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Ausgabe:

November/1999

Spalte:

1110–1112

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Koole, Jan L.

Titel/Untertitel:

Isaiah. Part 3, Vol. 2: Isaiah 49-55.

Verlag:

Leuven: Peeters 1998. XXV, 454 S. gr.8 = Historical Commentary on the Old Testament. Kart. BEF 1800. ISBN 90-429-0679-0.

Rezensent:

Hans-Jürgen Hermisson

Erfreulich rasch folgt die englische Übersetzung des zweiten Bandes von J. L. Kooles Deuterojesaja-Kommentar (Original 1990 in der Reihe COT); die Vorlage ist in allem Wesentlichen unverändert, aber durchgesehen und bibliographisch ergänzt. Was in der Besprechung der Übersetzung des ersten Bandes (ThLZ 123, 1998, 850-852) bereits im Blick auf den ganzen vorliegenden Kommentar gesagt wurde, muß hier nicht wiederholt werden; in einem Satz: Der die Literarkritik referierende,1 aber durchweg mit Gründen ablehnende Kommentar hat sein Gewicht in der sorgfältigen philologischen, semantischen und exegetischen Untersuchung der Texte sowie in der kenntnisreichen Vorstellung der Auslegungsgeschichte. Die literarischen Probleme werden im zweiten Teil des Deuterojesajabuches erheblich gravierender, z. B. in 51,1-8 oder 52,3-6 (sofern man dem Propheten diesen Teil nicht insgesamt abspricht), aber sie werden hier alle als lösbar angesehen.

Darüber hinaus ist bemerkenswert, daß K. zwar die "kleinen Einheiten" des Buches formal und textgeschichtlich gegeneinander abgrenzt, sie aber nicht als ursprünglich selbständige "Redeeinheiten", sondern als Elemente des Buchzusammenhangs auslegt. Das ist gleich am Beispiel der Gottesknechtstexte zu zeigen; grundsätzlich bedeutet es: Es geht nicht mehr um die- mögliche - mündliche Verkündigung des Exilspropheten (an dem K. mit Recht festhält), sondern um das vorliegende Buch, das dann wohl vom Propheten verfaßt sein muß.

Prinzipiell muß man dem Verfahren zustimmen, auch wenn man nicht alles auf den Propheten zurückführen kann: In der Tat sind viele Texte jetzt mehr oder weniger in ihren Buchkontext eingebunden und bekommen dadurch einen (partiell) neuen oder doch zumindest weiteren Sinn. Man muß nur fragen, ob das eine einheitlich durchgehende Sinngebung ist oder ob nicht mehrere Hände mit unterschiedlichen Akzentsetzungen am Werk waren.

Die Gottesknechtslieder sind dafür erhellend. Es spricht einiges dafür, daß sie im Buchkontext - zumindest in einer be-stimmten Schicht - "kollektiv" vereinnahmt wurden. K. hält aber m. E. mit Recht an der individuellen Deutung des Knechts der Lieder fest und sieht, daß diese Texte einen eigenen Zusammenhang bilden. Sollten sie dann nicht auch einmal beieinander gestanden haben? Und wäre ihr Primärsinn nicht aus diesem Kontext und darüber hinaus der gesamten Botschaft des Propheten, aber nicht aus ihrem jetzigen Ort im Buch zu bestimmen? Der doppelte Kontextbezug setzt ein einigermaßen kompliziertes literarisches Gebilde des (einen) Buchautors voraus, wer immer das gewesen sein mag. Freilich wird das heute überall da angenommen, wo man das Deuterojesajabuch als ein Gesamtkunstwerk, etwa in dramatischer Gestaltung, interpretiert (z. B. in dem wichtigen Kommentar von W. A. M. Beuken oder in den Deuterojesaja-Arbeiten von H. Leene und T. N. D. Mettinger). Eine redaktionelle Sinngebung, die nicht das ganze Buch umfassen muß, scheint mir die leichtere Erklärung zu sein.

Das betrifft die Auslegung der Gottesknechtslieder, weniger ihre unmittelbaren Kontexte, die ihnen zugeordnet oder auf sie hin geschrieben sein können. Da das zweite Gottesknechtslied (49,1-6 mit der Fortsetzung in 49,7-12/13) diesen Teil der Auslegung eröffnet, ist mehrfach auf Jes 48 zurückzublicken, und daß die seltsame Verszeile 48,16b mit dem unvermittelten "Ich" eines Gesandten bereits auf den Gottesknecht hinweisen will (übrigens gewiß nicht auf Israel als Gottesknecht), ist einigermaßen wahrscheinlich (4, vgl. Bd. III/1, 591 f.). Auf Israels in Jes 48 explizierten Unglauben bezieht sich (jetzt) 49,4. Problematischer ist ein Argument gegen die "autobiographische" Deutung aus dem Buchkontext: Die Neubeauftragung zur universalen Verkündigung nach 49,5 f. könne nicht für den Propheten gelten, der solche Verkündigung schon in Kap. 45 vorgetragen habe (14). Da müßte der Prophet seine Offenbarungserlebnisse exakt in zeitlicher Reihenfolge verzeichnet haben.

Ebenso wird das dritte Gottesknechtslied 50,4-9, dem V. 10f. original zugerechnet wird, im Zusammenhang des ganzen Kapitels verstanden. Das ist erwägenswert, aber m. E. nicht ohne redaktionsgeschichtliche Differenzierung: Es ist schwer vorstellbar, daß 50,1-11 in einem Zuge verfaßt worden sein sollten. Jetzt erscheint 50,1-3 nach K. als ein Gerichtswort über Israel (V. 2 f.), das der Knecht - anders als Israel - in 50,4-9 im Vertrauen auf Jahwe akzeptiert. V. 10 f. soll sich nicht allein auf das Leiden des Knechts, sondern auf das Gericht von V. 2 f. zurückbeziehen.

Schließlich zeigt sich auch beim letzten Gottesknechtslied das Problem einer Auslegung im Buchkontext. Wenn 53,1 und 52,10 von der "Enthüllung des Armes Jahwes" sprechen, soll das in der jetzigen Textfolge gewiß aufeinander bezogen werden, und wieder liegt die kollektive (Um)deutung des Knechts nahe. K. weist sie mit guten Gründen ab und erklärt den Bezug mit der Rolle des Knechts bei Israels Wiederherstellung (259). Aber kann man Israels Unverständnis in 53,1b damit erklären, daß ihm verborgen geblieben sei, was alle Welt nach 52,10.15 bereits gesehen habe (277)? "The revelation was in fact given" (ebd.) - aber gegeben war die Botschaft von Jahwes sich aller Welt offenbarender Machttat. Wenn das im Blick auf den Knecht die Botschaft von seiner Erhöhung und Erniedrigung nach dem vierten Gottesknechtslied ist (so 278), stehen doch Erhöhung und Anerkennung durch die Völker noch aus. Solche Differenz verliert freilich an Gewicht, wenn der Gottesknecht selbst eine künftige Gestalt ist, wie K. annimmt, und das ganze Geschehen für Deuterojesaja noch in der Zukunft liegt. Deutlich steht für K. eine christologische Deutung im Hintergrund - so schon zu Jes 49,1 ff., wenn durch das Werk des Knechts an der Welt zuletzt das Werk an Israel glückt (mit Verweis auf Röm 9-11, S. 3), oder hier, wenn nach den Völkern auch Israel die göttliche Rettungstat durch den Knecht, den "Schmerzensmann", sehen lernt (278). Aber war die Reihenfolge bei Deuterojesaja nicht umgekehrt? Gab es in seiner Erwartung noch Raum für eine künftige Rettergestalt? Und braucht eine christologische Deutung nicht eine weitergehende hermeneutische Besinnung?

Im übrigen ist die Auslegung von Jes 53 ein Beispiel für die besonnene und mustergültige Auseinandersetzung mit den zahllosen Deutungen gerade dieses Textes. Die vielen begründeten Einzelentscheidungen wird man wie bei jedem Kommentar zustimmend oder ablehnend, aber hier immer mit Respekt zur Kenntnis nehmen.

Auch die Übersetzung ist, soweit ich das beurteilen kann, wiederum gelungen; einige zufällig entdeckte Versehen sind in der Druckausgabe der ThLZ (124,1999,1112) notiert.

Fussnoten:

1) Die differenzierten redaktionsgeschichtlichen Untersuchungen von R. G. Kratz (Kyros im Deuterojesajabuch, FAT 1, 1991) und J. van Oorschot (Von Babel zum Zion, BZAW 206, 1993) sind noch nicht berücksichtigt.