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Ausgabe:

November/1999

Spalte:

1118–1120

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Broer, Ingo

Titel/Untertitel:

Einleitung in das Neue Testament. I: Die synoptischen Evangelien, die Apostelgeschichte und die johanneische Literatur.

Verlag:

Würzburg: Echter 1998. 287 S. gr.8 = Die Neue Echter Bibel. Kart. DM 48,-. ISBN 3-429-01990-7.

Rezensent:

Traugott Holtz

Als zweiten Ergänzungsband stattet sich die NEB.NT mit einer Einleitung in das Neue Testament aus; solche Erweiterung der Kommentierung bietet in ähnlicher Weise das NTD, ein angesichts des durchaus gerechtfertigten Anspruchs der beiden renomierten Reihen sinnvolles Unternehmen. Für das NTD hat als zweiten Ergänzungsband E. Schweizer 1989 eine "Theologische Einleitung in das Neue Testament" geschrieben. Bei einem ersten Vergleich mit dem vorliegenden Teil der Einleitung von Ingo Broer fällt die Differenz im Umfang auf; das Buch von E. Schweizer beansprucht für die Behandlung des ganzen Neuen Testaments 176 Seiten, I. Broer für den Teilband, der die Evangelien, die Apostelgeschichte und die Johannes-Briefe bearbeitet, 287 Seiten. Die eigentlichen Kommentarbände bei NEB.NT sind dagegen in der Regel erheblich kürzer als die entsprechenden des NTD. Dieser auffällige Tatbestand dürfte signalisieren, daß im katholischen Bereich, zumal dem, der die Zielgruppe der NEB bildet, auf dem Feld, das die Einleitungswissenschaft bestellt, ein erheblicher Nachholebedarf besteht. Und auch die striktere Begrenzung auf die gleichsam klassischen Einleitungsfragen gegenüber der stärker theologischen Orientierung bei Schweizer wird damit zusammenhängen.

Diesem Eindruck entspricht die Art, in der B. seinen Gegenstand behandelt. Die Einführung, die sich aus einem Abschnitt "statt einer Einführung" (11-14) und einem 1 "Die Fragen der ,Einleitung in das Neue Testament’" (15-20) zusammensetzt, ist davon bestimmt, dem Bibelleser einsichtig zu machen, daß es notwendig und sinnvoll ist für das Verstehen der biblischen Schriften, die geschichtlichen Bedingungen ihrer Entstehung zu kennen. Es ist keineswegs nur das literaturwissenschaftliche Problem der diachronen oder synchronen Interpretation, das hinter den Darlegungen steht, obwohl es nicht nur hier, sondern auch bei der Behandlung der einzelnen Schriften präsent ist. B. verknüpft die literaturwissenschaftliche Frage mit der für den Theologen wichtigen danach, welcher Text als gleichsam gültiger zu interpretieren sei und bemüht sich - erfolgreich - zu zeigen, daß die Wahrnehmung der Geschichte eines Textes, zu der auch seine ihn bedingende Gegenwart (die auch seine Leser einschließt) gehört, entscheidend dazu verhilft, seine Aussage zu erkennen und zu verstehen.

Allerdings sind unsere Kenntnisse über die Entstehungsgeschichte der neutestamentlichen Schriften (bis hin zur Verfasserfrage) - bedauerlicherweise - nur sehr begrenzt oder unsicher, die Interpretation des Bekannten - notwendigerweise - dem historisch bedingten Horizont des Interpreten unterworfen. B. wird diesem Dilemma durch seine Art der Darstellung durchaus gerecht; er diskutiert gründlich, fair und offen die verschiedenen Lösungsvarianten zu den anstehenden Problemen, ohne dem Leser eine Antwort aufzuzwingen. Eher werden Fragen offengelassen, ein Verfahren, das der Sache entspricht. Leider wird es in seinem Wert etwas gemindert durch die Vorgabe der Reihe, die einen wissenschaftlichen Apparat nicht zuläßt. Ausgewählte Literaturverzeichnisse am Ende der Paragraphen, die besonders die neuere und neueste Literatur nennen, versuchen, einen gewissen Ausgleich zu schaffen. Dem soll offenbar auch das "Glossar" am Ende des Bandes dienen (275-287); doch haftet ihm, auch hinsichtlich gelegentlicher Literaturverweise, etwas Zufälliges an.

Der begründete Bezug allein auf die Schriften des Neuen Testaments und damit die Absage an eine urchristliche Literaturgeschichte wird allerdings an einer Stelle durchbrochen. Dieser Vorgang ist offenbar in der gegenwärtigen Forschungssituation so selbstverständlich, daß ein solcher elementarer Bruch in Methode und Sache nicht als das empfunden zu werden scheint, was er in Wahrheit ist, so daß auf ihn und die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, gar nicht ausführlicher reflektiert werden muß. Es handelt sich um die Besprechung der "Logienquelle Q" ( 4, S. 54-72), die wie eine zwar nur hypothetisch noch zu gewinnende, aber doch zum Bestand des Neuen Testaments gehörende Schrift behandelt ist. Das ist sie nun aber mal nicht. Selbst das Urteil, das Überlieferungsmaterial, um das es sich handelt, sei auf die Verfasser des Matthäus- und des Lukasevangeliums gar nicht in Gestalt eines literarisch fixierten und von einer eigenständigen inhaltlichen Konzeption bestimmten Text gekommen, ist keineswegs einfach als abwegig abzutun; nicht jeder kann sich einen solchen literarischen Betrieb, wie ihn die gängige Q-Hypothese zur Voraussetzung hat, in der Situation, in der dieser Traditionskomplex in jedem Fall seinen Ort haben muß, vorstellen, zumal angesichts der deutlichen Differenzierungen, in denen das Q-Material in den Evangelien begegnet.

E. Schweizer in seiner bereits zum Vergleich herangezogenen "theologischen Einleitung" behandelt Q trotz intensiven Eingehens auf diese Quelle unter dem Abschnitt I 7 "Vorstufen der Evangelien (Q)", in dem auch die Frage nach anderen, den kanonischen Evangelien vor(aus)liegenden Zusammenstellungen von Jesus-Tradition zur Sprache kommt. Die hier anstehenden Probleme werden sich bei der Behandlung der Paulus-Briefe vermutlich noch einmal in etwas anderer Gestalt melden.

Hinsichtlich des Johannesevangeliums dagegen erliegt B. nicht der Versuchung, hinter der Jetztgestalt des Evangeliums stehende Schichten und Schriften als selbständige Einheiten zu isolieren und als solche zu behandeln, obwohl er mit ihnen für die Entstehungsgeschichte des vierten Evangeliums rechnet. "Da vorauszusetzen ist, daß der letzte Redaktor das Werk als einheitlich ... angesehen hat, sind im Zweifelsfalle einander widersprechende Gedanken eher aufeinander hin als voneinander weg zu interpretieren"; "das Aufspüren von Quellen hat daneben auch Sinn ..., ist aber nicht die eigentliche Aufgabe der Auslegung des Evangeliums. Diese ist das Verstehen des jetzigen Textes" (188 f.). B. läßt den Leser seines Buches an den Problemen, die mit solcher - wie ich meine: richtigen - Entscheidung verbunden sind, teilhaben. Freilich reichen sie wohl noch tiefer, nämlich bis an die Frage, wie es sich mit dem Neuen Testament als Ganzem verhält, das durchaus als solches Ganzes begriffen zu werden beansprucht. Die "Einleitung in das NT" kann sich letztlich der Frage nach dem Kanon, seinem Werden und seiner Bedeutung, nicht entledigen, zumal wenn sie den Ton (auch) auf den theologischen Horizont ihres Gegenstandes legt. Aus praktischen Gründen mag das Gebiet ausgespart werden können, das Problem selbst aber muß gewiß bewußt bleiben. E. Schweizer hat es in seiner "Einleitung" unter der bemerkenswerten Rubrik "Rückblick" am Ende seines Buches jedenfalls bewußt gehalten.

Trotz der ausführlichen Darstellung divergierender Positionen in der Beantwortung der Einleitungsfragen ist in der Regel die eigene Antwort von B. klar erkennbar und nachvollziehbar begründet. Sie läßt sich im ganzen dem gemäßigt kritischen Konsens der gegenwärtigen Diskussionslage zuordnen (wozu übrigens auch seine Behandlung der Logienquelle Q gehört). Das gerade empfiehlt das Buch noch einmal vom Inhalt her für seine implizierten Leser.

Im einzelnen kann man natürlich manches anders sehen als der Vf. Eine gewisse vorausweisende Bedeutung für den noch ausstehenden zweiten Band hat die Behandlung der Johannesbriefe. Hier scheint mir die Gattungsbestimmung des 1Joh als Brief die Wahrnehmung des geschichtlichen und theologischen Problems, das durch die neutestamentliche Briefliteratur (sofern die Texte nicht wie 2.3 Joh die gleichsam klassische Form von Privatbriefen haben - wohl aber einschließlich Apk) sich stellt, zu gefährden; die Vermutung, ein nicht erhaltener Begleitbrief könne zu 1Joh gehört haben, stellt sie übrigens selbst in Frage.

Man sieht dem zweiten Band, der hoffentlich bald erscheinen wird, gern entgegen. Er sollte allerdings etwas gründlicher und konsequenter lektoriert werden. Jedenfalls wird gerade der, der sich an der dringend erwünschten bibelwissenschaftlichen Weiterbildung von engagierten Nichttheologen beteiligt, ein derartiges Werk wie das vorliegende dankbar begrüßen.