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Ausgabe:

Januar/1999

Spalte:

91 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Stackhouse, Max L., McCann, Dennis P., Roels, Shirley J. and Preston N. Williams [Eds.]

Titel/Untertitel:

On Moral Business. Classical Contemporary Resources for Ethics in Economic Life.

Verlag:

Grand Rapids: Eerdmans 1995. 2nd impr. 1997. XII, 979 S. gr.8. pbk. $ 39.-. ISBN 0-8028-0626-0.

Rezensent:

Werner Schwartz

Wirtschaftsethik und Berufsethik haben einen wenig prominenten Platz im Geschäft der Theologie, auf dem deutschen Markt noch weniger als auf dem amerikanischen. Kirchenleute gehen auf Fragen der Orientierung im Alltag der Berufsarbeit kaum ein. Wenn sie zu ethischen Aussagen über wirtschaftliche Fragen kommen, gerät dies eher zu einer pauschalen Kritik an der Wirtschaft. Und Menschen, die in der Wirtschaft tätig sind, erwarten von der Kirche kaum Hilfestellung bei der Frage, welchen Werten sie in ihrer Berufsarbeit folgen sollen. Ein breiter Graben besteht zwischen Theologie und Wirtschaft, Religion und Geschäftswelt.

Dem will der Textband "On Moral Business" abhelfen. Das großformatige Buch umfaßt fast tausend eng bedruckte Seiten. Inhaltlich spannt sich der Bogen von klassischen Quellen über moderne Debatten bis zu gegenwärtigen Entwicklungen. Zentrale Texte und interpretierende Aufsätze werden auszugsweise, in der Regel in einer Länge von weniger als zehn Seiten, mit einer einleitenden Kommentierung angeboten, die zum Verständnis der Texte und zu ihrer Einordnung in den gesamten Argumentationszusammenhang des Buchs hilft.

Der erste Teil bietet biblische Quellen, Passagen über Schöpfung und Fall, Exodus und Bund, Prophetie und Weisheit in der hebräischen Bibel, über die synoptischen Evangelien, Paulus und die Haustafeln der Briefe im Neuen Testament. Antike Philosophie von Plato, Artistoteles, Cicero und Plotin, die katholische theologische Tradition von Clemens von Alexandria, Cyprian, Augustin, Benedikt und Thomas von Aquin, reformatorische Theologie von M. Luther, J. Calvin, von radikalen Täufern und J. Wesley werden in Kernaussagen zu Fragen der Wirtschaft vorgestellt.

Im zweiten Teil wird die moderne Debatte dokumentiert, die Tradition der Aufklärung, J. Locke, A. Smith, J. St. Mill, I. Kant, G. W. F. Hegel und K. Marx, Beiträge zur Debatte um Religion und Modernisierung, zur Entwicklung des Verständnisses von Zeit, Gesetz, Wucher, Technologie und gesellschaftlicher Differenzierung. Ausführlich wird das Verhältnis von Sozialismus, Kapitalismus und Christentum behandelt einschließlich der Theologie der Befreiung und der Entwicklungen nach dem Ende des Sowjetkommunismus. Wirtschaftsethische Ansätze der Weltreligionen Islam, Hinduismus, Buddhismus, der chinesischen Philosophie und afrikanischer Traditionen werden präsentiert. Der Abschnitt schließt mit einer Dokumentation neuerer (amerikanischer) kirchlicher Stellungnahmen zu Wirtschaftsfragen und der Enzyklika Centesimus Annus von Johannes Paul II.

Schließlich werden im dritten Teil, der etwa die Hälfte des Buches umfaßt, ausführlich gegenwärtige Entwicklungen diskutiert. Die veränderte Rolle der Unternehmen als strukturierter Organisationen wirtschaftlichen Handelns wird auf ihre moralische und demokratische Dimension und ihren Beitrag zur Herstellung sozialer Gerechtigkeit befragt. Einzelne Felder wirtschaftlicher Tätigkeit, Marketing, Finanzen, Buchhaltung, Personalführung, werden erörtert. Ein eigener Abschnitt wendet sich der Ethik von Personen zu, die in der Wirtschaft tätig sind, dem Verständnis des Berufs als Berufung, gerade bei Führungskräften, der Rolle von Frauen in der Wirtschaft, Fragen der persönlichen Einstellung zur Arbeit, der Unternehmenskultur, der Wertorientierung, der Prägung durch religiöse Überzeugungen, der Formulierung und Anwendung christlich-ethischer Prinzipien am Arbeitsplatz und der Ausgestaltung sozialer Verantwortung. Die Herausforderungen durch die globalen Märkte, die multinationalen Konzerne, die Entwicklung der Dritten Welt und globale Umweltfragen werden behandelt. Das Buch schließt mit Beiträgen zur aktuellen Diskussion zwischen Kirche, Theologie und Wirtschaft, die offene Fragen formulieren, die zu Diskussion und Engagement herausfordern.

Den Autoren und Editoren des Bandes gelingt es, ein Feld zu erhellen, das weithin im Dämmerlicht liegt. Sie werfen Schlaglichter auf Traditionen der Religion und Philosophie und zeigen, wie stark das gegenwärtige Wirtschaftssystem in einer Entwicklung verankert ist, die von biblischen und antiken Tradi tionen herkommt und durch den langen Prozeß der Modernisierung gegangen ist, der seinerseits stark von reformatorischen Einflüssen geprägt ist. Die religiösen Wurzeln sind zwar kaum mehr bewußt, sie haben aber dazu beigetragen, der Wirtschaft die Gestalt zu geben, die sie in der Tradition des abendländisch-westlichen Kulturkreises entwickelt hat. Aus diesen Traditionen können Wertorientierungen kommen, die helfen, das wirtschaftliche System so weiterzuentwickeln, daß es der Menschheit hilfreich und nützlich ist.

Das Buch bietet mit seiner Vielfalt von Texten einen Einblick in einen breiten Gesprächsstrom (vorwiegend amerikanischer) wirtschaftsbezogener Ethik. Es ist parteiisch, denn es argumentiert, daß das sich ausbildende globale Wirtschaftssystem langfristig positive Wirkungen hat, da es den Lebensstandard in vielen Regionen der Welt, trotz aller fortbestehenden großen Un terschiede und aller Not, heben würde und eine progressive Demokratisierung vieler Gesellschaften durch ihre Beteiligung am weltweiten Marktgeschehen unterstütze.

Diese positiven Entwicklungsmöglichkeiten sollen nicht vorschnell einer negativen Kritik an der Ökonomisierung der Welt und der Globalisierung der Wirtschaft preisgegeben werden. Das Buch wendet sich somit gegen den Trend, der in Kirche und Theologie heute obwaltet, die Wirtschaft als unethisch zu diffamieren und sich von ihr zumindest in der Theorie fernzuhalten.

Insofern ist das Buch eine Herausforderung an die Theologie und die in der Kirche tätigen Menschen, sich mit der Wirtschaft neu zu befassen und zu einer neuen Gesprächsbereitschaft zu kommen. Auch damit am Ende Menschen aus der Wirtschaft wieder etwas von der Kirche und ihrer Tradition erwarten.