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Ausgabe:

Dezember/2016

Spalte:

1430–1432

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Campbell, Charles, u. Johan Cilliers

Titel/Untertitel:

Was die Welt zum Narren hält. Predigt als Torheit. Übers. v. D. Eichenberg u. m. e. Geleitwort versehen v. A. Deeg.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2015. XXIV, 255 S. m. Abb. Kart. EUR 28,00. ISBN 978-3-374-04149-7.

Rezensent:

Peter Bukowski

Der US-Amerikaner Charles Campbell und der Südafrikaner Johan Cilliers, beide Homiletiker reformierter Prägung, haben 2012 als Frucht eines jahrelang geführten Dialogs eine gemeinsame homiletische Studie vorgelegt mit dem Titel »Preaching fools. The Gospel as a Rhetoric of Folly«. Dank der Initiative von Alexander Deeg und einer vorbildlichen Übersetzung von Dietrich Eichenberg ist dieses Werk nun auch deutschsprachigen Leserinnen und Lesern zugänglich. Und um es vorweg zu sagen: Seine Lektüre lohnt. Denn es wird »alle, die sich um die schöne und schwierige Aufgabe der Predigt mühen, anregen und durcheinander bringen, verstören und inspirieren« (so Deeg in seinem Geleitwort; XXI).
Worum es geht, schreiben die Autoren gleich in den ersten drei Sätzen, die wie ein Leitmotiv das gesamte Werk durchziehen: »Das Evangelium ist Dummheit. Predigen ist Torheit. Prediger sind Narren« (1). Dass diese Aussagen weit mehr sind als ein oberflächlicher, Aufmerksamkeit heischender Einstiegsgag, wird sofort deutlich, wenn wir uns von den Autoren daran erinnern lassen, dass es sich hier um paulinischen O-Ton handelt, der in das Zentrum von dessen Kreuzestheologie führt (vgl. 1Kor 1,17–25). »Vom Kreuz her betrachtet ist die Torheit des Evangeliums nicht einfach nur ko­misch, sondern auch störend und verunsichernd. Die Torheit des Kreuzes unterbricht die Todesmächte in der Welt; sie schließt Tränen und Klage genau so ein wie Humor und Gelächter. Die Torheit des Evangeliums bringt unsere sicheren Systeme derart durcheinander, dass sie Prediger und Kirche ins Dazwischen ruft, an jene liminalen Orte, an denen Narren zu Hause, an denen Theologie nomadenhaft und Gegebenheiten in ständigem Wandel begriffen sind« (ebd.). In acht Kapiteln nehmen die Autoren die Lesenden mit auf einen theologisch anspruchsvollen, zugleich aber kurzweiligen Weg, der sich als intensive Auslegung des Kreuzesgeschehens und dessen extensiver homiletischer Erkundung beschreiben lässt.
In der Betrachtung dreier Kreuzesdarstellungen aus unterschiedlichen Zeiten und Kontexten (Kapitel 1: antikes blasphemisches Graffiti eines Gekreuzigten mit Eselskopf; kongolesisches Kruzifix; Picassos Crucifixion), wird der Blick für die »närrische Macht des Kreuzes« (7) geschärft, die dann in Kapitel 2 unter der Überschrift »Torheit als Herzschlag des Predigens« entfaltet wird. Dabei wird die spezifische Torheit des Kreuzes als »doppelte Parodie« (28) herausgearbeitet: Aus Sicht der Reichen und Mächtigen der damaligen Kultur ist das Kreuz ein »vulgärer Scherz« (24). Er besteht in der parodierenden Erhöhung von »aufmüpfigen Misset ätern« (25): Auf dem ›Thron‹ werden sie erbärmlich zugrunde gerichtet, damit die spottende Menge begreift, wohin es führt, wenn einer höher hinaus will, als ihm zusteht – perverser »Galgenhumor« (24). Genau diese grausam-gängige Parodie der Mächtigen wird von Jesus ein weiteres Mal parodiert. Denn der »als König der Juden verspottete ist nach dem Zeugnis des Neuen Testaments wirklich ein König. Ironischerweise ist das Kreuz sein Thron« (26). Seine Auferstehung wird für den Glauben endgültig ans Licht bringen: Er ist der, der den Mächten und Gewalten widersteht, indem er ihren modus operandi – Herrschaft und Gewalt – wirksam und nachhaltig verspottet.
Der christologische Kern wurde hier ausführlicher vorgestellt, weil darin entscheidende Weichenstellungen für die gesamte Studie vorgezeichnet sind:
1) Predigt der Torheit des Kreuzes ist politische Predigt: Sie stellt sich in den Spannungen von Ungerechtigkeit, Unterdrückung und Ausgrenzung an die Seite der Benachteiligten und begegnet den Machthabern mit dem Wort von der verändernden Botschaft dessen, der am Kreuz ihre Welt zum Narren hält – nicht von ungefähr ist Desmond Tutu der wichtigste und am häufigsten zitierte Zeuge einer solchen, die Selbstverständlichkeiten der Welt unterbrechenden Predigt. Damit widerstreiten die Autoren einer die Un­rechtsverhältnisse sanktionierenden Theologie und Predigt, die als »Wagenburg« (65) und »eiserne Theologie« (68) demaskiert wird.
2) Predigt der Torheit des Kreuzes ist ein liminales Geschehen(so ausführlich in Kapitel 3). Anknüpfend an A. van Gennep und V. Turner wird ein durch die Erfahrungen einer global vernetzten Welt erweitertes Verständnis von Liminalität entfaltet: In Zeiten permanenten Wandels vollzieht sich christliche Existenz auf der Grenze zwischen alt und neu. Und gegen »reaktionäre Starrheit« sucht sie den »kreativen Neuanfang« (166). Dieser Gedanke wird in Kapitel 3 im Gespräch mit Oepke Noordmanns, Henning Luther und dem südafrikanischen Konzept des »Ubuntu« breit entfaltet und bis in den Gottesgedanken selbst vertieft: »Die Spannungen deuten auf einen Gott-auf-Achse, einen Gott der Liminalität, einen Gott des Übergangs.« (56) Der sich am Kreuz offenbarende Gott ist »unendlich verletzlich, aber niemals besiegbar« (61), er ist der »mitleidende Gott, der in der Wirklichkeit immer neue Formen an­nimmt« (62).
Diese Grundgedanken werden in den folgenden Kapiteln in verschiedene Richtungen vertieft, die im Rahmen einer Rezension nur angedeutet werden können:
Kapitel 4 ist ein theologie- und kulturgeschichtlicher Streifzug durch die Welt der Narren, anregend und nachdenkenswert zu­gleich. Wenn, um nur ein Beispiel zu nennen, der theologische Tief- und Hintersinn des Karneval erörtert wird, habe ich mich von den Autoren ertappt gefühlt, die zu Beginn des Kapitels konstatieren, dass »die Homiletik bisher das außergewöhnliche Zeugnis der Narren weder ernst noch spielerisch aufgenommen« hat (73). Und dabei hätten wir es doch längst besser wissen können, denn was die Narren inszenieren ist im Grunde genau dies, womit Nathan (um nur ihn zu nennen) den in Machtmissbrauch verstrickten König David überführt!
Kapitel 5 rekonstruiert das Leben Jesu als Weg dessen, »der die Welt zum Narren hält« (111). Abgesehen von vielen Einzelbeobachtungen, die zum Neu-Lesen und Anders-Predigen animieren, sei hier auf das hermeneutische Verfahren hingewiesen: Statt die konkrete Anschaulichkeit der Geschichten allzu schnell auf einen »Scopus« einzudampfen oder auf eine Lösung hin zu erklären, tun wir gut daran, uns auf das Erzählte einzulassen, es uns in seiner verstörenden Konkretheit vorzustellen, uns ihm auszusetzen. (Wir werden an Deegs Plädoyer für die Suche nach der »Wahrheit im Text« erinnert:) »Mit Wort und Tat inszeniert Jesus einen Spott auf die Welt. Und dieses Evangelium verstehen wir am besten, wenn wir in diese Torheit eintreten und uns selbst narren lassen.«
Kapitel 6 entwirft in einer nochmaligen Tiefenbohrung eine Theologie des Lachens und der Klage. Anknüpfend an Peter L. Bergers Studie »Erlösendes Lachen« wird die widerständige, auf Hoffnung ausgerichtete subversive Kraft des Humors in Erinnerung gebracht, sowie dessen (notwendige) Kehrseite: die Klage. Ohne die Klage verkäme der Humor zu harmloser Launigkeit, ohne den Hu­mor endete Klage in Resignation.
Die Kapitel 1–6 beinhalten (in herkömmlicher Terminologie formuliert) prinzipielle und (vor allem) materiale Aspekte der Ho­miletik. Auch die beiden letzten Kapitel, die sich dem Prediger und der Predigt zuwenden, bieten keine »how-to-do-Liste«. Wohl aber machen sie Eigenschaften (Kapitel 7) und Sprachformen (Kapitel 8) namhaft, welche die liminale Predigt der Torheit des Evangeliums zu fördern vermögen. Manchen Leser wird das enttäuschen (zumal Sprachformen wie »Metapher«, »Ironie«, »Parodie«, »Spott«, »Indirektheit« für sich genommen keine Unbekannten sind, im Kontext des Buches allerdings überraschend frisch und erhellend präsentiert werden). Die Autoren geben aber zu bedenken: »Es gäbe nichts Törichteres, als zu glauben, dass man Narrheit mit Hilfe eines ›Vier-Punkte-Plans‹ heraufbeschwören könne, der Erfolg verspricht. Vielmehr deuten die Eigenschaften eher eine Einstellung an, eine Orientierung, einen Habitus […] Sie skizzieren nur einige Linien im Gesicht des predigenden Narren« (165) .
Diese »Skizze« ist überzeugend gelungen!