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Ausgabe:

November/2016

Spalte:

1263–1265

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Böttigheimer, Christoph

Titel/Untertitel:

Wie handelt Gott in der Welt? Reflexionen im Spannungsfeld von Theologie und Naturwissenschaft.

Verlag:

Freiburg i. Br.: Verlag Herder 2013. 335 S. Geb. EUR 24,99. ISBN 978-3-451-33266-1.

Rezensent:

Gregor Etzelmüller

Christoph Böttigheimer wendet sich einer Frage zu, die auch evangelischen Theologen öfters gestellt wird, die aber zurzeit – wie auch die zahlreichen Literaturzitate bei B. erkennen lassen – in der ka­tholischen Theologie stärker diskutiert wird.
So sehr die Frage nach dem Handeln Gottes in der Welt theologisch zentral ist, so wenig kann sie sich gegenwärtig auf Erfahrung beziehen: »In einer Welt, die aufgrund des naturwissenschaftlich-technischen Fortschritts zunehmend entzaubert und weltlich wird, begegnet der Mensch immer weniger einem in Welt und Geschichte handelnden Gott als vielmehr sich selbst und seinem eigenen Tun.« (26) In einem Zeitalter, das durch den methodischen Atheismus der Naturwissenschaften bis in die alltäglichen Lebenswelten hinein geprägt ist, müsse deshalb gefragt werden, »wie das Sprechen vom Handeln Gottes in der Welt mit naturwissenschaftlichen Theoriebildungen denkerisch zu vermitteln ist« (47). Angesichts der naturwissenschaftlichen Herausforderungen könne es nicht mehr bei einer friedlich-schiedlichen Trennung von Theologie und Naturwissenschaften als unterschiedlichen Sprachspielen bleiben. B. plädiert deshalb für »Dialog statt Trennung« (35–42), wobei sich durch die zunehmende Erkenntnis der »Nicht-Prognos­tizierbarkeit« komplexer Systeme (55–61) neue Möglichkeiten er­schließen.
Die Aufgabe der »Annahme einer lückenlosen Determiniertheit der Wirklichkeit« (55) hat aber auch Rückwirkungen auf das Gottesbild selbst: »Wenn wir wirklich die wissenschaftliche Sichtweise akzeptieren, daß es neben den deterministischen Vorgängen auch Zufallsereignisse gibt, denen das Universum ungeheure Gelegenheiten bietet, dann sieht es so aus, als könnte selbst Gott das Endergebnis nicht mit Sicherheit kennen. Gott kann nicht wissen, was nicht gewußt werden kann. Dies ist keine Einschränkung Gottes. Ganz im Gegenteil. Es offenbart uns einen Gott, der ein Universum erschaffen hat, dem eine gewisse Dynamik innewohnt und das somit am Schöpfungsakt Gottes teilnimmt«, zitiert B. den amerikanischen Jesuiten und Astronomen George Coyne (35). In den Zu­fallsprozessen erkennt B. einen »Ausdruck der gottgewollten Freiheit der Schöpfung« (125). Eine Theologie, die die von Gott selbst der Schöpfung eingeräumte Autonomie und Freiheit ernstnehme, könne – wie B. im Anschluss an den Jesuiten Belá Weissmahr betont (vgl. 166 f.) – »von keiner direkten, materiellen Interaktion Gottes mit der Welt ausgehen.« (126) Gottes Allmacht dürfe dann – durchaus im Anschluss an Biblisches (vgl. 226) – nicht mehr so gedacht werden, als wäre Gott »in jeder Hinsicht Herr der Ge­schichte« (228). Aufgrund der von Gott gewollten »Autonomie der eigengesetzlichen Natur« und der »Freiheit des Menschen« (126) geschieht, wie gerade die Kreuzigung Jesu verdeutlicht (vgl. 228), in der Welt vieles, was Gott nicht will.
B. unterscheidet in seiner Darstellung das schöpferische Handeln Gottes von dessen geschichtlichem Handeln. Diese Unterscheidung soll helfen, einerseits Gott in allem als lebenspendende Kraft gegenwärtig zu denken, ohne andererseits ein jedes Ereignis in seiner konkreten Gestalt unmittelbar auf Gott zurückzuführen. Gott sei »der fortwährende Grund aller Wirklichkeit« (146), ohne doch alle Wirklichkeit im Einzelnen zu bestimmen. Gott erhalte seine Schöpfung – und damit zugleich die dieser von Gott gewährte Freiheit (vgl. 165).
Gott sei aber nicht nur »transzendental-schöpferischer Ur­grund« der Welt (163), sondern bleibe in seinem Geist auf seine Schöpfung bezogen (vgl. 178). Konsequent wird Gottes geschichtliches Handeln deshalb pneumatologisch erfasst. Durch seinen Geist inspiriert und motiviert, richtet und lenkt Gott einzelne Menschen und Völker (vgl. 188.205) – und verändert so durch diese »auch das gesamte Weltgefüge« (189). Gott verlockt im Geist Menschen dazu, nicht nur zu wiederholen, was sie immer schon waren, sondern ihr Geworden-Sein zugunsten neuer Möglichkeiten zu transzendieren. Eben deshalb lässt sich das pneumatologisch beschriebene Wirken Gottes als innovatorisches, neuschöpferisches Handeln verstehen (vgl. 265 f.). Die vom Geist inspirierten Handlungen gehen »mit der Erfahrung des Über-sich-Hinauswachsens einher« (190). Wo Menschen durch Gottes Geist verlockt über sich selbst hinauswachsen, wird unerwartet Neues realisiert.
Mit dieser Sicht gelingt es B., die Rede vom geschichtlichen Handeln Gottes als gedeutete Erfahrung zu rekonstruieren: »Indem die Theologie die humanen Potentiale gesellschaftlich-kultureller Ereignisse im Licht des Glaubens herausarbeitet, verweist sie auf das Heilshandeln Gottes in der Geschichte der Menschen.« (215) Um hier aber unterscheiden zu können, welche realisierten Möglichkeiten als geistbedingte verstanden werden sollen, hätte man sich eine christologische Bestimmung von Gottes Geisthandeln gewünscht. Nicht alles Neue in der Geschichte sollte auf Gottes Geist zurückgeführt werden, sondern nur das, was dem Geist Jesu Christi entspricht. Das weiß selbstverständlich auch B., doch un­terbleibt die Entfaltung dieser zentralen Einsicht. Die Unterscheidung der Geister erfordert die Bestimmung des göttlichen Geistes als Geist Jesu Christi. Weil wir das Wirken dieses Geistes aber auch außerhalb der Kirche erkennen, kann man mit B. formulieren: »Das Messianische ist nicht auf die Kirche begrenzt.« (216)
Es gehört zu den Stärken von B.s Darstellung, dass sie in ihrer Redlichkeit die Frage nach dem Bittgebet nicht ausblendet, sondern am Ende explizit aufgreift. Konsequent der Spur seiner Argumentation folgend hält B. nur ein solches (Bitt-)Gebet für intellektuell »redlich und verantwortbar«, das »sich nicht auf ein direktes und unvermitteltes Eingreifen Gottes in Naturabläufe richtet« (294). Dass B. aber darüber hinausgehend die transformative Wirkung des Gebets nur als eine selbst-transformative Wirkung deutet: »Das Gebet verändert den einzelnen Menschen, seine Wahrnehmung und Handlungsorientierung und durch sein Handeln das Gefüge und die Struktur der Wirklichkeit« (287), scheint mir keineswegs eine notwendige Konsequenz seiner Ausführungen zu sein. Denn Menschen bitten ja nicht nur darum, dass Gott durch seinen Geist ihren eigenen Willen richte, sondern auch dafür, dass Gott mit seinem Geist bedrängend-irritierend-aufrichtend bei anderen gegenwärtig sei. Soll heißen: Christenmenschen bitten nicht um ein materielles Eingreifen Gottes, sondern um seinen Geist, der aber nicht nur ihnen, sondern auch anderen zugutekommen soll. Eben deshalb bedrängen sie Gott mit ihrem Gebet, seinen Geist auch dort wirken zu lassen, wo er betrübt und verscheucht worden ist, wo seine Gegenwart nicht mehr erkannt wird.
B.s Buch steht deutlich in Auseinandersetzung mit einem ka­tholischen Fundamentalismus, dem er den Glauben durchdenkend entgegenwirken möchte. Das zeigt sich an seinen Ausführungen zur Kirche, zur Allmacht Gottes, zum Wunder und zum Leiden. Gottes Wirken im Geist sei »nicht auf die Kirche begrenzt« (216). Gott könne »weder alles, noch alles, was er will.« (227) Der Glaube suche das Wunder nicht in der Durchbrechung des Naturgeschehens, sondern darin, dass Gott uns liebe (253). Gegenüber der Inschrift am Eichstätter Krankenhaus »Leid ist Gnade« betont B.: »Oft genug zerbrechen Betende am unfassbaren Leid.« (282) Wer anders als B. von Gottes Handeln schweigt, bleibt auch gegenüber fundamentalistischen, aber wirksamen Fehlabstraktionen sprachlos.
Der umfassendere Sitz im Leben von B.s Ausführungen ist freilich der spätmoderne Kontext, das Zeitalter der Naturwissenschaften. Das Buch bietet zahlreiche Perspektiven, wie man theologisch und d. h. immer auch: intellektuell redlich in der Spätmoderne von Gottes Handeln in der Welt reden kann. Man wünschte sich freilich noch ein zweites, das nicht nur thematisiert, wie Gott in der Welt handelt, sondern auch, wozu – mit welchem Ziel. Dazu aber wäre es notwendig, das konkrete geschichtliche Handeln Gottes in der Geschichte Israels und innerhalb dieser Geschichte: in Jesus Chris­tus zu thematisieren – als jenen Ort, an dem der Wille des in der Welt durch seinen Geist handelnden Gottes offenbar wird.