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Ausgabe:

November/2016

Spalte:

1213–1215

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Tiemeyer, Lena-Sofia, and Hans M. Barstad [Eds.]

Titel/Untertitel:

Continuity and Discontinuity. Chronological and Thematic Development in Isaiah 40–66.

Verlag:

Göttingen u. a.: Vandenhoeck & Ruprecht 2014. 259 S. m. 2 Abb. = Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments, 255. Geb. EUR 90,00. ISBN 978-3-525-53614-8.

Rezensent:

Torsten Uhlig

Der hier zu besprechende sehr sorgfältig editierte Sammelband geht zurück auf eine Konferenz, die von dem Edinburgh Prophecy Network vom 7. bis 8. Oktober 2011 am King’s College der University of Aberdeen durchgeführt wurde, und widmet sich der Frage nach dem Verhältnis der verschiedenen Texte innerhalb von Jesaja 40–66. Er umfasst nach einer hilfreichen Einführung der Herausgeber folgende Aufsätze:
Lena-Sofia Tiemeyer, Continuity and Discontinuity in Isaiah 40–66. History of Research (13–40) – Hans M. Barstad, Isaiah 56–66 in Relation to Isaiah 40–55. Why a New Reading is Necessary (41–62) – Ulrich Berges, Where Does Trito-Isaiah Start in the Book of Isaiah? (63–76) – Joseph Blenkinsopp, Continuity-Discon-tinuity in Isaiah 40–66. The Issue of Location (77–88) – Elizabeth R. Hayes, Fading and Flourishing. The Rhetorical Function of Plant Imagery in Isaiah 40–66 (89–101) – Corinna Körting, Isaiah 62:1–7 and Psalm 45 – or – Two Ways to Become Queen (103–123) – Øystein Lund, My Way – My Right. Persuasive Discourse in Isaiah 40–66 (125–143) – Joachim Schaper, Divine Images, Iconophobia and Monotheism in Isaiah 40–66 (145–158) – Blaženka Scheuer, »Why Do You Let Us Wander, O Lord, From Your Ways?« (Isa 63:19). Clarification of Culpability in the Last Part of the Book of Isaiah (159–173) – Konrad Schmid, New Creation Instead of New Exodus. The Innerbiblical Exegesis and Theological Transformation of Isaiah 65:17–25 (175–194) – Jacob Stromberg, Deutero-Isaiah’s Restoration Reconfigured (195–218) – Hugh G. M. Williamson, Jacob in Isaiah 40–66 (219–229).
Die Frage nach dem Verhältnis der Kapitel 40–66 zueinander, nach darin sichtbaren Gemeinsamkeiten und Unterschieden, ist für die Auslegung des Jesajabuches vor allem aus zweierlei Gründen von Bedeutung. Zum einen hat sich hinsichtlich der Entstehung dieser Kapitel der seit Bernhard Duhms Jesajakommentar (1892) nur we­nig widersprochene Konsens über zwei unterschiedliche literarische Werke verschiedener Propheten (»Deuterojesaja« [DJ]: Jes 40–55; »Tritojesaja« [TJ]: Jes 56–66) inzwischen völlig aufgelöst. Die große Anzahl an Themen, die sich durch beide Teile hindurchziehen – dies allerdings in variierender Weise – bei gleichzeitig unterschiedlicher Verteilung weiterer Themen, hat diese Position als unhaltbar erwiesen. Darauf weist Lena-Sofia Tiemeyer in ihrem Beitrag hin, in dem sie vier verschiedene Hauptansätze (mit weiteren Unterkategorien) hinsichtlich der Verhältnisbestimmung von Jes 40–55 und 56–66 im Blick auf deren Entstehung vorstellt (leider ist die These des Rezensenten nicht korrekt wiedergegeben) und an zehn Themenfeldern die Probleme von Gemeinsamkeiten und Unterschieden veranschaulicht. Zum anderen herrscht inzwischen auch kein Konsens mehr darüber, auf welcher methodischen Grundlage diese Texte ausgelegt werden. Darauf jedoch geht weder Tiemeyer näher ein noch ist diese Vielfalt der Ansätze angemessen durch die einzelnen Beiträge repräsentiert. Zu einem ganz überwiegenden Teil beschränken diese sich hinsichtlich der Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Jes 40–66 auf entstehungsgeschichtliche Erklärungen.
Lediglich der Beitrag von Elizabeth R. Hayes zur Pflanzen- und Baummetaphorik in Jes 40–66 bringt Aspekte der Sprach- und Literaturwissenschaft (Metapherntheorie) sowie der rhetorischen Analyse ein. Die Versuche des »close reading« von Jes 56–66 (H. M. Barstad) bzw. des Wahrnehmens der persuasiven Strategie von Jes 40–66 (Ø. Lund) beschränken sich weitgehend auf eine Zusammenstellung von Vorkommen bestimmter Termini und schöpfen keinesfalls das Potential der jeweiligen Zugänge aus.
Das heißt freilich nicht, dass die entstehungsgeschichtlich orientierten Beiträge nicht auch ihre Analysen in den Dienst der Erhellung und Erklärung des vorliegenden Endtextes stellen. Besonders die Beiträge von U. Berges, K. Schmid, J. Stromberg und H. Williamson arbeiten die Auswirkungen ihrer entstehungsgeschichtlich reflektierten Beobachtungen für das Verständnis des Endtextes detailliert heraus.
Bei der ganz überwiegenden Zahl der Aufsätze bleibt dabei immer auch die leitende Fragestellung nach Kontinuität und Diskontinuität im Blick bei durchaus verschiedener Herangehensweise, wobei das Maß der Zustimmung (so besonders zu Blenkinsopp, Williamson) und der Rückfragen naturgemäß unterschiedlich ausfällt:
Verdienstvoll ist das Plädoyer von H. M. Barstad, dass Werturteile über Jes 56–66 nicht allein aus ihrem Verhältnis zu Jes 40–55 abgeleitet werden sollten. Er votiert bei allen Gemeinsamkeiten für einen klaren Schnitt, um Jes 56–66 aus sich heraus zu interpretieren. Seine Interpretation einer »komplett neuen Agenda« in TJ (Aufwertung des Sabbat, vollständiger Zugang von Ausländern und Eunuchen zur Kultgemeinde, »korrektes« Verhalten als Voraussetzung für Heil) wird jedoch den viel komplexeren Zusammenhängen innerhalb (!) von Jes 56–66 nicht gerecht. U. Berges führt bedenkenswerte Gründe gegen die oft für selbstverständlich angenommene Zäsur zwischen Jes 55 und Jes 56 an, votiert demgegenüber für Jes 55–66 als abschließende Einheit. Daraus folgt die Interpretation von Jes 55 als metaphorische Einladung an die Völker, zur Tora zu kommen (55,1–5) und entsprechend Ps 1,3 aufzublühen (55,12–13). Zudem bietet Berges eine soziologische Plausibilisierung (Leviten) für den literarischen Abschluss des Jesajabuches. Eine detailliertere Auseinandersetzung mit den schon bei Tiemeyer genannten Gegenargumenten sowie des engen Zusammenhangs zwischen Jes 54 und 55 (Rahmung durch Lobpreisaufruf; für Jes 49–55 typische Alternation zwischen Anrede an Zion [Jes 51,9–52,9 und 54] und deren Kinder [Jes 51,1–8 und 55]) würde die tiefgreifende Interpretation weiter stärken. B. Scheuer untersucht die harsche Anklage gegen JHWH in Jes 63,15–19a und hebt im Vergleich mit anderen Klageelementen im Alten Testament eine entscheidende Veränderung hervor, die einen besonderen Unterschied zwischen Jes 40–55 und 56–66 ausmacht: Nicht Israel ist durch seine Sünde verantwortlich für das Exil (so Jes 40–55), sondern JHWH selbst verursacht die Sünde und ist insofern verantwortlich für die schlechte Beziehung in nachexilischer Zeit. Gerade um des Verständnisses der Anklage JHWHs willen müssten als weitere Aspekte der Bezug zum Verstockungsauftrag (Jes 6,9–10), die ablehnende Antwort JHWHs (Jes 65–66) auf die Volksklage, weitere Diskurse über Sünde und Verantwortung in Jes 56–66 (vgl. besonders Jes 58–59) sowie schließlich das Paradox innerhalb von Jes 63,17 (Was bedeutet die Wahrnehmung der eigenen Verstockung für die Wahrnehmung, wer oder wie Gott ist? Trauen die, die hier beten, ihrer Wahrnehmung von Gott überhaupt selbst?) stärker beachtet und vertieft werden. K. Schmid beantwortet die Frage nach Kontinuität und Diskontinuität in Jes 40–66 mit der These von der »innerbiblischen Schriftauslegung« und veranschaulicht diese in seiner Auslegung der Verheißung des neuen Himmels und der neuen Erde in Jes 65,17–25. Demnach erklären sich Kontinuität und Diskontinuität aus der schriftgelehrten Fortschreibung vorhandener Texte. So lässt sich Jes 65,17–25 als Fortschreibung (und Überbietung) von Jes 43,16–21 verstehen (neue Schöpfung statt neuer Exodus) unter Einbeziehung und Aktualisierung von Jes 11,6–9 (Jesajatradition) sowie Gen 1–3 und Dtn 28,30.39–41 (Texte außerhalb Jesajas – hier Anfang und Ende der Tora). Dieser Ansatz ist nicht zuletzt durch die Vorarbeiten von O. H. Steck der derzeit ausgereifteste. Er würde zusätzlich bereichert, wenn neben der nahezu ausschließlichen Konzentration auf die theologischen Aussagen auch die rhetorischen Wirkungen der prophetischen Texte Beachtung fänden. Im Blick auf Schmids Analyse von Jes 43,16–21 wäre z. B. zu fragen, wie die von ihm erarbeitete Interpretation, dass der alte Exodus hier jegliche Erlösungskraft verloren hat, zusammenpasst mit der Vehemenz der Ansage eines neuen Exodus: Woher bekommt ein »neuer« Exodus seine (Überzeugungs-)Kraft, wenn der »alte« Exodus jegliche Bedeutung verloren hat?
Weniger mit der Frage nach dem Verhältnis zwischen Jes 40–55 und Jes 56–66 sind die zwei Beiträge von Corinna Körting und Joachim Schaper befasst. Dennoch bringen sie mit ihren Beobachtungen zu intertextuellen Bezügen bedenkenswerte Interpretationsvorschläge ein.
Eine Reihe weiterer Aspekte mit aufgreifend (Monotheismus, Anikonismus, Schöpfungstheologie), hält J. Schaper mit Blick auf die Anspielung auf Gen 1,26 vor allem in Jes 40,18 fest, dass in der Götzenbild-Polemik die Sinnlosigkeit eines Götterbildes hervorgehoben werden soll, denn nur JHWH, der Schöpfergott, kann ein Bild von sich selbst formen: den Menschen. C. Körting liest auf dem Hintergrund ihrer Interpretation von Jes 62,1–7 den Königspsalm Ps 45 als Hochzeit JHWHs mit der Königin Zion und bestimmt damit Jes 62,1–7 und Ps 45 als zwei Wege, auf denen Zion zur Königin wird – von der verlassenen Frau zur Königin (Jes 40–66) bzw. von der Frau mit beschämender Jugend zur Königin (Ps 45). Im gegenwärtigen Kontext (Korachpsalmen, Pss 42–49) lässt sich Ps 45 sicher so lesen, für die These Körtings, dass die Verse 11–15 extra dafür eingefügt wurden, sind die beiden Bräute dann doch zu unterschiedlich.
Insgesamt stellt der Sammelband wichtige Beiträge vor allem für die Diskussion um die Entstehung der Kapitel 40–66 des Jesajabuches bereit, mit denen führende Vertreter in der aktuellen Diskussion ihre Thesen an markanten Texten paradigmatisch erläutern. Damit führen sie gleichzeitig in einige wichtige Themenfelder ein, die sich durch Jes 40–66 ziehen, und leisten so auch einen wichtigen Beitrag für die Theologie zumindest dieses Teiles des Jesajabuches; das Verhältnis zu Jesaja 1–39 wird hingegen nur vereinzelt angesprochen (vgl. besonders K. Schmid). Gelegentliche Bezugnahmen in den Artikeln untereinander weisen auf die gründliche editorische Arbeit hin. Der Band schließt mit Abkürzungs-, Verfasser- und Literaturverzeichnis.