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Ausgabe:

November/2016

Spalte:

1289–1291

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Dober, Hans Martin

Titel/Untertitel:

Von den Künsten lernen. Eine Grundlegung und Kritik der Homiletik.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2015. 248 S. = Arbeiten zur Pastoraltheologie, Liturgik und Hymnologie, 83. Kart. EUR 60,00. ISBN 978-3-525-62433-3.

Rezensent:

Albrecht Grözinger

Hans-Martin Dober hat ein streitbares Buch geschrieben, das einen anspruchsvollen Theorierahmen setzt, wie bereits der Untertitel Eine Grundlegung und Kritik der Homiletik anklingen lässt. Die hier vorgetragenen Überlegungen gehen auf in Tübingen gehaltene Vorlesungen zurück. Dies ist der Sprachgestalt des Buches durchaus noch abzuspüren.
Nicht alle Passagen sind gleich konzise geraten. An vielen Stellen schimmert noch das offensichtlich unter Zeitdruck nur wenig überarbeitete Vorlesungsmanuskript durch. Das vermag jedoch der Argumentation insgesamt kaum zu schaden.
D. geht von einem Unbehagen aus, das er bereits im Vorwort benennt und das das ganze Buch wie ein roter Faden durchzieht. Es resultiert aus der sicher nicht unberechtigten Beobachtung, dass im »Eifer der Neuentdeckung der Künste als Paradigmen für die Predigtarbeit immer wieder der Bezug zur Tradition in begriffliche Un­schärfe geraten« (11) sei. Es ist der Mangel an theoretischer Fundierung, der zu den Defiziten gegenwärtiger Predigtpraxis und der sie begleitenden Theorien führt. Auf der an­deren Seite sieht D. ge­nau, dass die Anrufung der Tradition oder auch die Erinnerung an sie allein die gegenwärtigen Defizite nicht zu beheben vermögen.
Das Buch ist von der These geleitet, dass es gerade die Diskussion um die Bedeutung der Künste für die Predigt sein kann, die zu einer grundlegenden Theorie der Predigt führen kann. Dabei ist es vor allem das rezeptionsästhetische Paradigma, das in dem vor allem von Martin Nicol entwickelten Programm einer »dramaturgischen Homiletik« seine Zuspitzung findet, welches D. kritisch in den Blick nimmt. Er unterstellt diesem Konzept einen Inhaltsverlust ebenso wie eine Orientierung primär an der Wirkung der Predigt. Dies geschieht keinesfalls nur thetisch, sondern D. argumentiert durchgängig. Dies ist zu würdigen, auch wenn man den vorgebrachten Argumenten selbst nicht immer zu folgen vermag.
Vor Jahren bereits hat der Literaturwissenschaftler George Steiner – der in dem zitatenreichen und anspielungsreichen Buch merkwürdig absent ist – seiner Studie Von realer Gegenwart den Untertitel gegeben Hat unser Sprechen Inhalt? Das Buch von D. rückt diese Frage in den homiletischen Kontext: Hat unsere Predigt Inhalt? Nun wird jeder Prediger, jede Homiletikerin diese Frage auf jeden Fall bejahen. Wer diese Frage dennoch stellt, der provoziert. Und das weiß D. genau. Und deshalb setzt gerade an dieser Stelle der eigentliche Diskursweg des gesamten Buches ein (Kapitel 2). Der Predigt geht es um das Wort Gottes. Auch diese Aussage ist, in dieser Weite formuliert, gegenwärtig durchaus homiletisch konsensfähig. D. gibt dieser Aussage jedoch eine klare Kontur in einem doppelten Sinne: Wenn in Joh 1 von der Inkarnation des göttlichen Logos die Rede ist, dann kann dies in zweifacher Hinsicht homiletisch fruchtbar gemacht werden. A) Im Rahmen der antiken Philosophie ist an die Doppelsinnigkeit von logos als Wort und Vernunft zu erinnern. Es geht um die Sprachgestalt des logos, der aber als ein WortSinn zu bestimmen ist. Um diesen Sinn geht es D. Wo dieser Sinn nicht in einer Predigt erkennbar wird, ist sie vergebliche Predigt. B) Im Neuen Testament ist logos durch und durch inkarnatorisch gedacht. Der logos ist gebunden an die sinnliche Existenz von Jesus dem Christus. Diesem so bestimmten logos sinnhafte Sprachgestalt zu geben, ist die Aufgabe der Predigt.
D. erörtert diese Aufgabe – und das gibt dem Buch in der gegenwärtigen homiletischen Diskurslandschaft seinen eigenständigen Platz und Rang – primär in der Auseinandersetzung mit Philosophen jüdischer Provenienz: Hermann Cohen, Eugen Rosenstock-Hussey, Franz Rosenzweig und (natürlich!) Walter Benjamin, denen gelegentlich noch Emmanuel Levinas an die Seite gestellt wird. Hier ertönt in dem Buch in der Tat ein neuer Klang, der so intensiv bisher in der deutschsprachigen Homiletik nicht zu hören war. Darin sehe ich das primäre Verdienst dieses Buches für die weitere Fachdiskussion. Hier ist in der Tat viel zu lernen und daran weiterzudenken.
Wenn es der Predigt um den logos geht, dann geht es letztlich um die in diesem logos begründete Wahrheit. Dabei entwickelt D.– wiederum in enger Anlehnung an seine jüdischen Gesprächspartner – einen durch und durch personalen Wahrheitsbegriff, der sich zugleich als pluralismusfähig erweisen kann:
»Es liegt hier [sc. in Franz Rosenzweigs Stern der Erlösung] eine Theorie wenigstens zweier Wege zur einen Wahrheit vor, die Wege des Judentums und des Christentums. Die eine Wahrheit ist aber einzig bei Gott. Diese beiden ›positiven‹ Religionen führen ein Reflexionspotential mit sich, das es erlaubt, den eigenen – sei es christlichen, sei es jüdischen (und man wird ergänzen müssen: auch den islamischen) – Wahrheitsanspruch zu begrenzen auf eine Bewährung, die nicht in menschlicher Hand allein liegt, sondern in dem Maße gelingen kann, indem die Ausrichtung auf Gott, der die Wahrheit ist, aufrecht erhalten wird.« (209)
Diese personale Wahrheit ist der Inhalt der Predigt. Dies ist die piece de resistance der gesamten Argumentation des Buches, der D. eine durch und durch polemische Kontur gibt, wenn er die These formuliert, dass das ästhetische Paradigma in der Homiletik in der ständigen Versuchung ist, diese Wahrheit zu verlieren. Demgegenüber führt D. erneut das rhetorische Paradigma ins Feld, das primär an Sinn und Inhalt orientiert ist. Zeigt sich hier ein Trend? Bereits Wilhelm Gräb hat ja in seiner Predigtlehre aus dem Jahre 2013 mit starken Argumenten das rhetorische Paradigma gegen das (rezeptions-)ästhetische Paradigma zu stärken versucht. Ist Gräb dabei eher an dem von Schleiermacher ausgehenden Kulturprotestantismus orientiert, den auch D. durchaus in Grenzen zu würdigen vermag, so ist das hier zu besprechende Buch weitaus mehr an der klassisch-lutherischen Unterscheidung von Gesetz und Evangelium sowie an dem ebenso klassischen homiletischen Duo von explicatio und applicatio orientiert. Dass sich zwei so unterschiedliche homiletische Ansätze zeitnah für das rhetorische Paradigma in der Homiletik so stark machen, sollte aufhorchen lassen.
Der polemische Grundzug des Buches macht die Lektüre spannend und zum Teil auch amüsant. Aber wer provoziert, das weiß D., provoziert immer auch den Widerspruch, die Ge­gen-Provoka-tion, die wohl nicht lange auf sich warten lassen wird. So befinden wir uns gegenwärtig – nicht zuletzt auch durch D.s Buch befördert– an einer Weggabelung des homiletischen Diskurses, der so­wohl Grabenkämpfe provozieren kann, aber auch zu neuen Aufbrüchen jenseits der alten Diskurskonstellationen führen könnte.