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Ausgabe:

November/1999

Spalte:

1107–1109

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Egger-Wenzel, Renate

Titel/Untertitel:

Von der Freiheit Gottes, anders zu sein. Die zentrale Rolle der Kapitel 9 und 10 für das Ijobbuch.

Verlag:

Würzburg: Echter 1998. 321 S. gr. 8 = Forschung zur Bibel, 83. Kart. DM 48,-. ISBN 3-429-01933-8.

Rezensent:

Markus Witte

Die vorzustellende Monographie geht zurück auf eine von O. Wahl und F. V. Reiterer begleitete und an der Philosophisch-Theologischen Hochschule der Salesianer Don Boscos, Benediktbeuern, angenommene Dissertation. Sie versteht sich als "Versuch einer biblischen Textanalyse des Buches Ijob" (5). Im Zentrum des Interesses steht dabei die Bestimmung der Funktion, die die dritte Hiobrede im Buchganzen erfüllt.

Die radikale Anklage Gottes als Frevler (rasac) in Hi 9,24 stelle einen ersten Höhepunkt innerhalb des Hiobdialoges dar. Gleichsam blicke die Forderung Hiobs nach dem ihm zustehenden Rechtsanspruch (mispat) in Hi 9,19 auf den zweiten Höhepunkt, die Konstatierung Hiobs, Gott entziehe ihm sein Recht, in Hi 27,2 voraus. Mittels ihrer juridischen Terminologie und speziell mittels der Frage, ob denn ein Mensch vor Gott gerecht (sdq) sein könne (Hi 9,2), sei die dritte Hiobrede mit allen Teilen des Buches verbunden (vgl. Hi 4,17; 15,14; 25,4; 34,17; 40,8). Den Kap. 9-10 komme daher eine Schlüsselrolle für eine Auslegung des gesamten Hiobbuches zu.

Die Arbeit bietet zunächst eine ausführliche textkritische Diskussion (12-28), die einerseits auf die Rekonstruktion des ältesten erreichbaren Textes von Hi 9-10 zielt, andererseits auf eine Darstellung forschungsgeschichtlich interessanter Emendationsvorschläge aus den vergangenen zwei Jahrhunderten. Dabei kommt die Vfn. zu dem Ergebnis, daß der von der BHS gebotene Text unverändert beibehalten werden könne und keiner Änderung bedürfe.

Zumeist begnügt sich die Vfn. mit einer unkommentierten Präsentation textkritischer Vorschläge. Für das frühmittelalterliche Targum greift sie noch immer auf die in der Londoner Polyglotte (1657) reproduzierte Ausgabe von J. Buxtorf (1618/ 1619) zurück, nicht aber auf die kritischen Editionen von F. J. Fernández Vallina (1982) und D. M. Stec (1994).

Auf die Textkritik folgt eine breit angelegte Untersuchung von Schlüsselworten im Buch Hiob, die konzentriert in den Kap. 9-10 auftauchen (29-119). So analysiert die Vfn. nacheinander jeweils hinsichtlich ihres statistischen Vorkommens und ihrer spezifischen Verwendung in den einzelnen Abschnitten des Hiobbuches die Derivate einzelner forensischer und kultischer Termini (sdq, tmm, sspt, rsc, htc und psc). Nach einem knappen Referat über den Forschungsstand arbeitet sie jeweils die Unterschiede heraus, die sich in der Verwendung der analysierten Begriffe im Gegenüber zu ihrem Gebrauch in den Reden der Freunde, Hiobs, Elihus und Jahwes und gegebenenfalls der Rahmenteile zeigen. Die Vfn. kommt hier zu dem Ergebnis, daß es sich bei der Hiobdichtung vornehmlich um einen Dialog zwischen Hiob und Gott, nicht um ein Streitgespräch zwischen Hiob und den Freunden über Gott handele. Die vermeintliche Gerichtssituation der Hiobdichtung sei ein Stilmittel des Autors, um die Stellung des Menschen in Glück und Unglück im Kontext des monotheistischen Glaubens an einen allmächtigen und allwirksamen Gott zu bestimmen.

Dieser Standortbestimmung diene auch die Symbolik der Termini Licht und Finsternis, die die Vfn., ausgehend von ihrer Verwendung in Hi 9-10, in einem eigenen Kapitel für das gesamte Hiobbuch skizziert (120-150). So gebrauche der Dichter die Begriffe Licht und Finsternis einerseits zur Beschreibung der existentiellen Chaoserfahrungen Hiobs, andererseits als Chiffren für den von den Freunden vertretenen Tun-Ergehen-Zusammenhang.

Nach diesen exkursähnlichen Darstellungen zentraler Begriffe und ausgewählter Motive der dritten Hiobrede, die sich zumeist auf Beschreibungen und auf die Referierung von Bekanntem (vgl. die entsprechenden Artikel im ThWAT) beschränken, unterzieht die Vfn. die 57 Verse von Hi 9-10 einer stilistischen und kompositionellen Untersuchung (151-173). Im einzelnen gliedert sie die dritte Hiobrede in die Teile 9,1; 9,2-4; 9,5-10; 9,11-18; 9,19-24; 9,25-33; 9,34-10,1; 10,2-7; 10,8-13; 10,14-17; 10,18-22. Abschnittsweise benennt sie die syntaktischen Phänomene, beschreibt zutreffend die vorliegenden Formen des parallelismus membrorum und zählt die verwendeten Stilmittel auf. (Auf metrische und strophische Fragen geht die Vfn. nicht ein. Eine Auseinandersetzung mit der wichtigen Studie von P. van der Lugt, Rhetorical Criticism and the Poetry of the Book of Job, OTS 32 [1995], findet leider nicht statt.)

In der sich anschließenden Auslegung von Hi 9-10 (174-281) nimmt die Vfn. je für sich die in der Stil- und Aufbauanalyse nach ihrer formalen Seite beschriebenen Abschnitte unter inhaltlichen Gesichtspunkten in den Blick. Dabei bietet sie jeweils den hebräischen Text, literarkritische Anmerkungen, Erwägungen zur Funktion des entsprechenden Abschnitts, eine Darstellung forschungsgeschichtlich interessanter Auslegungsschwerpunkte und eine eigene Interpretation. Eingebaut in die Einzelauslegung sind ein Exkurs zur Rezeption mythologischer Elemente in Hi 9,5-10, in dem die Vfn. relevantes Vergleichsmaterial aus der altorientalischen Umwelt des Alten Testaments nach den gängigen Übersetzungen zusammengestellt hat (181-199), und ein Exkurs zur Verwendung des Begriffs basar ("Fleisch", "Leib") im Hiobbuch (263-265).

Eine Übersetzung von Hi 9-10 (282-285) und ein Resümee (286-293) runden die Monographie ab. Die theologische Kernaussage lautet nach der vorgelegten Analyse der dritten Hiobrede und ihrer Rolle im Hiobbuch: "Gott und Mensch sind keine gleichwertigen Partner" (290). Gott sei in seiner Freiheit nicht berechenbar, aber verläßlich. Weil Hiob die Spannung zwischen Gottes Freiheit und eigener Begrenztheit akzeptiere und sich in der Erfahrung eigener Krisen zugleich um eine lebendige Beziehung zu dem bemühe, von dem seine ganzes Ergehen abhänge, werde er letztlich von Gott gerechtfertigt (vgl. Hi 42,7). In einem paradigmatischen Sinn leiste Hiob darüber hinaus stellvertretende Sühne für alle, die wie die Freunde von einem starren theologischen Schema mit einem manipulierbaren Gott ausgehen (vgl. Hi 42,8-10).

Im Mittelpunkt der sich auf die Interpretation der Endgestalt des Hiobbuches konzentrierenden Dissertation steht zwar nicht die Klärung der Literar- und Redaktionsgeschichte des Hiobbuches. Die Vfn. berührt aber diese Themenkomplexe im Kontext ihrer Wortfeldanalysen immer wieder. Allerdings schwankt sie selbst hinsichtlich der Aussagekraft solcher Analysen für eine literar- und redaktionskritische Hypothesenbildung. So ist sie beispielsweise in der Einleitung davon überzeugt, daß die terminologische Verknüpfung zwischen den Hiobreden und den Elihureden (vgl. die Begriffe mispat und poesa’) die literarische Ursprünglichkeit von Hi 32-37 beweisen (8). Hingegen werden auf S.110 f. die Bezüge, die zwischen den Hiobreden und den Elihureden bestehen, auf "einen Endredaktor ... oder sogar auf den Verfasser des Buchs selbst" zurückgeführt.

Das anzuzeigende Werk ist klar gegliedert und wird durch kurze Zusammenfassungen jeweils am Ende eines größeren Abschnittes gut erschlossen. Beigegeben sind dem Buch ein ausführliches Literaturverzeichnis (296-307) und ein umfangreiches Bibelstellenregister (308-321).

Auf zwei offensichtliche Fehler in dem insgesamt sehr sorgfältig erstellten Druckexemplar sei abschließend hingewiesen: Die Vfn. spricht durchgehend von "Satan" (vgl. besonders die Ausführungen ab 110 ff.). "Satan" steht im Hiobbuch aber nicht als Eigenname, sondern ist immer mit dem Artikel konstruiert (ha-ssatan) und als Funktionsbestimmung zu verstehen, folglich mit "der Satan" zu übersetzen. S. 12: Der ursprüngliche Text der Septuaginta des Hiobbuches ist nicht "um einiges länger" als der hebräische Text, sondern um rund 400 Stichen kürzer.