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Ausgabe:

November/2016

Spalte:

1217–1219

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Frauenlob, Thomas

Titel/Untertitel:

Die Gestalt der Zwölf-Apostel im Lukasevangelium. Israel, Jesus und die Zwölf-Apostel im ersten Teil des lukanischen Doppelwerks.

Verlag:

Würzburg: Echter Verlag 2015. 334 S. = Forschung zur Bibel, 131. Kart. EUR 36,00. ISBN 978-3-429-03804-5.

Rezensent:

Beate Kowalski

Die Studie zur Gestalt der Zwölf-Apostel im Lukasevangelium wurde im Januar 2013 von der Päpstlichen Universität Gregoriana angenommen (Massimo Grilli/Juan Manuel Granados Rojas SJ), das Thema geht auf einen Vorschlag von Klemens Stock (Päpstliches Bibelinstitut) zurück. Eine Studie zum Lukasevangelium abzufassen bedeutet angesichts der fast unübersichtlichen Lage der Forschungsliteratur eine Herausforderung. Dennoch hat Thomas Frauenlob es unternommen, das Bild der Zwölf Apostel als Gruppe im Lk zu untersuchen. Dabei beschränkt er sich auf den ersten Teil des lk Doppelwerks und auf jene Texte, in denen die Apostel als Gruppe auftreten.
In einer Einleitung gibt er Rechenschaft über die präzise Fragestellung, die auf den Forschungsdesiderata beruht. Die Studien von Roloff (1965) und Bovon (2005) bilden dabei die Eckdaten. Die vorgestellten Ergebnisse der Forschung werden von F. durch eine neue Herangehensweise erweitert, um zu einem umfassenderen Verständnis der Zwölf zu gelangen; dabei vermeidet er Modifikationen der bisherigen Thesen, berührt diese jedoch (1. Schaliach, 2. kritisch-entwicklungsgeschichtliche, 3. paulinisch-eschatologisches Apostolat, 4. ekklesiologische, 5. christologische Hypothese). Ziel der Studie ist es, das theologische Profil, die heilsgeschichtliche Dimension und die leserorientierte Funktion der Apostelgruppe in den verschiedenen Facetten aus dem Text des Lk erkennbar zu machen und auf lk Gestaltungselemente hinzuweisen. Damit soll die These begründet werden, dass die Apostelgruppe durch die vier miteinander verbundenen Themen (Erwählung, Sendung, Verfolgung, Glaube) beschrieben werden kann, die zudem eng mit dem Abendmahlsbericht (Lk 22,14–38) semantisch verknüpft sind. Es geht weniger um eine historische Rekonstruktion als vielmehr um den Apostelbegriff und die Beziehung der Apostel zu Jesus als Ursprung, Zentrum und Modell.
Methodisch wird bei der bibeltheologischen Studie eine synchrone Analyse (canonical approach) angewandt, die dem Verständnis des Lk von der heilsgeschichtlichen Einheit der Heiligen Schriften entspricht. Ergebnisse diachroner Methoden werden einbezogen (synoptische Vergleiche). Entsprechend der Fragestellung und Methode gliedert sich die Arbeit in zwei große Hauptteile.
Im ersten Teil wird Lk 1,5–6,11 analysiert, wobei die narrative Struktur des Evangeliums beachtet wird. Zentrale Aussagen über Jesus werden in ihrer heilsgeschichtlichen Dimension herausgestellt. Dabei wird die Identität Jesu nach Lk erarbeitet und heilsgeschichtlich eingeordnet.
In drei Kapiteln wird die ausgewählte Textbasis untersucht. Kapitel 1 versteht Jesus als Gottes Heilsweg durch die Zeit. Die Kindheitserzählung 1,5–2,52 und das sich anschließende Triptychon 3,1–4,13 werden mit ihren narrativen Gestaltungselementen analysiert. Kapitel 2 rückt Jesu Mission und Schicksal in den Fokus. Dazu wird die programmatische Ouvertüre (4,14–30) hinsichtlich der Identität, Mission und des Schicksals Jesu untersucht. Die drei Phasen auf dem Weg zur Erwählung (4,31–6,11) werden zudem thematisiert. Das Kapitel 3 deutet die Identität Jesu als »eigentliches Israel« und »Basileia Gottes«. F. kommt zum Ergebnis, dass sich Basileia Gottes und eigentliches Israel in ihrer Bedeutung bei Lk entsprechen.
Aus diesen Untersuchungen werden erste Konturen der Gestalt des Zwölferkreises entwickelt. Dabei geht der Vf. von der Identität Jesu als jesajanischer Knecht Gottes und eigentliches Israel aus; Jüngerschaft zielt daher auf die Sammlung des Gottesvolkes, mit dem die Neuschöpfung beginnt. In Jesus ist das »Heute« – ein lk Kernbegriff – die göttliche Wirklichkeit in der Gegenwart, die eine eschatologische Perspektive erhält. Das Motiv der Verstocktheit der Nazarener verweist auf mangelndes Verstehen der Identität Jesu. Die Zwölf werden als Kontrastgesellschaft vorgestellt, die durch Umkehr und bedingungslose Nachfolge charakterisiert ist.
Im zweiten Teil wird Lk 6,12–22,38 untersucht, wobei die vier Aspekte »Erwählung, Sendung, Verfolgung, Glaube« sowie die Verbindung zum Abendmahlsbericht im Fokus stehen. Die Periko-pen werden in ihrer narrativen Reihenfolge behandelt. Kapitel 4 nimmt die Auswahl der Zwölf in 6,12–16 und die Gestaltwerdung der Gruppe (22,14–30) in den Blick. Dabei wird theologisch der Gedanke der Erwählung mit dem Passionsgeschehen verbunden; die Zwölf werden als Adressaten des neuen Bundes vorgestellt. Die Gemeinschaftsordnung, bei der das Dienen die entscheidende Handlungskategorie ist, wird verdeutlicht. Die Vernetzung dieser beiden Themen miteinander macht den Realismus der lk Ekklesiologie aus. In Kapitel 5 wird die Sendung der Zwölf thematisiert (9,1–10; 22,35–36). Der Anfang der Zwölf wird mit der Passion Jesu verbunden; sie werden als Missionare im Übergang verstanden. Kapitel 6 nimmt ihre Verfolgung in den Blick (11,49; 22,37–38), mit der die Dimension des Leidens und des Martyriums erkennbar wird. Das »Privileg« der Erwählung und Sendung ist in seiner Volldimension nur durch Dienen und Leiden möglich. Kapitel 7 analysiert den Glauben der Zwölf (17,5–6; 22,14–31), der erbeten werden muss und Macht gibt; Umkehr ist ständig gefordert, da auch die Zwölf in ihrem Glauben gefährdet sind.
Im Schlusskapitelwerden die Ergebnisse der intensiven Textarbeit zusammengefasst, wobei erneut die vier theologischen Schlüsselbegriffe der Strukturierung dienen. Das Profil der Theologie des Lk, sein Interesse an Heilsgeschichte und Erlösung Israels wird deutlich gemacht. Weitere Kennzeichen sind Soteriologie und Ek­klesiologie, denen der Tod Jesu und der Hl. Geist zugeordnet sind. Die Auferstehung Jesu hat eine missionarische Dimension bei Lk. Die Zwölf werden als Augenzeugen und Diener des Wortes charakterisiert. Ihre Sammlung ist ein Beispiel für die Sammlung des ganzen Gottesvolkes durch Jesus. Sie sind durch größere und intensivere Nähe zu Jesus zu erkennen (Rabbi-Schüler-Gruppe). Mit ihrer Einsetzung antwortet Jesus auf die Verstockung Israels; sie erhalten zudem eine eschatologische Zeichenbedeutung. Einerseits stehen sie in der Sinaitradition, andererseits stellen sie die Familie Jesu mit Treue dar. Die Schwächen der Gruppe verschweigt Lk nicht, indem er ihren Status in einer Interimszeit aufzeigt. Dennoch sind sie Repräsentanten einer göttlichen Ordnung. Als Teilhabende an der Sendung Jesu wird Gottvertrauen von ihnen gefordert, um in einer verstockten Welt missionarisch zu wirken. Durch ihr Bei-Jesus-Sein erwächst ihnen die notwendige Kraft, ihr Prophetenschicksal zu erleiden. Auch wenn sie anderen die Tür öffnen und ihnen zum Heil dienen, so bleibt den Zwölf das Leiden nicht er­spart. Lk zeichnet sie trotz ihrer hohen Berufung als Menschen, die immer wieder der Umkehr bedürfen.
Die Monographie von F. zeichnet ein genaues Bild des Zwölferkreises innerhalb der Erzählstruktur des Lk. Damit wird eine neutestamentliche Sicht auf die Apostel herausgearbeitet. Die Studie reiht sich ein in die synchron-kanonischen Studien, die insbesondere die Intention des neutestamentlichen Autors respektieren. Die Gestalt der Zwölf hätte mit weiter verfeinerten Methoden der Figurenanalyse (vgl. Sönke Finnern) noch stärker herausgearbeitet werden können. Insbesondere die Interaktion weiterer Erzählfiguren mit den Zwölf wäre für weitere Untersuchungen ein spannendes Thema. Theologisch und sprachlich ist das Lesen der Studie ein großer Gewinn, der dazu anregt, das Thema für die gegenwärtige Kirchensituation in ihrer Auf- und Umbruchszeit zu reflektieren.