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Ausgabe:

November/2016

Spalte:

1265–1267

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Lassak, Andrea

Titel/Untertitel:

Grundloses Vertrauen. Eine theologische Studie zum Verhältnis von Grund- und Gottvertrauen.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2015. X, 233 S. = Religion in Philosophy and Theol-ogy, 83. Kart. EUR 59,00. ISBN 978-3-16-153942-8.

Rezensent:

Doris Hiller

»Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser« – so könnte das Unterfangen der im Zürich ausgearbeiteten Dissertation vordergründig plakativ zusammengefasst werden. Hintergründig differenziert kontrolliert Andrea Lassak im Rahmen des interdisziplinären Forschungsprojekts »Vertrauen verstehen« (2009–2013) die Verhältnisbestimmungen eines breit diskutierten Großbegriffs. Ziel der Arbeit ist die Modellierung des Begriffs in seinen Bezügen und Begründungszusammenhängen mit entsprechenden Kontrastierungen durch die Rede vom Gottvertrauen.
Notwendig ist diese kontrollierende Analyse, weil der im christlichen Glauben unbestreitbar dichte Bezug zu »Vertrauen« und die nahezu synonym verwendete Redeweise erst im 20. Jh. zu einem Forschungsgegenstand christlicher Theologie wurde. Beeinflusst ist dieses Forschungsinteresse durch die anthropologischen Be­griffsverstärkungen im Ur- bzw. Grundvertrauen. Auch die da­durch entstandenen begrifflichen Unschärfen hat die Vfn. durchgängig kontrollierend im Blick, bietet aber ihrerseits zahlreiche weitere Konturierungen, von denen vor allem Sinnvertrauen und Seinsvertrauen zum jeweiligen Prüfkriterium für die Rede vom Gottvertrauen werden.
Theologisch prominent wurde das Thema mit Wolfhart Pannenbergs »Anthropologie in theologischer Perspektive« (1983). Eingebunden in sein theologisches Gesamtwerk und in Abgrenzung zu Hans Küngs Argumentation arbeitet die Vfn. sich an dieser Position ab. Auch wenn sowohl Pannenbergs Argumentation als auch die Kritik seiner Gegnerschaft vielfach bekannt und bearbeitet sind, lohnt sich der Durchgang durch diesen Teil der Arbeit. Der Vfn. gelingt es, Pannenbergs wirkmächtiges Prinzip eines anthropologisch konstitutiven Grundvertrauens innerhalb seines Systems zu plausibilisieren und damit zugleich die Kritik daran zu schärfen. Außerdem macht die Vfn. deutlich, dass die Kritik an Pannenbergs System und an seiner These eines natürlich angelegten Grundvertrauens nicht aus der Frage entlässt, wie das Verhältnis von Grundvertrauen und Gottvertrauen theologisch zu bestimmen ist.
Um hier weiterzukommen, stellt die Vfn. in einem zweiten Teil ihrer Arbeit die wissenschaftlichen Modelle vor, die jeweils Aspekte dessen beschreiben, was unter »Grundvertrauen« subsumiert werden kann. Benannt werden: Kommunikatives Vertrauen (Knud E. Løgstrup), Sinn- und Logosvertrauen (Emil Angehrn), Fungierendes Vertrauen (Martin Endreß), Default Trust (Margaret U. Walker), Basal Security (Karen Jones), Basic Trust (Erik H. Erikson), Frühkindliches Urvertrauen (Brigitte Boothe), Generalisiertes Verlässlichkeitsvertrauen (Bernd Lahno), Neues Seinsvertrauen (Friedrich Bollnow), Primordial Trust (Paul Moyaert). Ziel dieses Durchgangs ist es, die metaphorische Mehrdimensionalität des Grundvertrauens aufzuzeigen, die wiederum einen einfachen Übertrag in religiöse und theologische Bezugssysteme verunmöglichen. Inter essant wäre jedoch auch, ob und wie diese Mehrdimensionalität durch religiöse und theologische Bezugssysteme beeinflusst ist. Hier entzieht sich die Vfn. einer eingehenden Kontrolle und schlägt stattdessen die Bündelung von zwei Sinnlinien vor, die das Grundvertrauen auszeichnen. Zum einen betont sie das Urvertrauen als frühkindlichen Erwerb bzw. Vollzug. Zum anderen unterstreicht sie ein Sinnvertrauen, das in der menschlichen Entscheidung gründet, ob Welt bedeutsam oder begreifbar ist. Der weitere – auch theologische – Umgang mit diesen Sinnlinien bedarf der hermeneutischen Sensibilität, um vorschnelle Übertragungen auf das Gottvertrauen zu unterbinden.
Konsequent folgt ein dritter Teil, der sich auf eine theologische Spurensuche nach dem macht, was als Gottvertrauen bezeichnet wird. Vier Bezugsfelder, deren biblischer Befund jeweils erschlossen wird, werden skizziert: unbedingter Vertrauensglaube, Heilsgewissheit, Vorsehungsglaube und Gottvertrauen als »Sein in der Liebe«. Allen Bezugsfeldern gemeinsam ist die Unverfügbarkeit der Zuneigung und Treue Gottes, die nicht aus einem allgemeinmenschlichen Bedürfnis heraus erschlossen werden kann. Dieses bestehende und unverbrüchliche Gottesverständnis im Glauben an die Verheißung Gottes wird mit der theologischen Begriffsverstärkung im Vertrauen als Gottvertrauen deutlich.
»Mit der Rede vom Gottvertrauen also wird der Seinsbezug des Menschen um eine wesentliche Sinndimension erweitert: Gott wird als entscheidendes Mehr an Sein zum Ausdruck gebracht.« (188) Mit dieser Zielthese schließt die Vfn. in einem vierten Teil ihre Arbeit ab. Verbunden ist diese These mit dem aus der Zürcher Schule bekannten hermeneutischen Konzept der von Gott her in die Wirklichkeit eingespielten Möglichkeit. Im Orientierungssystem des Glaubens erscheinen Sinn und Sein in anderem, verändertem und veränderndem Licht. Dies gilt insbesondere für die auf Vertrauen gründende Gott-Mensch-Beziehung, wobei ein besonderer Aspekt der Argumentation der Vfn. darin liegt, dass dieses Vertrauen wechselseitig besteht. Der Mensch vertraut Gott grundlos, weil er wider alle Erfahrung vertraut. Aber auch Gott vertraut dem Menschen grundlos, weil dieser ihm keinen Grund für Vertrauenswürdigkeit bietet. Gottvertrauen ist darum in jeglicher Hinsicht grundlos, aber niemals unbegründet. Insofern diese Begründung nicht eindeutig festgestellt ist, sondern in vielfältigen Deutungshorizonten erscheint, ist es nachvollziehbar, dass sich die Vfn. einer Wertung ihrer drei am Ende der Arbeit zusammengefassten Modelle zur Verhältnisbestimmung von Grund- und Gottvertrauen entzieht. Vorgeschlagen sind ein Alternativmodell (entweder Grundvertrauen oder Gottvertrauen), ein neues Grundvertrauen als Gabe oder ein grundloses Gottvertrauen als Kontrafaktizitätsmodell. Alle drei Modelle zielen darauf, Grundvertrauen und Gottvertrauen zu differenzieren. Darin findet die Ausgangsthese der Arbeit ihr argumentatives Ergebnis.
Einer hermeneutisch orientierten Arbeit dürfte aber einsichtig sein, dass die eigene Herangehensweise auch die Deutungsrichtung mindestens markiert. Auch wenn sie sich dieser bewusst ist und die Mehrdimensionalität der Deutungen offenlegt, ist mit der schon im Titel angelegten Zuspitzung auf ein »Grundloses Vertrauen« die gewollte Grundlinie des Weiterdenkens markiert. Insofern diese theologisch einsichtig entfaltet ist, kann dieses Weiterdenken allerdings unbedingt der Leserschaft anvertraut werden.