Perhaps what we call religious imagination is a double reality, not only a matter of art as content or vision, but also involving a quality of receptivity that it requires and fosters.« (59) Dabei gehe es im Kern um eine »real openness to otherness as gift« (ebd.), was sich etwa darin zeigt, dass »religious imagination can lead into new places the flow of sympathetic consciousness« (64).
Es folgen vier Studien zu großen Autoren: »Religious Imagination and Poetic Audacity in Thomas Aquinas« von O.-Th. Venard (67–89); »Dante and the Indispensability of the Image« von J. Took (91–107); »Law and Divine Mercy in Shakespeare’s Religious Imagination« von P. S. Fiddes (109–128) sowie »Wallace Stevens on God, Imagination and Reality« von J. McDade (129–147). Alle diese Untersuchungen sind je für sich gelungen, doch wäre eine historisch etwas breiter gestreute bzw. weiter in die Gegenwart reichende Auswahl von exemplarisch behandelten Schriftstellern wünschenswert gewesen.
Umso mehr Aufmerksamkeit verdient der dritte Teil. Hier wird das Thema Literatur und Religion einmal nicht anhand semantischer Qualitäten betrachtet, sondern es steht ganz die Pragmatik im Vordergrund, also religiöse Aspekte im Umgang mit Literatur. Dabei gibt der Poet J. Parini mit »Poetry as Scripture, Poetry as Inspiration« (151–160) den Auftakt und fächert verschiedene Gesichtspunkte auf, spricht u. a. von »[t]he Sacrament of Poetry« (154) und »[r]eading Poetry as lectio divina« (158). Es folgt ein Beitrag des Literaturwissenschaftlers und Philosophen D. Griffiths: »The Poet as ›Worldmaker‹. T. S. Eliot and the Religious Imagination« (161–175). Darin vertritt er – im Rückgriff auf Heidegger und Ricœur – die These, dass »all art is religious, in as much as it unfolds worlds, opens possibilities and enacts the will to hope« (161).
Im folgenden, überaus lesenswerten Text »Reading Poetry as Spiritual Transformation« (177–187) geht der Jesuit A. Spadaro von einem Gedanken H. Bremonds aus, wonach »the psychological mechanism used by grace to raise us to prayer was […] the same as that set in motion in poetic experience« (177). In Auseinandersetzung mit Ignatius von Loyolas Geistlichen Übungen kommt der Autor zu drei Folgerungen: 1. »[R]eading is synonymous with ›to perform‹« (182); 2. »[T]he meaning of the text is a dynamic event« (183); 3. Lesen ist »Spiritual Experience« (184). Denn: »In the Exercises, God is not contemplated in himself or by leaving behind history, the world and images transmitted through the senses. On the contrary, God is sought an found exactly in history, in the world and through sensible images.« (184) Auf einer ähnlichen Fährte bewegt sich J. Reek mit ihrem aufschlussreichen Text »Reading as Active Contemplation« (189–206). In Aufnahme von R. Detweiler denkt sie nach über ein »religious reading as both point of departure and guide to what I image as a reading pilgrimage« (189) und beschäftigt sich dabei mit Texten von Ignatius von Loyola, Y. Bonnefoy und H. Cixous.
Der vierte Teil trägt den Titel Poets and Spiritual Experience: Mystical Ges-tures und enthält zum einen den Beitrag »›There Is a Verge of the Mind‹: Imagination and Mystical Gesture in Rilke’s Later Poems« (209–220) von M. S. Burrows. Der Theologe beruft sich darin auf de Certeau und kommt zur These: »Gesang ist Dasein. / By such ›mystical gestures‹, Rilke’s poetry calls us to know ourselves in all our fragmented ›moments‹ […] a part of ›the whole, the glorious pattern‹ of life. Or perhaps we should say […] that in our singing we ourselves become the ›song‹ that is ›being‹, experiencing not the poem but our life as ›mystical ges?ture‹.« (219) Es folgt zum anderen der Text »›The Pulse in the Wound‹: Embodiment and Grace in Denise Levertov’s Religious Poetry« (221–236) von S. Law, der die Nähe der US-amerikanischen Lyriker zur mystischen Tradition erkundet.
Der Band schließt mit dem fünften Teil, der allein aus L. Grindlays Beitrag »Images of the Virgin in the Late Sixteenth Century: The Catholic Devotional Poetry of Henry Constable« (239–255) gebildet wird. Constables Imagination der »Virgin as Queen of Heaven« könne verstanden werden »as a way of counter-acting Protestant depictions of the Virgin as a humble handmaid« (252).
Auch wenn die Qualität der einzelnen Beiträge naturgemäß etwas schwankt und die systematische Unterfütterung des Konzepts für meine Begriffe allzu kurz kommt, eröffnet der vorliegende Band als Ganzer doch eine produktive neue Perspektive auf die Beziehung von Literatur und Religion. Interessant wird es vor allem dort, wo es nicht – wie so oft – um die Analyse und Statistik von religionsaffiner Terminologie geht, sondern der Blick auf einen Umgang mit Literatur gelenkt wird, in dem religiöse Aspekte aufscheinen können.