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Ausgabe:

Januar/2017

Spalte:

44–46

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Tov, Emanuel

Titel/Untertitel:

Textual Criticism of the Hebrew Bible, Qumran, Septuagint. Collected Essays, Vol. 3.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2015. XXII, 539 S. = Vetus Testamentum. Supplements, 167. Geb. EUR 168,00. ISBN 978-90-04-27013-8.

Rezensent:

Siegfried Kreuzer

Während die ersten zwei Bände der gesammelten Studien unabhängig voneinander und unter etwas unterschiedlichen Titeln erschienen, ist dies nun der offizielle Band 3 der gesammelten Studien von Emanuel Tov, der den meisten als abschließender Herausgeber der Qumrantexte (Discoveries in the Judaean Desert) bekannt sein wird, aber auch durch seine Studien zu Textgeschichte und Textkritik des hebräischen als auch des griechischen Textes. Der vorliegende Band versammelt 33 Studien in drei Abteilungen, die ursprünglich in der Zeit von 2008 bis 2014 erschienen waren. Laut Vorwort sind alle Beiträge überarbeitet und durch Literaturangaben ergänzt. Im Folgenden nenne ich alle Titel, kann aber aus Platzgründen nur auf einzelne Beiträge etwas näher eingehen.
Teil I: Textual Criticism:
1) »Reflections on the Many Forms of Hebrew Scripture in Light of the LXX and 4QReworked Pentateuch« (3–19). T. greift die Beobachtung der zwar auch schon vor den Qumranfunden (durch Septuaginta, Samaritanischen Pentateuch und einzelne spätere Handschriften) erkennbar gewesenen Mehrgestaltigkeit des alttestamentlichen Textes auf, die durch die Qumranfunde noch deutlicher als schon innerjüdische Vielfalt erkennbar wurde. Er analysiert drei in der Septuaginta deutlich verschiedene Schriften (3Kingdoms, Esther, Daniel 4–6), und arbeitet ihre Besonderheiten heraus, die er anschließend mit sogenannten rewritten bible-Texten vergleicht, wobei er große Gemeinsamkeiten entdeckt. Der eigentliche Punkt ist die Auswertung für die Kanonfrage: Auch diese Textformen (d. h. deren hebräische Vorlagen) waren kanonisch, sind es aber im Judentum nicht geblieben. Entsprechendes ist von den rewritten bible texts anzunehmen, von denen die Chronik auch im masoretischen Kanon blieb.
2) »The Coincidental Textual Nature of the Collection of Ancient Scriptures« (20–44) beschäftigt sich mit den textlichen (d. h. qualitativen bzw. übersetzungstechnischen) Unterschieden zwischen und zum Teil auch innerhalb einzelner Schriften, zunächst in der Septuaginta, kurz zur syrischen Übersetzung, und dann im Blick auf einzelne hebräische Schriften, etwa den Samuelbüchern. Die Idee, dass viele dieser Differenzen darauf zurückgehen, dass Schriftrollen (auch sogenannte Kleinrollen, die nur Teile eines biblischen Buches enthielten) mit unterschiedlichen Textformen oder auch unterschiedlichen Bearbeitungsgraden kombiniert wurden, ist nicht ganz neu; dass dabei vieles zufällig geschah, ist gewiss richtig und erspart Spekulationen über die Gründe, etwa warum ein Übersetzer seinen Stil gewechselt haben soll. Erst spätere Bearbeitungen legten mehr Wert auf Konsistenz und Gleichheit.
3) »Some Reflections on Consistency in the Activity of Scribes and Translators« (36–44) erörtert eine ähnliche Thematik.
4) »From 4QReworked Pentateuch to 4QPentateuch(?)« (45–59) gewährt einen interessanten, wenn auch punktuellen Einblick in die Entwicklung und Problematik der Bezeichnung der Qumrantexte. Im Sinn des ersten Beitrags (s. o.), dass zunächst verschiedene Textformen als autoritativ anerkannt waren, vertritt T. – gegen seine eigene frühere Benennung als 4QReworkedPentateuch – die Meinung, dass dieser Text eine seinerzeit anerkannte Variante des Pentateuchs darstellt und daher einfach 4QPentateuch genannt werden soll.
5) »Thoughts about Diffusion of Biblical Manuscripts in Antiquity« (60–81). Anhand umfangreicher Übersichten wird die im Titel gestellte Frage erörtert. Einerseits zeigt sich die Schwierigkeit: Es sind wohl nur gewisse Analogieschlüsse zu den Qumranfunden möglich, andererseits nimmt T. an, dass es (zumindest für einige Schriften) zunächst vielleicht nur ein Exemplar am Tempel gab, dass dann aber eine größere Zahl auch über den Tempel hinaus Verbreitung fand, was – wie die Textfunde zeigen – vor dem 3. Jh. erfolgt sein muss.
6) »The Aramaic, Syriac, and Latin Translations of Hebrew Scripture vis-a-vis the Masoretic Text« (82–94).
7) »Computer-Assisted Tools for Textual Criticism« (95–101) zeigt die Möglichkeiten und Grenzen dieser technischen Hilfen, allerdings nur anhand zweier orthographischer Analysen.
8) »The Chapter and Section Divisions in Esther« (102–120) vergleicht die Gliederung in verschiedenen Handschriften und einigen modernen Ausgaben.
9) »Eclectic Text Editions of Hebrew Scripture« (121–131). Eine – vorwiegend kritische – Diskussion des derzeit laufenden Projektes, gegenüber der bisher verwendeten diplomatischen Edition eine eklektische Edition der Biblia Hebraica zu schaffen.
10) »The Literary Development of the Book of Joshua as Reflected in the Masoretic Text, the LXX, and 4QJosha« (132–153). T. untersucht die verschiedenen Plus und Minus sowie Umstellungen im Text und findet in allen drei Textformen sowohl ältere Elemente als auch spätere, was m. E. bedeutet, dass auch MT bearbeitet wurde, und zwar auch in Form von Kürzung.
11) »The Scribal and Textual Transmission of the Torah Analyzed in Light of its Sanctity« (154–165). Der Umgang der Schreiber mit den biblischen Texten war in älterer Zeit kaum anders als mit profanen Texten, d. h. es gab Freiheiten in der Textgestaltung und auch bei kleineren inhaltlichen Variationen. Erst allmählich bildete sich eine besondere Art des Umgangs heraus.
12) »Textual Harmonization in the Stories of the Patriarchs« (166–188). Eine der ersten von weiteren Studien zu dieser Thematik zum ganzen Pentateuch, wobei T. zum Ergebnis kommt, dass die harmonisierenden Aspekte im MT am wenigsten sind.
13) »Hebrew Lexicography and Textual Criticism of the Hebrew Bible in Light of Gesenius’ Dictionary« (189–204). Gesenius war sehr zurückhaltend, Konjekturen in sein Lexikon aufzunehmen. Während spätere Bearbeiter seines und anderer Lexika weniger zurückhaltend waren, finden sich kaum methodische Erörterungen zu dieser Frage.
14) »Textual Criticism of Hebrew Scripture and Scripture-Like Texts« (205–220).
15) »The Genealogical Lists in Genesis 5 and 11 in Three Different Versions« (221–238). »The differences between the three versions are recensional and not scribal«. Diese Erkenntnis ist allerdings nicht ganz so neu. T. setzt in bei ihm gewohnter Vorsicht hinzu »although there is no firm evidence« (237), was für Einzelheiten zutreffen mag, für die Differenzen in diesen Texten insgesamt aber wohl zu vorsichtig ist.
16) »The Textual Development of the Torah« (239–249).
17) »A New Edition of the Samaritan Pentateuch« (250–257).
18) »Review of Biblia Hebraica Quinta, vol. 7, Judges« (258–264).
Teil II: Qumran:
19) »The Sciences and the Analysis of the Ancient Scrolls: Possibilities and Impossibilities« (267–288) erörtert Möglichkeiten und Grenzen naturwissenschaftlicher Analysen der Qumranhandschriften,
20) »Some Thoughts at the Close of the Discoveries of the Judaean Desert Publication Project« (289–296) gibt einen, allerdings nur kurzen, Gesamtüberblick und nennt einige Besonderheiten.
21) »A Didactic Approach to the Biblical Dead Sea Scrolls« (297–312).
22) »The Dead Sea Scrolls and the Textual History of the Masoretic Bible« (313–324). T. ist der Meinung, dass alle Handschriften des MT auf ein (Muster-)Exemplar zurückgehen, das spätestens im 3. Jh. v. Chr. existierte.
23 »The Background of the Stichometric Arrangements of Poetry in the Judean Desert Scrolls« (325–336).
24) »Israeli Scholarship on the Biblical Texts from the Judean Desert [2011]« (337–352).
25) »The Qumran Hebrew Texts and the Septuagint: An Overview« (353–367).
26) »Scribal Features of Two Qumran Scrolls« (368–386). Anhand der einschlägigen Qumrantexte kommt T. zur Ansicht, dass die stichometrische Schreibung in den mittelalterlichen Handschriften schon auf die frühjüdischen, protomasoretischen Schreiber zurückgeht.
27) »The Samaritan Pentateuch and the Dead Sea Scrolls: The Proximity of the Pre-Samaritan Qumran Scrolls to the SP« (387–410).

Teil III: Septuagint:
28) »Personal Names in the Septuagint of Isaiah« (413–428). T. zeigt den unterschiedlichen Umgang mit Namen (auch geographischen und z. B. Volksbezeichnungen): Transliteration, Hinzufügung griechischer Endungen, Identifikation (besonders bei Ortsnamen), exegetisierende (meist aktualisierende) Wiedergabe. Der Übersetzer von Jesaja variiert und zeigt überraschend große Freiheit.
29) »Reflections on the Septuagint with Special Attention Paid to the Post-Pentateuchal Translations« (429–448). T. erörtert die Fragen »are the Post-Pentateuchal Versions Jewish?« und fragt nach dem »Place of the Post-Pentateuchal Books« (d. h. deren Übersetzung). Während »yes« als Antwort auf die erste Frage »is almost certainly correct« (431), ist die Antwort auf die zweite Frage weniger klar. T. vertritt nicht nur die Meinung, dass einzelne Schriften (jenseits des Pentateuch) in Palästina übersetzt wurden, sondern meint sogar, dass das als Normalfall angenommen werden soll: »… the default assumption for the post- Pentateuchal books should be that they were produced in Palestine, and not in Alexandria or any other part of the Jewish Diaspora« (436). Allerdings nennt T. auch Gegenbeispiele, nämlich Sirach und Jesaja (439 f.).
30) »The Septuagint between Judaism and Christianity« (449–469). T. bietet einen weitläufigen Überblick zum Thema bis hin zur Frage christlicher Änderungen der Texte (die er als sehr gering einschätzt) und des Quereinflusses zwischen den Manuskripten (und damit den Texttraditionen), den er ebenfalls als gering einschätzt.
31) »The Harmonizing Character of the Septuagint of Genesis 1–11« (470–489). Harmonisierung ist die häufigste Ursache für Varianten (häufiger als z. B. Auslassung, Ergänzung, Haplographie, Dittographie), wobei sich die größte Zahl in der Septuaginta findet, gefolgt vom Samaritanischen Pentateuch. (477) »As a rule the textual witnesses do not differ in any major way from each other, but when they differ, they do so especially with regard to the phenomenon of harmonization.« (489)
32) »Genesis 49 in the Septuagint: Trial and Error« (490–503). Der Übersetzer versuchte in unterschiedlicher Weise, die Probleme von Gen 49 zu lösen, was ihm unterschiedlich gut gelang und auch zu unlogischen oder unverständlichen Lösungen führte.
33) »The Septuagint Translation of Genesis as the First Scripture Translation« (504–520). Etwas überraschend ist die Frage nach dem Anfang der Septuaginta am Ende des Sammelbandes platziert. T. beginnt mit der Beobachtung, dass Genesis als die erste Übersetzung schon einen sehr fertigen Eindruck macht. Genaueres Zusehen zeigt aber, dass der Übersetzer an vielen Stellen mit seinem Text zu ringen hatte, und dass er im Zuge seiner Arbeit zu verschie-denen Lösungen kam. Dabei erfolgte der Wechsel in der Wortwahl oder der Grammatik nicht an einer bestimmten Stelle, sondern bei den verschiedenen Problemen an unterschiedlichen Stellen.
Ein Index der Texte und der (modernen) Autoren erschließt den gewichtigen Sammelband, der einen Einblick nicht nur in wichtige Arbeiten T.s, sondern auch in den gegenwärtigen Stand der (alttestamentlichen) Textforschung bietet.