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Ausgabe:

November/2016

Spalte:

1267–1269

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Lerch, Magnus

Titel/Untertitel:

Selbstmitteilung Gottes. Herausforderungen einer freiheitstheoretischen Offenbarungstheologie.

Verlag:

Regensburg: Verlag Friedrich Pustet 2015. 483 S. = ratio fidei, 56. Kart. EUR 47,00. ISBN 978-3-7917-2678-6.

Rezensent:

Markus Knapp

Die Plausibilität der für die Theologie zentralen Kategorie der Offenbarung wird heute durch den Weltbildwandel in der Moderne und die ihm korrespondierende Ausbreitung eines nachmetaphysischen Denkens radikal in Frage gestellt. Der Offenbarungsgedanke erfordert es ja, die Möglichkeitsbedingungen einer Vermittlung zwischen Immanenz und Transzendenz zu klären, um dem Einwand zu begegnen, es handle sich dabei um einen Rückfall in ein mythologisches Denken. In besonders ambitionierter Weise hat sich dieser Herausforderung in jüngerer Vergangenheit der ehemalige Münsteraner Dogmatiker Thomas Pröpper gestellt auf der Grundlage eines transzendentalphilosophischen Freiheitsdenkens, wie es von Hermann Krings konzipiert worden ist. Pröpper erhofft sich davon, die Theologie mit dem entscheidenden Grundprinzip der Neuzeit zu versöhnen und sie auf dem Niveau ihres Freiheitsverständnisses zu betreiben.
In seiner in Bonn eingereichten dogmatischen Dissertation zeichnet Magnus Lerch nicht nur die Koordinaten des freiheitstheoretischen Offenbarungsmodells Pröppers nach, sondern auch dessen christologische und trinitätstheologische Fortschreibung durch seine Schüler Georg Essen und Magnus Striet. Neben einer detaillierten Analyse dieses Denkweges geht es L. um eine kritische Reflexion des freiheitstheoretischen Ansatzes; er sucht »einen dritten, differenzierten Weg jenseits einer pauschalen Zurückweisung wie auch einer allzu selbstverständlichen Übernahme der freiheitstheoretischen Konzeption einzuschlagen. Die bestimmende Sichtweise ist vielmehr eine solche, die im Medium der kritischen Analyse auf ›blinde Flecken‹ und hermeneutische Folgeprobleme aufmerksam zu machen versucht und doch an den für unverzichtbar gehaltenen Grundanliegen und Weichenstellungen Pröppers festhalten und somit im Blick behalten will, dass und inwiefern der Sachgehalt des christlich zentralen Gedankens ›Selbstmitteilung Gottes‹ im Horizont des neuzeitlichen Selbst- und Weltverständnisses begründbar und in seiner menschlichen Bedeutung explizierbar ist« (35).
In insgesamt sieben Kapiteln geht L. dieses Vorhaben an. Schlechterdings zentral sind dabei zwei Bestimmungen, die Pröppers dogmatisches Denken durchgängig prägen. Das ist zum einen die Bestimmung der Grundwahrheit des christlichen Glaubens, dass die Geschichte Jesu insofern Gottes Selbstoffenbarung ist, als in ihr der Erweis der unbedingt für den Menschen entschiedenen Liebe Gottes erfolgt. Das ist zum anderen die Bestimmung der theologischen Denkform, die es ermöglichen soll, die Denkbarkeit Gottes und seiner Offenbarung sowie die Ansprechbarkeit des Menschen darauf aufzuzeigen. Als die geeignete Denkform wird das transzendentalphilosophische Freiheitsdenken in Anspruch genommen, wie es vor allem von Hermann Krings konzipiert worden ist. Von diesen beiden Bestimmungen her kann Offenbarung als Vollzug der absoluten Freiheit Gottes gedacht werden, und zwar eben als seine Selbstmitteilung aufgrund des Inhaltes der Offenbarung, der in der Geschichte Jesu unbedingt entschiedenen Liebe Gottes. In diesem »Geschehen der Selbstmitteilung verbinden Frei heiten ihr ›Selbst‹ miteinander, wollen ›sich selbst‹ in der Be­stimmtheit durch die andere Freiheit« (163).
Mit Recht betont L., dass »die methodologische Zentralfigur des Freiheitskonzepts« (147) die elliptische Zuordnung von christlicher Grundwahrheit und Denkform, Offenbarung und Vernunft ist. Der transzendentalphilosophischen Freiheitsreflexion kommt dabei die Aufgabe zu, die Frage nach Gott so auszuarbeiten, dass der in der Geschichte Jesu erfolgende Selbsterweis der unbedingt entschiedenen Liebe Gottes als Antwort auf diese Frage verstehbar wird. In freiheitstheoretischer Perspektive sieht Pröpper das als gegeben an, insofern Freiheit transzendentalphilosophisch als formal unbedingt gedacht werden muss und sie daher in der freien Selbstmitteilung Gottes ihren adäquaten Gehalt findet, so dass sie sich in ihrer eigenen formalen Unbedingtheit unbedingt anerkannt weiß.
Die unbedingt entschiedene Liebe Gottes kann sich innergeschichtlich jedoch nur realsymbolisch vermittelt zur Geltung bringen, d. h. in einer endlichen, raum-zeitlich begrenzten Weise. Eben dies geschieht in der Geschichte Jesu, so dass die menschliche Freiheit Jesu die endliche, material bedingte Gestalt des unbedingten Entschlusses Gottes, sich selbst mitzuteilen, darstellt. In seiner christologischen Fortschreibung des Pröpper’schen Ansatzes hat G. Essen dann allerdings die formal unbedingte menschliche Freiheit Jesu mit der Freiheit des ewigen Sohnes identifiziert, um daran die Gottunmittelbarkeit Jesu und damit seine spezifische Personidentität festzumachen. Nach Essen lässt sich nur so sicherstellen, dass ausschließlich die Freiheit Jesu die Selbstmitteilung Gottes sein kann, »weil nur sie jene inhaltliche Bestimmung erfüllt, die für das Realsymbol bzw. Medium der Selbstmitteilung Gottes gefordert wurde: nämlich in unvermittelt-unmittelbarer Beziehung zu Gott dem Vater zu existieren« (287). So versteht Essen dann die Freiheitsgeschichte Jesu als irdisch-kenotische Fortbestimmung der ewigen Selbstidentität des Sohnes.
Es bleibt nun allerdings überaus fraglich, ob sich im Rahmen dieser christologischen Konzeption eine wahrhaft menschliche Freiheit Jesu überhaupt noch denken lässt oder ob diese nicht von der göttlichen Freiheit des Sohnes ganz absorbiert wird. Es ist dieses Problemfeld, auf das L. sich im Schlusskapitel konzentriert (zu weiteren Problemen, die sich von Pröppers Freiheitskonzept hinsichtlich des Selbstmitteilungsparadigmas ergeben, vgl. 377 f.). Sein Ziel dabei ist es, »vor dem Hintergrund der Realsymbolkategorie zu differenzieren zwischen der unvermittelten Unmittelbarkeit der Nähe Gottes, die den ewigen Sohn bestimmt, und der diese Unmittelbarkeit realsymbolisch offenbarenden, endlichen Willensfreiheit Jesu« (311). Zu diesem Zweck greift L. auf Karl Rahners offenbarungstheologische und symboltheoretische Überlegungen zu­rück, insbesondere auf dessen Proportionalitätsaxiom, wonach radikale Abhängigkeit und Eigenstand des von Gott Herkünftigen im gleichen und nicht im umgekehrten Maße wachsen. Er möchte dieses Axiom als vereinbar mit dem freiheitstheoretischen Ansatz erweisen, um präziser zwischen göttlicher (absolut gründender) und menschlicher (begründeter, kreatürlicher) Freiheit zu unterscheiden. Das erfordert, die formale Unbedingtheit der Freiheit nicht als vom endlichen Subjekt selbst hervorgebrachte und konstituierte zu denken, sondern als von Gott geschaffene. L. plädiert deshalb dafür, im Rahmen des freiheitstheoretischen Denkens die Rede von einer Selbstursprünglichkeit bzw. Selbstsetzung der Freiheit aufzugeben. Denn es »muss die durch das transzendentale Unbedingtheitsmoment gesicherte Spontaneität des Freiheits- aktes die weitere Bestimmung gerade nicht einschließen, dass sich Freiheit auch als formale selbstursprünglich generiert bzw. setzt« (428). Nach L. kann die Freiheit Jesu als Differenz-Einheit von göttlicher und menschlicher Freiheit gedacht werden, wobei seine menschliche Freiheit aufgrund seiner spezifischen Verbundenheit mit Gott dem Proportionalitätsaxiom entsprechend als einzigartig gedacht werden muss. Theologisch ließe sich dabei auf die neutes­tamentlich bezeugte Sündlosigkeit Jesu rekurrieren.
Der Wert der Arbeit besteht darin, dass sie den freiheitstheoretischen Ansatz und dessen Fortentwicklung in der Pröpperschule sehr genau und differenziert darstellt und auch kritisch auf problematische Folgeprobleme dieser Konzeption aufmerksam macht. Von diesem kritischen Blick konsequent ausgespart bleibt allerdings das idealistische Grunddogma dieses Ansatzes, wonach es Freiheit nur als formal unbedingte geben kann, sie ansonsten aufgehoben und alles determiniert wäre (vgl. 83.184). Dieses die ganze Konzeption tragende Axiom wird nicht in Frage gestellt und noch nicht einmal kritisch diskutiert, obwohl es angesichts der modernen Freiheitsdiskussion mehr als unplausibel ist. Der Gedanke einer (formal) unbedingten Freiheit erweist sich hier als »Fata Morgana« (P. Bieri), weil er den für jeden Freiheitsakt unerlässlichen Bedingungszusammenhang von Überlegen und Wollen ignoriert. Dieser fundamentalen Herausforderung des freiheitstheoretischen Ansatzes Krings’scher Provinienz stellt sich die vorliegende Arbeit leider nicht.