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Ausgabe:

Dezember/2016

Spalte:

1450–1452

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Bosse-Huber, Petra, u. Martin Illert[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Theologischer Dialog mit dem Ökumenischen Patriarchat. 14. und 15. Begegnung im bilateralen Theologischen Dialog. M. e. Vortrag des Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. im Berliner Dom.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2015. 304 S. = Beihefte zur Ökumenischen Rundschau, 101. Kart. EUR 38,00. ISBN 978-3-374-04077-3.

Rezensent:

Stefan Reichelt

Band 101 der Beihefte zur Ökumenischen Rundschau ist dem Theologischen Dialog der Evangelischen Kirche in Deutschland mit dem Ökumenischen Patriarchat gewidmet. Er dokumentiert die 14. und 15. Begegnung desselben im Oktober 2007 auf Schloss Oppurg (Thüringen) und im März 2011 in der Orthodoxen Akademie auf Kreta. Beigegeben ist dem Band eine Rede Seiner Allheiligkeit des Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. im Berliner Dom. Thema der 14. Begegnung ist Die Bedeutung der Konzilien und Bekenntnisse für den Ökumenischen Dialog und das der 15. Begegnung Beziehungen zwischen Kirche und Staat unter historischem und ekklesiologischem Aspekt.
Seit 1969 treffen sich Vertreter beider Kirchen zu ökumenischen Dialog-Gesprächen. Neben theologischen Fragen werden dabei solche der sozialen und politischen Lebenswirklichkeit nicht ausgeklammert. Bereits in den seit den 60er Jahren stattfindenden Gesprächen zwischen der evangelischen Kirche und der 1963 ge­gründeten Griechischen Metropolie stellten beide Seiten fest, dass Gottesdienst, christliches Zeugnis und diakonischer Dienst un­trennbar zusammengehören.
Während der 14. Begegnung wurde von beiden Seiten festgehalten, dass das biblische Zeugnis und das gemeinsame Glaubensbekenntnis die Grundlage beider Kirchen ist. Im Vorjahr des 500. Reformationsjubiläums mag zudem der Hinweis gestattet sein, dass die Reformatoren in ihrem Denken grundlegend an das gemeinsame Erbe der Alten Kirche anknüpften, nicht zuletzt um Gegenwartsfragen zu beantworten.
Das Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel (325/381) und die ökumenischen Synoden sind Ausdruck der Urkonziliarität der Alten Kirche. Ihre Rezeption seitens des Kirchenvolks ist ein charismatisches Ereignis, das den Beschlüssen normativen Charakter für die Gesamtkirche verleiht. Aus orthodoxer Sicht gibt es eine Einheit des Offenbarungsflusses, der die Heilige Schrift, die Heilige Tradition wie auch das sakramentale Leben der Kirche umfasst. Für evangelische wie für orthodoxe Christen ist Konziliarität bzw. Synodalität auf allen Ebenen kirchlichen Lebens grundlegend. Das gilt auch im Hinblick auf die Wiederherstellung der kirchlichen Einheit. Dabei lässt sich die Bedeutung gründlicher Kenntnis der altkirchlichen Symbola sowie der Kirchenväter des Ostens und des Westens kaum überschätzen.
So stellt Athanasios Basdekis mit Johannes Karmiris aus orthodoxer Sicht Schrift und Tradition als gleichwertige und gleich gültige Quellen auf eine Ebene und verweist auf die Erklärung von Orthodoxen und Lutheranern in Sandbjerg/Dänemark: »Das nikaino-konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis ist die bekann-teste Glaubensaussage aus den alten Konzilien, und da jetzt seine ursprüngliche Form im Westen immer gebräuchlicher wird, ist es ein immer lebendigeres Band zwischen unseren Kirchen.« (54) Auch Grigorios Larentzakis unterstreicht in seinem Beitrag »Die sieben Ökumenischen Konzilien und das Nizäno-Konstantinopolitanum in ökumenischer Perspektive«, dass das Credo von Nizäa-Konstantinopel »das verbindliche und verbindende Glaubensbekenntnis der gesamten Christenheit mit unersetzlicher Bedeutung bis heute« ist (146).
Reinhard Flogaus bemerkt in seinem Beitrag »Die altkirchlichen Bekenntnisse als Grundlage der reformatorischen Bekenntnisschriften und die Bedeutung der ökumenischen Konzilien für die Reformation«, dass »Luthers Quellen-Kenntnis der altkirchlichen Theologie, zumal der griechischen, […] aus heutiger Sicht eher be­scheiden« war (64). Dennoch habe die Reformation mit ihrer soteriologischen Deutung der altkirchlichen Symbola bzw. ihrer Grundlage, der Hl. Schrift, einen höchst bedeutenden Beitrag zur Rezeption des altkirchlichen Dogmas geleistet. Die drei altkirch-lichen Symbola und Lehrentscheidungen der ersten sechs Ökumenischen Konzilien verbinden orthodoxe Kirchen mit denen der R eformation. Sie sind gemeinsames Erbe der chalzedonensischen Christenheit. Insbesondere Christologie und Trinitätslehre ge-hören zu den wichtigsten Voraussetzungen reformatorischer Theologie. Und letztere habe Christologie, Pneumatologie und Trinitätslehre des altkirchlichen Dogmas in gewisser Weise weiterentwickelt. Allerdings weist der bereits erwähnte Grigorios La­rentzakis auf eine Rezeptionsnot der Dialog-Ergebnisse hin. Grundlegende Fakten seien bekannt, aber es bedürfe auch neuer Forschungen und Untersuchungen sowie ökumenischer Fragestellungen in gemeinsamen Konsens- und Konvergenzdokumenten. »Das, was dringend notwendig ist, ist den Rezeptionsprozess zu fördern und unsere Bereitschaft, dass wir es als christliche Kirchen mit der Ökumene ernst meinen, durch Taten zu beweisen.« (163) Tatsächlich bleiben die »meisten ökumenischen Vereinbarungen« dem »gläubigen Volk unbekannt« (ebd.), was den orthodoxen Theologen eine Rezep-tionsnot konstatieren lässt (vgl. Kommunique, 19 u. ö.).
In diesem Zusammenhang sei hingewiesen auf das Wörterbuch zu den bilateralen Theologischen Dialogen zwischen der Evangelischen Kirche in Deutschland und den orthodoxen Kirchen (1959–2013), hrsg. v. Reinhard Thöle und Martin Illert, Leipzig 2014, sowie auf die umfangreichere Dokumentensammlung »Orthodoxie im Dialog: bilaterale Dialoge der orthodoxen und der orientalisch-orthodoxen Kirchen 1945–1997«, hrsg. u. bearb. v. Thomas Bremer, Trier 1990. Wünschenswert wäre insbesondere eine angemessene Berücksichtigung der Dialog-Ergebnisse durch die Theologischen Fakultäten und andere theologische Ausbildungseinrichtungen.
Die 15. Begegnung stellte übereinstimmend fest: Beide Kirchen befinden sich in kritischer Auseinandersetzung mit den staatskirchlichen Ordnungsmodellen ihrer Tradition und bedenken im ökumenischen Gespräch neue Modelle des Verständnisses der Zu­sammenarbeit von Kirche und Staat in einer pluralistischen Gesellschaft.
Grigorios Larentzakis mahnte in seinem Beitrag »Beziehungen zwischen Kirche und Staat unter dem Aspekt der Pastoral, der Bildung, der sozialen und der kulturellen Angelegenheiten der Kirchen«, den Mensch wieder in den Mittelpunkt zu stellen und die gesamtchristlichen Grundlagen dem einzelnen Bekenntnis vorzuordnen. Martin Schindehütte gibt in seinem Beitrag »Fördernde Neutralität. Zur Beziehung zwischen Kirche und Staat unter dem Aspekt der Pastoral, der Bildung, der sozialen und der kulturellen Angelegenheiten der Kirchen« zu bedenken, dass der Staat von Voraussetzungen lebt, die er nicht schaffen und garantieren kann (220). Nicht zuletzt deshalb sind Staat und Kirche aufeinander angewiesen. Elpidoforos Lambriniadis weist unter dem Titel »Die Beziehung zwischen Kirche und Staat in der orthodoxen Überlieferung« auf die 6. Novelle (535) Kaiser Justinians, Ergänzung zum 4. Ökumenischen Konzil 451, hin – genauer auf die Synallelie oder Symphonie als Prinzip der Beziehungen zwischen Staat und Kirche, die Heiligkeit beider Gewalten. Und Konstantin Nikolakopoulos stellt in seinem Beitrag »Beziehungen zwischen Kirche und Staat in Deutschland und in der Perspektive der Errichtung eines neuen Europas« fest: »Aus christlicher Sicht gilt Paulus, der Apostel der Heiden, als der geistige Erzeuger und Vater Europas.« (274) Europas geistige und geistliche Dimension sei die christliche Seele mit einem östlichen und einem westlichen Flügel. Umso verwunderlicher ist es, dass etwa im sogenannten Vertrag von Lissabon der Gottesbezug fehlt und durch Humanismus ersetzt wird. Folglich müsse »der geis­tig-geistliche Beitrag aller christlichen Kirchen zur Gestaltung Europas […] intensiviert werden. Dann könnten die gemeinsamen christlichen Wurzeln und Hintergründe Europas noch deutlicher in Erscheinung treten; anderenfalls werden alle Kirchen der Geschichte und Gott gegenüber Rechenschaft ablegen müssen.« (285)
Als Anhang I ist dem Band beigegeben: Die in Deutschland vertretenen kanonischen orthodoxen Bistümer (286 f.), und als Anhang II: Orthodoxe Kirchen als Körperschaft des öffentlichen Rechts (288 f.). Dem folgen die Begrüßung des Ökumenischen Patriarchen durch den Vorsitzenden des Rates der EKD, Nikolaus Schneider (290 f.) sowie der Vortrag S. A. des Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I im Berliner Dom (293–304). In ihm sprach das Geistliche Oberhaupt der Orthodoxie im Rahmen einer Pastoralreise aus Anlass des 50-jährigen Jubiläums der Griechischen Metropolie auf Einladung des Rates der EKD in Deutschland zur Schöpfungsethik und zeigte, dass aus orthodoxer Sicht ökologisches Engagement Ausdruck des Dankes und des Schöpferlobs ist.