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Ausgabe:

Dezember/2016

Spalte:

1455–1457

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Lindhardt, Martin [Ed.]

Titel/Untertitel:

Pentecostalism in Africa. Presence and Impact of Pneumatic Christianity in Postcolonial Societies.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2014. X, 387 S. = Global Pentecostal and Charismatic Studies, 15. Kart. EUR 65,00. ISBN 978-90-04-28186-8.

Rezensent:

Moritz Fischer

Die auf Englisch verfasste Aufsatzsammlung gibt nicht nur einen Überblick über die aktuelle Debatte zur Pfingstbewegung in Afrika. Das Gros der Artikel geht, genauer gesagt, der Leitfrage nach, »how Pentecostal/charismatic Christianity responds to social and cultural concerns of Africans, and how its growth and increasingly assertive presence in public life have facilitated new kinds of social positioning and claims to political power« (Klappentext).
Der Herausgeber Martin Lindhardt lehrt an der Universität von Süddänemark (SD) in Odense. Er wurde 2004 im Fach Social Anthropology an der Universität von Aarhus in Dänemark promoviert. Seine Veröffentlichungen zur Pfingstbewegung nebst dem charismatischen Christentum beziehen sich speziell auf Chile und Tansania. Dabei sind zu nennen: Power in Powerlessness. A Study of Pentecostal Life Worlds in Urban Chile (2012), und: Practicing the Faith. The Ritual Life of Pentecostal-charismatic Christians (2011).
In der vorgelegten Edition, die 14 Beiträge über die Pfingstbewegung in Afrika umfasst, eröffnet Martin Lindhardt selbst die Debatte mit grundlegenden Erwägungen zu »Presence and Impact of Pentecostal/Charismatic Christianity in Africa«, die er vorausschickt (1–53) und damit auch die sonstigen Autoren kurz ankündigt. Er betont, dass Pfingstler zahlenmäßig derzeit über 107 Mio. Mitglieder (zwölf Prozent der Gesamtbevölkerung) in Afrika ausmachen und weitere fünf Prozent (ca. 40 Mio.) als Anhänger der Charismatischen Bewegung historischen Kirchen angehören. Er schlussfolgert, dass hier insgesamt eine bestimmte Orientierung innerhalb der afrikanischen Christenheit zum Ausdruck komme. Ihre Strahlkraft wirke weit in den soziopolitischen Alltag dortiger postkolonialer Gesellschaften hinein. Der von Lindhardt im Titel prominent gemachte Begriff »Pneumatic Christianity« verklammert theologisch das, was Lindhardt im Untertitel mit »Pentecos-tal/charismatic Christianity (PC/C)« einerseits unterscheidet, an­dererseits als zusammenhängend benennt. Klassische »Pfingstler« und kirchliche Charismatiker haben in Afrika mehr Gemeinsamkeiten als Trennendes.
Bei den Autoren und Autorinnen handelt es sich um hochrangig spezialisierte, teils seit Jahrzehnten forschende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Insgesamt vermitteln sie einen guten Überblick über gravierende Veränderungen in Afrikas christlicher Szene. Der Herausgeber spannt einen interdisziplinären Bogen: Dieser reicht, ausgehend von Theologie und Kirchengeschichte (Beiträge 2–7), über Sozialanthropologie und Religionswissenschaften (8–9), führt hin zu Politikwissenschaften und Entwicklungsarbeit (10, 12 und 13) und endet bei der Kultur- und Medienwissenschaft (14). Mit etwas Wehmut ist anzumerken, dass nur drei der 14 Aufsätze aus der Feder von Afrikanern, also von Insidern stammen. Es sind viel zu wenige Diskussionsbeiträge von Autoren, die den Kontinent Afrika mit seinen religiösen Formationen selbst vertreten.
Die einzelnen Fallstudien, von denen die einen sich bestimmten Ländern, die anderen konkreten Themen widmen, stehen dabei gerade nicht nebeneinander. Wenn sie auch nicht explizit aufeinander verweisen, so tun sie das implizit und geben Einblick in eine dank ihrer Interdisziplinarität inzwischen recht breit angelegte Debatte. Dabei werden nicht nur bestimmte Fragestellungen als solche miteinander künstlich verflochten. Ursächlich für die Verflochtenheit auf der Meta-Ebene ist, so meine eigene, durch diese Veröffentlichung gestützte These, dass die Pfingstbewegung selbst per se ein historisches Netzwerk »ist«. Sie ist nur mit Fingerspitzengefühl und Augenmerk auf die ihr eigene Netzwerkstruktur zu verstehen. Der Begriff des »Netzwerks« mit seinen Verflechtungen ( entanglement) darf aber nicht essentialistisch (miss-)verstanden werden! Die konstruktive Netzwerk-Metapher darf nicht die Pfingstbewegung ausmachende Prozesse, Diskurse und Fragestellungen überlagern, sondern soll helfen, diese nachzuvollziehen.
Der Aufsatz des evangelischen Theologen Andreas Heuser, »En-coding Caesar’s Realm – Variants of Spiritual Warefare Politics in Africa« (270–290), lässt sich am wenigsten in das klassische Koordinatensystem wissenschaftlicher Disziplinen einordnen. Er bringt mit seiner Analyse zum Vorschein, wie es bei der Pfingstbewegung zur Überlappung von öffentlichen mit religiösen Diskursen kommt und wie gesellschaftliche Debatten mit solchen, die das persönliche Heil betreffen, zusammenhängen. Die zentrale Frage nach dem gesellschaftlich-sozialen Wohlergehen des Menschen wird in Afrika, ausgehend von seinen Kleingesellschaften, schon immer »ganzheitlich« gestellt. Gerade die Pfingstbewegung er­möglicht es mit ihrer performativen Lektüre der Bibel, den Blick zu weiten: ausgehend von kleineren sozialen und kulturellen Einheiten hin zur Nation bzw. der Weltgesellschaft, an die sich die biblischen Ansagen von Heil und Gericht wenden.
Speziell Pfingstler imaginieren die Frage nach der »geistlichen Kriegsführung« (Spiritual Warfare) als Kampfgeschehen zwischen Himmel und Hölle, für das unsichtbare Mächte verantwortlich sind, die sich auf der Erde materialisieren bzw. in der und durch die Menschheit personifizieren lassen. Heuser lehnt sich hier an Erwägungen des US-amerikanischen Pfingstlers Amos Yong an, von diesem veröffentlicht unter dem Titel: »In the days of Caesar: Pentecostalism and Political Theology« (2010). Es geht darum, dass Pfingstler in Anlehnung an das lukanische Doppelwerk die neue, heilige polis proklamieren. Diese stünde im Gegensatz zur civitas mit ihrer herkömmlichen Weltordnung. Pfingstkirchen übernehmen weltweit, gerade in prekären staatlichen Verhältnissen afrikanischer Staaten immer mehr sozialkaritative und öffentliche Aufgaben – bis dahin, dass sie als halbstaatliche Institutionen in bürgerliche Parteien hineinwirken. Oder schaffen sie, fragt Heuser kritisch, nicht vielmehr eine Parallelgesellschaft, wie die Redeemed Christian Church of God (RCCG) in Nigeria es in ihrer Zentrale tut, der eigens errichteten Kirchenstadt namens Redemption City? Dort leben die Vertreter und Vertreterinnen eines afrikanischen, jungen, gebildeten und dynamisch sich von Gott erwählt wissenden »politisch« agilen Establishments.
Das Buch schließt mit Katrien Pypes ausführlichem Beitrag »The Liveliness of Pentecostal/Charismatic Popular Culture in Africa« (345–378). Die Anthropologin, spezialisiert auf die Zusammen-hänge zwischen Popkultur und Medien, klärt über die Macht der christlichen Medien in Afrika auf. Dabei verwischen die herkömmlichen, dem westlichen Beobachter bekannten Grenzen zwischen religiöser Praxis und popularer Kultur, zwischen entspannender Unterhaltung und Glaubensleben.
Insgesamt gesehen illustrieren die 14 Kapitel unterschiedliche Facetten des, konfessionell gesehen, pfingstlich-charismatischen sowie des pfingstlichen Christentums. In den subsaharischen Ge­sellschaften nehmen sie zunehmend Einfluss auf das öffentliche Leben. Dieser rührt nicht zuletzt daher, dass sie es verstehen, an afrikanische Philosophie, soziale Identität und kulturelle Performativität anzuknüpfen und mit dieser zu amalgamieren – nicht zuletzt werden dabei auch die sozialen Verhältnisse verändert im Sinne einer »eigenen« Modernität. Auf jeden Fall aber ist dem Herausgeber und den Verfassern der Beiträge zu wünschen, dass ihre Erkenntnisse rege gelesen, studiert und, wo möglich, gerade auch in ihren kritischen Bemerkungen von den Protagonisten pneumatischen Christentums in Afrika selbst rezipiert werden – nur so kann das dortige pfingst-charismatische Christentum gerade an­gesichts seiner success-story zu einer prägenden, alternativen Kraft werden, die sich nicht in Selbstgerechtigkeit gefällt, sondern von innen her »pneumatisch« reformfähig bleibt.