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Ausgabe:

November/1999

Spalte:

1112–1114

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Pola, Thomas

Titel/Untertitel:

Die ursprüngliche Priesterschrift. Beobachtungen zur Literarkritik und Traditionsgeschichte von Pg.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Verlag 1995. 445 S. gr.8 = Wissenschaftliche Monographien zum Alten und Neuen Testament, 70. Lw. DM 148,-. ISBN 3-7887-1503-0.

Rezensent:

Ludwig Schmidt

In seiner für den Druck erheblich gekürzten Tübinger Dissertation von 1992/93 greift der Vf. in die Diskussion um die Priesterschrift ein, die in der neueren Pentateuchforschung zunehmend an Interesse gewinnt. Er hält daran fest, daß es eine selbständige Priesterschrift gab. Ihr Grundbestand (Pg) sei in (spät)exilischer Zeit entstanden (44 ff.). Während aber die meisten Vertreter einer Quellenschrift P im Anschluß an M. Noth ihren Schluß in dem fragmentarisch erhaltenen priesterlichen Bericht von dem Tod des Mose sehen (Dtn 34,1a*.7-9), endete sie nach dem Vf. bereits mit der Errichtung des Heiligtums am Sinai durch Mose (Ex 19,1; 24,15b-18a; 25,1.8a.9; 29,45 f.; 40,16.17a.33b). Literarisch und traditionsgeschichtlich sei Pg von der Ezechieltradition abhängig, in der der Kult am Zion das Ziel des Geschichtshandelns Jahwes sei. In Pg sei der Sinai "als Zion in Gestalt des traditionellen Sinai" verstanden (273).

Nachdem Vf. bereits in "Das Problem" (13-15) seine These angedeutet hat, geht er zunächst in "I. Ausgangspunkt und Verfahren der Untersuchung" (17-50) auf den Stand der Forschung zu P ein und beschreibt sein Vorgehen und seine literarkritischen Voraussetzungen. Darauf begründet er in "II. Untersuchung der in den Büchern Num, Dt und Jos zu Pg gerechneten Texte" (51-146), warum hier Pg nicht mehr vertreten ist. Seine wesentlichen Argumente sind (vgl. die Zusammenfassung 145 f.): In der Grundschicht von Num 1-4 und den herkömmlich P zugewiesenen Stücken der Kundschaftergeschichte (Num 13 f.*) sei die Gemeinde nicht mehr wie in der Stiftshüttenperikope Kultgemeinde, sondern eine "ecclesia militans", die auf eine kriegerische Landnahme zugehe. Die ab Num 1 Pg zugeschriebenen Texte seien weder durch Itinerarangaben noch durch eine mit Pg vergleichbare Chronologie miteinander verbunden. In Dtn 34 gingen die für Pg in Anspruch genommenen Stücke auf eine Bearbeitung zurück. Da auch die priesterliche Schicht in Ex 16 nicht zu Pg gehöre (143 ff.), vertrete Pg eine ideale Anthropologie, die erst "in den nachexilischen ,Murrerzählungs’-Zusätzen zu Pg komplementär durch eine negative Anthropologie ergänzt" worden sei (146).

Der Vf. untersucht ausführlich "Die Varianten der Befehlsausführungsformel in P" (116-144). Für die Ausführung eines Befehls seien bei Pg zwei Typen zu unterscheiden. In Typ A werde die gehorsame Ausführung durch einen ausführlichen Bericht ohne Ausführungsformel ausgedrückt. Der Typ B enthalte eine Ausführungsformel, die in ihrer vollen dreigliedrigen Form laute: "Da tat N.N. wie/gemäß allem, was Jahwe geboten hatte N.N., so tat er". Diese Vollform schließe bei Pg einen Ausführungsbericht aus (z. B. Gen 6,22). Die ersten beiden Glieder würden hier aber auch als abschließende Unterschrift zu einem Ausführungsbericht gebraucht (z. B. Gen 7,16) (116-118). "Die Ausführungsformel als Überschrift ist daher geradezu ein Kennzeichen sekundärer P-Texte" (117 Anm. 322).

Nachdem die literarkritische Analyse ergeben hatte, daß ab Num 1 nicht mehr mit Pg zu rechnen ist, will der Vf. in "III. Zur traditionsgeschichtlichen Stellung von Ezechiel 20" (147-212) zeigen, daß Pg traditionsgeschichtlich die Ezechieltradition voraussetzt. Für Ezechiel und seine Schule sei der Zion in seiner kultischen Bedeutung das Ziel der Geschichte, wie sich aus Ez 20,30 ff. ergebe. Deshalb sei "für Pg eine Darstellung zu erwarten, die ebenfalls den Zion als Erfüllungsort und damit als Endpunkt der gesamten Offenbarungs- und Heilsgeschichte hervorhebt" (212). Ez 20 sei außer einigen Glossen literarisch einheitlich (156). Im Unterschied zu früheren prophetischen Geschichtsrückblicken sei hier die Geschichte "Offenbarungsgeschichte". Neu sei auch, daß Israel bereits in Ägypten von Jahwe abfalle. Deshalb werde hier die Namensoffenbarung vom Sinai nach Ägypten verlagert. Beides werde von Pg vorausgesetzt (208 f.). Auch der reformierte Volksbegriff Ezechiels, wonach das Gottesvolk nicht ethnisch zu bestimmen sei, habe auf die Darstellung Israels als ,Gemeinde’ in Pg eingewirkt (210).

In "IV. Das Ende von Pg" (213-298) rekonstruiert der Vf. den Schluß von Pg. Dazu gehöre die Ausführungsformel in Ex 40,16, wonach Mose den Auftrag Jahwes in 25,1.8a.9 zur Anfertigung eines Heiligtums vollzog (228 f.). Das habe Jahwe dort ursprünglich Mose selbst geboten, wie LXX bestätige. Die jetzige Fassung, nach der die Israeliten das Heiligtum und seine Geräte machen sollen, sei erst unter dem Einfluß des sekundären Abschnitts 25,2-7 entstanden (261 f.).

Da die direkte Schau des himmlischen Urbildes des Heiligtums durch Mose in 25,9 mit den detaillierten Anweisungen ab 25,10 konkurriere, seien 25,10-29,44 spätere Erweiterungen (253). Das gelte auch für "das Zelt der Begegnung" als transportables Heiligtum (vgl. z. B. 242). Erst in 29,45 f. komme wieder Pg zu Wort. Zu dem Auftragsbericht in Pg gehöre somit nur Ex 19,1; 24,15b-18a; 25,1.8a.9 (mit Textänderung); 29,45 f. (264 f.). Für Pg erfülle sich mit der Ankunft der Israeliten in der Wüste Sinai (Ex 19,1) die Landverheißung. Deshalb würden die Israeliten nicht vom Sinai weiterziehen. Das Heiligtum sei "(noch) nicht transportabel gedacht" (273). Mit seiner Darstellung berichte Pg "die (retrojizierte) Erfüllung" der Ver-heißungen in Ez 37,26-28. Die Ansetzung dieser jüngeren Fortschreibung von Ez 37,15 ff. in der Exilszeit sei "denkbar" (277 f.). Der Ausführungsbericht bestehe bei Pg aus Ex 40,16. 17a.33b (291 f.). Da in Pg nicht erzählt werde, daß Mose vom Berg herabstieg, habe Mose den Befehl Jahwes auf dem Berg ausgeführt. Die Herrlichkeit Jahwes scheine bei Pg unverändert auf dem Berg zu bleiben (295 f.).

In "V. Synthese" (299-349) faßt der Vf. seine Ergebnisse zusammen und führt sie weiter. In Pg werde für die Gegenwart Jahwes eine Präsenztheologie vertreten (319 ff.). Die Erscheinungs- und Sühnetheologie gehöre dagegen zu jüngeren Schichten. Das entspreche dem Verfassungsentwurf in Ez 40 ff., der ursprünglich nur eine Beschreibung des Heiligtums enthalten habe (Ez 40-42*) und erst später durch sühnetheologische Zusätze (Ez 43,18 ff.; 45,18 ff.) erweitert worden sei (315 f.). In Pg bilde der Zionskult als Ziel der Geschichte mit der Darstellung der Schöpfung in Gen 1,1-2,4a eine inclusio. Das ergebe sich aus dem Tagesschema in Ex 24,16, der Formulierung "da beendete Mose die Arbeit" in 40,33b, mit der Gen 2,2 aufgenommen werde, und dem Begriff "Heiligtum" in 25,8a (vgl. das Verb "heiligen" in Gen 2,3) (325 ff.). Diese inclusio bestätige, daß der Grundbestand der Stiftshüttenperikope das Ende von Pg bilde. Dafür spreche auch, daß hier der Höhepunkt des Werkes liege und daß in den Formeln von Ex 29,45 f. und 40,16.17a.33b Leitmotive aufgenommen würden, die die Darstellung von Pg durchziehen (344).

Es folgen ein englisches "Summary" (351-354), ein "Anhang" mit Tabellen (355-367), das Literaturverzeichnis (368-431) und ein Register (432-445), das in Sachregister, Register der genauer behandelten hebräischen Wörter und Stellenregister gegliedert ist.

Trotz der gründlichen Untersuchung des Vf.s sprechen aber m. E. verschiedene Beobachtungen dagegen, daß die Priesterschrift ursprünglich in der Sinaiperikope endete. In Gen 17,8 wird Abraham für sich und seine Nachkommen das ganze Land Kanaan als Besitz zugesagt. Darauf beziehen sich Gen 28,4; 35,12 (48,4) und Ex 6,8. Es ist unwahrscheinlich, daß für Pg die Wüste Sinai zu dem Land Kanaan gehörte. Dann hat Pg mit Ex 19,1 nicht die Erfüllung der Landverheißung berichtet. Das legt es nahe, daß Pg von dem Weg der Israeliten nach dem Sinai erzählte, auch wenn es der Erklärung bedarf, daß hier eine Darstellung der Landnahme fehlte.

Gegen die literarische Differenzierung, die der Vf. zwischen Israel als reiner Kultgemeinde in Pg und als "ecclesia militans" in Erweiterungen vornimmt, spricht die Bezeichnung der Israeliten als "die Heerscharen Jahwes" in Ex 7,4 und 12,41. Da 12,41 als Bericht von dem Auszug aus Ägypten fest in Pg verankert ist, wird man den Ausdruck gegen den Vf. (60 Anm. 54) auch in 7,4 nicht einem Bearbeiter zuschreiben können. Schon nach Pg waren also die Israeliten auch "die Heerscharen Jahwes". Waren sie damit nicht "eine ecclesia militans"? Entgegen der Auffassung des Vf.s (304 f.) läßt sich z. B. der priesterliche Faden in Num 13 f. m. E. nicht als Bearbeitung "einer jehowistisch-dtr Vorlage" erklären. Er bildet vielmehr eine Parallele zu der jehowistischen Darstellung. Es gibt somit Indizien dafür, daß Pg noch in Numeri vertreten ist. Der Vf. überschätzt auch die Befehlsausführungsformel als literarkritisches Kriterium. Sie leitet in Gen 50,12 und Ex 7,10 bei Pg einen Ausführungsbericht ein. Für den Vf. (117 Anm. 322) geht sie zwar an diesen beiden Stellen möglicherweise auf Ps oder eine Überarbeitung zurück, aber das begründet der Vf. lediglich damit, daß die Formel bei Pg nicht in Überschriften vorkomme. Das ist ein Zirkelschluß.

Auch die These, daß Pg in der Sinaiperikope von der Ezechieltradition abhängig ist, bedarf der Überprüfung. Ez 37,26-28 dürfte z. B. kaum noch in der Exilszeit entstanden sein. Dann war dieser Abschnitt schwerlich die Vorlage für die dem Vf. zufolge spätexilische Grundschrift von P.

Die Anfragen zeigen, daß der Vf. eine interessante und anregende Untersuchung vorgelegt hat, an der die weitere Forschung nicht vorübergehen kann.