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Ausgabe:

November/2016

Spalte:

1261–1263

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Beintker, Michael, u. Martin Heimbucher [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Verbindende Theologie. Perspektiven der Leuenberger Konkordie.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie 2014. 249 S. = Evangelische Impulse, 5. Kart. EUR 24,99. ISBN 978-3-7887-2791-8.

Rezensent:

Thomas Fornet-Ponse

Dieser Sammelband dokumentiert die Vorträge einer Sommeruniversität, die anlässlich des 40-jährigen Bestehens der Leuenberger Kirchengemeinschaft im August 2013 in Emden stattfand. Das Anliegen dieser Sommeruniversität war, jenseits der in der Diskussion über die Leuenberger Konkordie vorherrschenden Themen »Kirchengemeinschaft« und »Zeugnis und Dienst« auch ihre zentralen anderen Fragestellungen – Rechtfertigungslehre, Abendmahlslehre, Prädestinationsverständnis, Taufverständnis, Christologie und Hermeneutik – in den Blick zu nehmen. Dementsprechend folgen nach einem Vorwort und der im Festgottesdienst gehaltenen Predigt des damaligen Präsidenten der GEKE, Friedrich Weber (†), neun Beiträge einschlägig bekannter Autoren zu diesen unterschiedlichen Aspekten und Perspektiven.
Von diesen widmen sich zwei Beiträge – von André Birmelé und Michael Beintker – aus eher historischer Sicht der Entstehung und Wirkungsgeschichte der Leuenberger Konkordie bzw. der Entwicklung von der Leuenberger Konkordie zur Gemeinschaft der Evangelischen Kirchen in Europa und den gegenwärtigen ökumenischen Dialogen und Herausforderungen. Deutlich wird dabei, wie tragfähig und prozesshaft das Einheitsverständnis der beteiligten Kirchen ist, eine Kirchengemeinschaft auf der Basis eines gemeinsamen Verständnisses des Evangeliums einzugehen, ohne die unterschiedlichen Traditionen, Geschichten, Bekenntnisformulierungen und Kontexte aufzugeben. Ungeklärt ist bislang noch, wie mit unterschiedlichen sozialpolitischen oder ethischen Positionen umgegangen werden soll.
Von den übrigen Beiträgen gehen fünf auf einzelne theologische Fragestellungen ein. Dabei arbeitet Ulrich H. J. Körtner in seinen Ausführungen über das gemeinsame Verständnis des Evangeliums und die Rechtfertigungslehre deutlich heraus, was für einen Fortschritt die Klärung dieser heutzutage unstrittig erscheinenden Frage darstellte. Er unterstreicht ihre zentrale und die Konkordie bestimmende Stellung und betont nach einer Besprechung der Einzelaussagen zur Rechtfertigungslehre ihre Gegenwartsbedeutung angesichts einer stärker werdenden Angst der Menschen vor Bedeutungslosigkeit sowie der Fragen nach Vergebung und An­nahme. – Die Abendmahlslehre der Konkordie mit ihrer Vorgeschichte – einsetzend mit den Differenzen im 16. Jh. über den Consensus Tigurinus als Beispiel eines Lehrkonsenses bis zu den Ar­noldshainer Abendmahlsthesen – wird von Matthias Freudenberg diskutiert. Er hebt besonders auf die christologische Grundlage, also die Verhältnisbestimmung der beiden Naturen Jesu Christi, sowie auf den geschichtlichen Wandel der Denkformen ab und nennt die von Jesus Christus ausgehende Initiative als einen entscheidenden und wegweisenden Aspekt des Abendmahlsverständnisses der Konkordie, ohne dabei ihren stärker lutherischen Grundzug oder die bleibenden innerprotestantischen Unterschiede in Verständnis und Praxis unerwähnt zu lassen. – Deutliche Unterschiede zwischen der Theologie der Reformatoren und der Konkordie diagnostiziert Jan Hoek im Bereich der Prädestinationslehre, da Luther und Calvin im Wesentlichen übereinstimmend von einer ewigen Verwerfung ausgehen, was von der Konkordie abgelehnt werde.
Bei seiner pneumatologischen Perspektive auf Glaube und Taufe argumentiert Henk van den Belt auch dafür, dass eine unterbestimmte Diskussion des Wirkens des Geistes in der Leuenberger Konkordie (sowie ihre Missdeutung als ein semikonfessionelles Dokument) einer der Gründe für die 2004 in den Niederlanden erfolgte Kirchenspaltung innerhalb der reformierten Kirche war. – Auch die Ekklesiologie bleibt nicht unerwähnt, wenn André Birmelé die Kirchenstudie der GEKE bespricht und dabei verschiedene Missverständnisse bezüglich des dort beschriebenen Einheitsverständnisses zurückweist, da ein klarer Maßstab angegeben werde, um die Vielfalt an Lehrgestalten zu begrenzen.
Schließlich sind noch die beiden hermeneutisch angelegten Perspektiven zu erwähnen: Michael Beintker widmet sich der ge­schichtlichen Bedingtheit kirchlicher Lehre, die sich einem Wandel der Denkformen verdankt, und sieht im gewählten Verfahren des Lehrgesprächs auf der Suche nach Übereinstimmungen und nicht nach einem neuen Bekenntnis Vorbildcharakter für die Ökumene, da damit gemeinsame Lernprozesse eingeleitet würden. – Ähnlich argumentiert Ulrich H. J. Körtner dafür, die Konkordie als ökumenisches Modell wahrzunehmen, da sie nicht nur echte Kirchengemeinschaft zwischen den zustimmenden protes­tantischen Kirchen erklärte, sondern darüber hinaus aktuell zwar nicht mit dem Einheitsverständnis der römisch-katholischen Kirche übereinstimme, eine Einigung aber von den Prinzipien her nicht völlig ausgeschlossen sei. Dies gilt besonders, da manche römisch-katholische Kritik an einem als »relativ locker« wahrgenommenen Verständnis der Kircheneinheit auf Missverständnissen beruhe.
Die Beiträge sind durchweg gut verständlich verfasst, so dass beispielsweise Personen, die mit den innerprotestantischen Dif-ferenzierungen nicht übermäßig vertraut sind, in diese gut ein-geführt werden und das ökumenische Potential der hermeneu-tischen Prinzipien – insbesondere der Unterscheidung zwischen Bekenntnis und Denkform – einschätzen und wahrnehmen können. Sie stellen mithin die Leuenberger Konkordie als ein wegweisendes Beispiel einer Erklärung von Kirchengemeinschaft dar, nach der bleibende Unterschiede als Reichtum des Christseins und Entfaltung der pluralen biblischen Überlieferung und nicht mehr als kirchentrennend angesehen werden können. Dies wird auch durch die Schattenseite der niederländischen Kirchenspaltung nicht substantiell unterlaufen. Demzufolge ist der Band nicht nur für evangelische, sondern auch für katholische Leser und Leserinnen zu empfehlen.