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Ausgabe:

Januar/2017

Spalte:

69–70

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Tiwald, Markus [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Q in Context I: The Separation between the Just and the Unjust in Early Judaism and the Sayings Source/ Die Scheidung zwischen Gerechten und Ungerechten in Frühjudentum und Logienquelle.

Verlag:

Göttingen: Bonn University Press bei V & R unipress 2015. 275 S. = Bonner Biblische Beiträge, 172. Geb. EUR 50,00. ISBN 978-3-8471-0322-6.

Rezensent:

Hildegard Scherer

Düstere Zukunftsprognosen durchziehen das Q-Korpus. Spreu im Feuer, Absturz in den Hades, Heulen und Zähneknirschen der Ausgeschlossenen – die Jesusworte malen ein drastisches Strafgeschick aus. Doch wem gilt es? Und mit welcher Absicht wird davon ge?sprochen? Gehören diese Ankündigungen ohnehin zu den schwierigen theologischen Topoi, so schärft sich das Problem für das Q-Korpus, sobald die Frage aufkommt, ob sich solche Worte gegen »Israel« richten. Die »rhetoric of exclusion« (7) im zeitgenössischen Kontext auszuwerten, ist Anliegen des Bandes, der zwölf Beiträge einer Konferenz an der Universität Duisburg-Essen (2014) unter Regie von M. Tiwald sammelt.
Der aufgeworfenen Frage am unmittelbarsten widmet sich der Beitrag M. Tiwalds, »Verborgene Weisheit – Wahres Israel. Die eschatologische Scheidung zwischen Gerechten und Ungerechten in der Logienquelle und der frühjüdischen Apokalyptik« (85–106), mit vermittelnder Hermeneutik: Streit intra muros um die Tora-Interpretation (90) bringe in »apokalyptischen« Texten die rhe-torischen Abgrenzungs- und Sanktionierungsmanöver inner-halb Israels hervor: In 1QpHab, der Epistel und Zehnwochen-apokalpyse des äthHen, Musar le Mevin oder 4 Esr werden so Tora-Interpretationen bzw. ein Sonderwissen Erwählter etabliert. Pragmatisch allerdings ziele dieses »Stilmittel« (87) darauf, die eigene Position zu bewerben und zum Umschwung zu bewegen (89). So auch in den Q-Texten, die direkt via Ankündigung oder indirekt via Sonderwissen (vor allem Q 10,21–23) einen Ausschluss formulierten.
Einspruch erhebt dagegen C. Heil, »Die Zukunft Israels in der lukanischen Redaktion von Q« (185–199), der von Lk auf Q zurückblickt: Wenn er das Gros von Tiwalds (86) Texten zur »direkten Exklusion« auswertet, erkennt er keine Werbung mehr – vielmehr eine erfolglose Mission (z. B. 186 f.195). Pragmatisch dienten die Texte zur Selbststabilisierung der Gruppe (195 f.); die Neukonfiguration »Israels« aufgrund von Jesus-Nachfolge setze sich in Lk/Apg fort (196–199).
Schaltstelle für die unterschiedliche Hermeneutik der Beiträge ist die vorausgesetzte Kommunikationssituation. Nach Tiwald richten sich die Texte werbend an eine Outgroup; bei Heil hat die Ingroup den Kontakt quittiert und verständigt sich im Binnenraum über »die Anderen«. Methodisch erscheint es mir schwierig, aus den Texten selbst ihre Rezeptionssituation abzulesen. Je nach Umständen ist beides möglich. Für das Q-Material bräuchte es zunächst eine Kriteriologie: Für Tiwalds protreptische Sicht spricht, dass der Q-Jesus mit seiner (gegnerischen) Umgebung interagiert und sich Ankündigungen und Weherufe in der 2. Person finden; die Schüler beauftragt er zur Mission (Q 10) – ein Rückzug auf den Binnenkreis ist m. E. aus dem Material nicht zu folgern.
Eine andere Textauswahl als Tiwald bringt C. Tucketts Beitrag »Apocalyptic – in Q?« (107–121) ein: Tuckett problematisiert m. E. zu Recht die Kategorie »apokalyptisch« – der beschreibungssprachliche Begriff weckt Definitionskontroversen; das Sachproblem der Trennung ließe sich ohne ihn ggf. besser angreifen. Tuckett findet dann in den konventionell als »apokalyptisch« rubrizierten (116) Texten Q 12,39 f.; 12,42–46; 17,22–37 keine klaren Gruppengrenzen (116–120), vielmehr einen offenen Appell gerade an die Bedrohten – und damit »›prophetic‹ exhortation« (120).
Daraus ergibt sich ein Zweites: Sind die Gruppengrenzen unsicher, stellt dies besonders die vermeintliche Ingroup in Frage. Die Sanktionen können sich gegen sie wenden (dazu vgl. explizit für Qumran/CD auch Tiwald, 93). Damit sind wir beim Normdiskurs. Vieles spricht dafür, dass es sich im Q-Material um Sanktionen für Verhalten handelt, dass also nicht entlang von (Selbst-)Zuschreibung getrennt wird – dies im Unterschied zur These, die Haltung zu Jesus sei entscheidend (zu Q 13,27: M. Tiwald [7]; C. Heil [189]; vgl. aber D. A. Smiths Fazit [168]: »ethical formation« als Zweck der apokalyptischen Rhetorik). Johannes fordert z. B. von Individuen »Früchte« (Q 3,8); die Ausgeschlossenen sind »Täter der Ungesetzlichkeit« (Q 13,24–29). Und so sind auch die Mitglieder der Ingroup nicht auf der sicheren Seite. Zudem adressieren die Sklavengleichnisse Q 12,42–46 und Q 19 Mitglieder der Jesusbewegung; ebenso die Warnung vor dem Verleugnen des Menschensohns (Q 12,9). Gerade diese Binnenanwendung spricht m. E. für Protreptik. Eine Gruppenstabilisierung unterläuft sie.
Neutestamentliche Vergleichstexte setzen dagegen andere Ak?zente. Einen Anspruch an die Ingroup macht K. Huber, »Die Zukunft Israels in der Logienquelle und in der Offenbarung des Johannes. Skizze eines Vergleichs« (201–220), auch für die Offb aus (219). Dort zeigten sich zwar Konflikte mit der Synagoge, doch im Unterschied zu Q ordne die Offb das Geschehen in den globalen Rahmen widergöttlicher Mächte ein. Zudem seien die Christusgläubigen mit den symbolischen Attributen Israels ausgestattet. A. Lange liest des Weiteren 1Thess 2,13–16 im Gegenüber zu antipharisäischer Polemik in Qumran-Texten (61–81) – s. E. als klar antijudaistischen Text, der pauschal von außen auf »die Juden« blickt (72–74.79 f.) und sich u. a. paganer Diffamierungen bedient – der erste Ausweis einer Trennung der Wege (81). Röm 11 führt er darauf zurück, dass »historische[r] Prozesse […] nie geradlinig verlaufen« (81).
In jedem Fall ist 1Thess 2,13–16 damit aber in seinem Anspruch begrenzt. Vgl. zur Hermeneutik S. Schreiber, Der erste Brief an die Thessalonicher [ÖTBK 13/1], Gütersloh 2014, 148–171, vor allem: Von Juden geschrieben, verlaufe der Konflikt intra muros (159.168); konkreter Anlass sei ein Verhalten, nämlich der Widerstand gegen die Heidenmission (159: »nicht einfach alle Juden [als Volk] angesprochen«) – auch wenn die Feindbild-Problematik bleibt (167–170).
Der Kongressband fängt den differenzierten Streit frühjüdischer Schriften um Deutungshoheit für »Israel« ein (vgl. dazu auch die Beiträge von J. Maier zu priesterlichen Leitungsansprüchen in Qumran-Texten, 19–42, und L. T. Stuckenbruck zu äthHen, 43–60). Doch auch wenn es ihm gelingt, für Abgrenzung und Sanktionen des Q-Materials frühjüdische Analogien beizubringen und damit eine Einordnung vor dem »parting of the ways« stark zu machen, so ist damit m. E. der eigentliche Stachel der »rhetoric of exclusion« noch nicht gezogen. Die mächtigen Bilder behaupten die göttliche Autorisierung der eigenen Position – und selbst wenn es sich um einen innerjüdischen Streit handelt, operieren sie auf beängstigende Weise mit dem Ausschluss. Dies erfordert hermeneutische Wachsamkeit. Zum einen reißen die Beiträge die pragmatische Ambivalenz solcher Texte an: für Verfolgte der Apokalyptik ein Verzweiflungsschrei, für den Propheten ein Wachrütteln, für eine Minderheit elitäre Selbstvergewisserung. Wie exemplarisch aufgezeigt, können auch die Q-Texte schillern – sie wirken erst im kommunikativen Rahmen. Doch solange nach Taten, nicht nach Zugehörigkeit entschieden wird, ist die Jesusgruppe selbst konfrontiert: Die »Anderen« stehen dann für ein Verhalten, das zu meiden sie zuerst einmal selbst aufgerufen ist.