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Ausgabe:

November/1999

Spalte:

1114–1116

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Pyper, Hugh S.

Titel/Untertitel:

David as Reader. 2 Samuel 12:1-15 and the Poetics of Fatherhood.

Verlag:

Leiden-New York-Köln: Brill 1996. XI, 238 S. gr.8 = Biblical Interpretation Series, 23. Lw. hfl 122.-. ISBN 90-04-10581-6.

Rezensent:

Joachim Conrad

In der vorliegenden Monographie, einer von R. Caroll betreuten und für den Druck überarbeiteten Glasgower Dissertation, geht der Vf. der Einleitung zufolge (Readers Like David, 1-9) von einem Aufsatz von L. Alonso-Schökel über 2Sam 141 aus, in dem dieser die Hauptperson des Textes, David, als Leser bezeichnet und damit zum Ausdruck bringt, daß David innerhalb des Textes seinerseits einen ,Text’, nämlich die Rede der Frau von Tekoa, interpretiert und diese Interpretation das Modell für die Rezeption des Textes als ganzen abgibt. Diese Beobachtung veranlaßt ihn, die Texte, in denen David als ,Leser’ fungiert, genauer zu untersuchen und hierbei die Beziehungen zwischen dem Verfasser, der ,lesenden’ Hauptperson und dem Rezipienten desGesamttextes aufzudecken und deren Bedeutung für das Verständnis des Textes zu erfassen. Gegenstand der Untersuchung sind daher die Erzählungen in 2Sam 1,1-15; 12,1-15; 14,1-21, von denen auf 2Sam 12,1-15 das Hauptgewicht liegt. Dabei geht es dem Vf. vor allem auch um die Frage, warum solche Texte den Rezipienten besonders ergreifen und ihm geradezu einen Schauder (frisson) vermitteln können. Da diese Fragestellung bei der historisch-kritischen Exegese mit ihrer auf Diachronie abzielenden Methodik nicht hinreichend zur Geltung kommt, tritt er für eine synchrone Betrachtungsweise ein, die an Positionen moderner Sprach- und Literaturwissenschaft orientiert ist.

In seiner Arbeit setzt er sich deshalb ständig mit einschlägiger Literatur zu der letzteren auseinander und leistet somit zugleich einen Beitrag zur Grundlagenforschung an alttestamentlichem Erzählungsgut überhaupt.

Der Hauptteil der Arbeit gliedert sich in neun Kapitel, zu denen hier nur folgendes vermerkt werden kann. Im ersten Kapitel (Reading 2 Samuel, 10-27) behandelt der Vf. besonders 2Sam 1,1-15 und macht hier deutlich, daß es nicht darum geht, die Aussagen des Amalekiters mit der Darstellung von Sauls Tod in 1Sam 31 zu vergleichen, um zu entscheiden, ob der Amalekiter die Wahrheit oder Unwahrheit sagt, sondern darum, wie David, der nur durch den letzteren von Sauls Tod unterrichtet wird, dessen Aussagen interpretiert und daraus die Schlußfolgerungen für sein Handeln zieht. Dann stellt sich freilich die Frage, wie denn der Rezipient das Verhalten der Hauptperson und damit den Text als ganzen zu interpretieren hat. Um diese Frage zu beantworten, geht der Vf. in den beiden folgenden Kapiteln (The Mirror of the Text, 28-51; Character and Reader: A Dialogic Approach, 52-83) zunächst grundsätzlich auf die einschlägigen Theorien und dabei insbesondere auf das Verhältnis von Autor, Textperson und Rezipient ein und hebt hier vor allem M. M. Bakhtins dialogisches Verständnis der Sprache und die Sprechakttheorie von J. L. Austin hervor. Im vierten Kapitel (Reading Nathan’s Parable, 84-110) wendet er sich 2Sam 12,1-15 zu und geht hier auf strukturalistische Ansätze und Äußerungen Kierkegaards sowie auf die Ergebnisse der historisch-kritischen Exegese und ausführlich auf die Deutung der Parabel als Rechtsvorgang ein. In Auseinandersetzung mit der letzteren kommt er zu dem Schluß, daß der Schwur, zu dem sich David veranlaßt sieht (V. 5), für das Verständnis des Textes maßgeblich ist, da er David dazu zwingt, die für den Reichen in der Parabel gezogenen Konsequenzen nun auch für die eigene Person zu ziehen. Um einen Schwur Davids geht es auch in 2Sam 14,1-21 (V. 11).

Dem fünften Kapitel zufolge (2Sam 14: Reading as Parody, 111-130) handelt es sich bei diesem Text um eine Parodie zu 2Sam 12,1-15, bei der die weise Frau dem von Gott berufenen Propheten Natan in 2Sam 12 entspricht und Joab die dortige Rolle Gottes vertritt, David aber durch fragwürdige Weisheit zu einem Schwur genötigt wird, dessen Folgen er nicht ermessen kann, da er ihn vordergründig zur Wiederaufnahme Absaloms zwingt, letztlich aber dessen Tod verursacht. Von da aus gesehen ist auch Davids Schwur und dessen Folge in 2Sam 12 zu beurteilen. Er kommt wohl zu einem Sündenbekenntnis, aber nicht zu wirklicher Erkenntnis Gottes und echter Buße. So bleibt sein eigenes Verhalten und mithin auch Gottes Reaktion ambivalent. Durch die Darstellung in 2Sam 14 wird diese Ambivalenz bestätigt und verdeutlicht. Sind beide Texte somit am besten als ’oath-provoking stories’ zu bezeichnen (109), so stellt sich die Frage nach der Rolle des Schwurs in den alttestamentlichen Erzählungen überhaupt. Am Beispiel verschiedener Erzählungen kommt der Vf. im sechsten Kapitel (Oath in Biblical Narrative, 131-155) zu dem Ergebnis, daß sich ein Schwur zwar grundsätzlich erfüllt, die Erfüllung aber Möglichkeiten einschließt, die für die handelnde Person nicht vorhersehbar sind. Die bei dem Schwur in 2Sam 12,5 gebrauchte und auf David selbst abzielende Bezeichnung ,Sohn des Todes’ gibt Anlaß, der Bedeutung von Vater- und Sohnschaft in den Daviderzählungen genauer nachzugehen. Dieser Thematik sind die drei letzten Kapitel gewidmet (David as Son, 156-185; Fathers, Sons and the Anxiety of Utterance, 186-201; The Father’s Authority and Textual Power, 202-215).

Der Vf. untersucht hier zunächst die Stellen, in denen David als ,Sohn des Todes’ sowie als Sohn bestimmter Personen wie Isai oder Saul gekennzeichnet wird, und zeigt, daß damit verschiedene Facetten seiner Person und seines Königtums beleuchtet werden, und geht dann auf die in der Ödipus-Überlieferung bezeugten Urängste, die mit dem Vater-Sohn-Verhältnis verbunden sind, ein. Ein Mythos vom Vatermord ist im Alten Testament freilich nicht bezeugt. Doch sind die Spannungen zwischen Vater und Sohn und die damit verbundenen Ängste als ’symbolic order of fatherhood’ (196), d. h. aber als linguistisches Phänomen, gerade für die Daviderzählungen des 2. Samuelbuches konstitutiv, wobei der Vf. hier insbesondere an Arbeiten des Psychoanalytikers J. Lacan anknüpft. Diesen Spannungen und Ängsten sieht sich dann auch der Rezipient der Texte ausgesetzt, so daß die letzteren ihrerseits zum ,Vater’ des Rezipienten werden und ihn durch den Akt des Lesens bestimmen und verändern. Umgekehrt ist jede Rezeption ein Akt der Klärung und Entscheidung auf seiten des Rezipienten, durch den dieser die Texte konstituiert und somit zugleich seinerseits zu deren ,Vater’ wird. Im Zusammenwirken von Text und Rezipient entscheidet sich daher, ob der Akt des Lesens zu Befreiung und Hoffnung oder zu Verfehlung und ’collaps of meaning’ (215) führt.

Es folgen noch ein Anhang, in dem textliche Einzelprobleme zu 2Sam 14 diskutiert werden (216-221), eine Bibliographie (222-230) sowie ein Register der Namen, Sachen und Bibelstellen (231-238). - Der Vf. hat sehr gründliche Arbeit geleistet und sich bemüht, die theoretischen Grundlagen seines Vorgehens umfassend darzulegen. Auch die Ergebnisse seiner Untersuchungen der Einzeltexte sind beachtenswert. Zu fragen ist allerdings, ob dem Schwur in 2Sam 12,5 ein so großes Gewicht beigemessen werden muß, wie der Vf. betont, da seine Interpretation ja erheblich von dem Vergleich mit 2Sam 14 als Bezugstext abhängt und dies eine strikt synchrone Betrachtungsweise erfordert. Hier besteht doch ein Systemzwang, der die Gefahr der Einebnung unterschiedlicher Akzentuierungen und einer Bevormundung von Texten mit sich bringt.

Ingesamt ist die Arbeit etwas unübersichtlich, da der Vf. eine Fülle von Aspekten auf unterschiedlichen Ebenen diskutiert und sich infolgedessen mancherlei Wiederholungen und Modifizierungen ergeben. Hier wäre eine stärkere Straffung und Konzentration wünschenswert gewesen. Doch führt die Arbeit in ihrer vorliegenden Form sehr instruktiv in aktuelle linguistische und literaturwissenschaftliche Fragestellungen ein.

Fussnoten:

1) David y la mujer de Tecua: 2 Sm 14 como modelo hermenéutico. Bibl 57, 1976, 192-205.