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Ausgabe:

Dezember/2016

Spalte:

1421–1423

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Kuźmicki, Tadeusz

Titel/Untertitel:

Umkehr und Grundentscheidung. Die moraltheologische optio fundamentalis im neueren ökumenischen Gespräch.

Verlag:

Regensburg: Verlag Friedrich Pustet 2015. 422 S. = Studien zu Spiritualität und Seelsorge, 6. Kart. EUR 44,00. ISBN 978-3-7917-2675-5.

Rezensent:

Mathias Wirth

Bereits der gewählte Titel der Dissertationsschrift von Tadeusz Kuźmicki, die 2014 an der Theologischen Fakultät Paderborn, einer Einrichtung des Erzbistums Paderborn, als moraltheologische Ar­beit angenommen wurde, ist spannungsreich. Die erste Spannung ergibt sich aus den im Titel der Arbeit gegenübergestellten Begriffen »Umkehr« und »Grundentscheidung«. Selbst wenn es sich um eine Umkehr im Sinne einer Grundentscheidung handeln sollte, bleibt im begrenzten Optionsraum menschlichen Handelns die Option der Umkehr notorisch. Kommentiert der Begriff der Grundentscheidung die Bindungsfähigkeit menschlicher Freiheit, trotz aller epistemischer Intransparenz der Existenz, so deutet die Fähigkeit zur Umkehr die Fähigkeit des Akteurs an, gewolltes Wollen zu stornieren. Die zweite Spannung ist kontroverstheologischer Art und ergibt sich aufgrund des Anliegens K.s, ein ökumenisches Gespräch über die »moraltheologische optio fundamentalis« zu initiieren, obwohl es sich dabei überhaupt nicht um ein Konzept handelt, dass in der evangelisch-theologischen Systematik diskutiert wird.
Diese doppelte Spannung gibt die Interpretationsaufgabe dieser Studie ab, der sich K. in fünf großen Kapiteln nähert und dabei einen weiten Winkel wählt, um verschiedene Konzepte darzustellen, die nach seiner Auffassung für das positive Verständnis der moraltheologischen Rede von einer optio fundamentalis maßgeblich sind, die er auch gegen katholische Kritik verteidigen möchte, die sich mit der Enzyklika Veritatis splendor verbindet, in der die optio fundamentalis unter bestimmten Aspekten zurückgewiesen scheint.
Nach einer Einführung stellt sich das erste Kapitel der Arbeit als Art tour d’horizon dar: Unter Rekurs auf Sören Kierkegaard, Maurice Blondel und Karl Rahner wird eine Ideengeschichte der optio fundamentalis vorgestellt, die im zweiten Kapitel eine Vertiefung finden soll, in dem hier die Exerzitien des Ignatius von Loyola und die darin enthaltene Aufforderung zur Grund- und Einzelentscheidung für Gott thematisiert werden. Es folgt im dritten Kapitel unter Verweis auf entsprechende Arbeiten von Bernhard Häring und Klaus Demmer eine nähere katholisch-theologische Auszeichnung der optio fundamentalis. Dem ökumenischen Format der Arbeit entsprechend, enthält das vierte Kapitel die Ergebnisse der Spurensuche nach vergleichbaren Konzepten innerhalb der evangelischen Theologie, die K. bei Gerhard Ebeling, Wolfhart Pannenberg und Peter Zimmerling findet. Warum hier die Arbeit von Philip Clayton unbeachtet bleibt, obwohl K. ihren expliziten Bezug zur optio fundamentalis hervorhebt (19), bleibt indes unklar. In einem fünften und letzten Kapitel wird schließlich der Versuch unternommen, die diversen in der Arbeit aufgenommenen Stränge zu­sammenzuführen.
Da der Begriff der optio fundamentalis nicht sehr gängig ist, beginnt K. mit einer sehr knappen Einführung des Begriffs, den er für einen »[…] unverzichtbare[n] Fachterminus bei der Reflexion menschlichen Handelns« hält, gerade weil er dem Verhältnis von »unsichtbar-geheimnisvollen und sichtbar-empirischen Dimensionen menschlichen Handelns« gewidmet sei (11). Diese Andeutung reicht K. zunächst als Darstellung eines Leitbegriffs aus, ohne aber zu verpassen, Sören Kierkegaard als Vor-denker und Maurice Blondel als Aus-denker der optio fundamentalis zu würdigen (13–14). Andere dispersa fragmenta einer Definition kann man im weiteren Gang der Arbeit finden: so etwa, dass die optio fundamentalis im Sinne eines Grundentscheids empirisch unnachweisbar sei, da nur Einzeltaten beobachtbar sind (21). Als Grundproblem der optio fundamentalis, das innerhalb der katholischen Theologie diskutiert wurde, er­scheint die Unzumutbarkeit, einen Einzelakt für das Ganze zu nehmen (22–23). Insgesamt, so K., habe die katholische Moraltheologie nach dem Zweiten Weltkrieg nach einem alternativen Modell zur Situationsethik gesucht, das nicht die konkrete Handlung, sondern zugrundeliegende Intentionen in den Mittelpunkt rückt (24).
In Sören Kierkegaard findet K. dann einen Gewährsmann für die These, nach der das Innere des Menschen für das Außen zwar verschlossen bleibt, es sich dabei aber nicht um eine hermetische Abriegelung handelt, so dass Innen und Außen, Gedanke und Tat nicht schon immer Gegensätze sein müssen (44–49). Der Begriff der Subjektivität bei Kierkegaard sei, so K., der ideengeschichtliche und direkte (protestantische) Vorläufer der (katholischen) optio fundamentalis (54). Maurice Blondel stellt er dann als den ersten expliziten Denker der optio fundamentalis heraus, wobei insbesondere die These Blondels imponiert, nach der sich die Handlung des Menschen nie selbst genügt und ausgerichtet sei auf einen Sinn und ein Ziel außerhalb (72). Dies animiere den Menschen aber zu einer sein gesamtes Leben betreffenden Entscheidung gegenüber dem, was außerhalb ist (76). Dann wird Karl Rahner von K. als Vertreter einer Position zur Freiheit des Menschen, die Entscheidungen mit Ewigkeitswert fällen könne (103). In diesem Licht erscheinen auch die Exerzitien des Ignatius, die zu einer Wahl des Menschen animieren wollen und konkretisieren helfen, was eine Entscheidung für Gott im individuellen Fall bedeutet (145). Mit Bernhard Häring wird dann etwas klarer, was die optio fundamentalis intendiert, die bisher eher schemenhaft dargestellt wurde. Mehr durch besorgte direkte Zitate als durch präzise Ausführungen stellt K. im Gespräch mit Häring heraus, dass man sich mit dem in Rede stehenden Konzept von der Kasuistik katholischer Moral- und Beichttheologie, der »Altmoral« (197), abwenden wollte, um nicht mehr von der Einzeltat auf die Person zu schließen (186–187). Zugleich soll die optio fundamentalis aber nicht wirkungslos bleiben. Klaus Demmer, so K., betone – in umgekehrter Blickrichtung wie Häring – die Effizienz der sittlichen Grundentscheidung, die in jeder sittlichen Tat aufscheine (252). Damit wird die auf Einzelakte gerichtete Ethik keineswegs aufgegeben, aber anders grundiert.
Innerhalb der evangelischen Theologie sei die Frage einer optio fundamentalis bis auf wenige Ausnahmen, und dort auch nicht expressis verbis, aufgegriffen worden (284). Allenfalls Gerhard Ebelings »Grundsituation« weise Parallelen zur optio auf, allerdings beschreibt er eine fundamentale Imprägnierung durch die Sünde, so dass ein autonomer Akt ethischer Entscheidung nicht leicht angenommen werden kann (290). Auch Wolfhart Pannenberg wird diskutiert, dessen Anthropologie »Gott als Mitte und Sinn menschlichen Lebens« (341) entfaltet und darin dem Anliegen der katholischen optio fundamentalis vergleichbar sei.
Im Gespräch mit evangelisch-theologischen Ansätzen greift K. auch eine mögliche Kritik an einem Fokus auf die Grundentscheidung auf, die Gunda Schneider-Flume zitiert, die vor einer »übermäßigen Konzentration auf die eigene Identität« gewarnt hat, die als »Deformation der menschlichen Lebensthematik« beschrieben wird (346).
Am Ende der Arbeit definiert K., was er überhaupt unter der optio fundamentalis verstehen will: »[…] mit der optio fundamentalis [ist] prinzipiell die unverzichtbare Gegenwart Gottes in der Welt […] und die Verhältnisbestimmung zwischen der Gegenwart Gottes und der des Menschen [gemeint].« (383)
Insgesamt würdigt die Arbeit wichtige Probleme der optio fundamentalis unzureichend, allen voran, wie obiges Zitat anzeigt, fehlen begriffliche Präzisierungen. So wird ein theologisches Grundproblem mit einem Begriff belegt, der überdies als moraltheologisches und nicht als dogmatisches Problem eingeführt wurde. Der moraltheologische Fokus geht dabei wie selbstverständlich davon aus, dass von einer Handlung umstandslos auf die Person geschlossen werden kann, obwohl dieser Konnex in der Ethik längst als unzulässig erkannt ist: »Die ausdrückliche Entscheidung für Gott ereignet sich zwar im verborgenen Inneren des Menschen, lässt sich jedoch auch sichtbar in äußeren Handlungen erkennen.« (125) Zwar führt K. entsprechende Grenzen der Objektivierbarkeit an, etwa im Zu­sammenhang mit seinen Ausführungen zu Kierkegaard (44), zieht daraus aber kaum Konsequenzen für sein Anliegen einer Revitalisierung der Diskussion einer optio fundamentalis (27).
Leider trübt auch eine Vielzahl von Allgemeinplätzen das Ni­veau der in Rede stehenden Studie, wie der Hinweis darauf, dass Ökumene Kennenlernen voraussetze (162) oder das tertium comparationis zwischen Spiritualität und optio fundamentalis in einer Betroffenheit des ganzen Menschen läge (359). Oft werden offenkundige Tatsachen besonders hervorgehoben, etwa, dass Klaus Dem­mer sich im Kapitel über die Sünde ebendiesem Thema gewidmet hat (276), oder dass der Theologe Peter Zimmerling Gott als eine Prämisse für seine theologische Sondierung der Beichte ge­wählt hat (363). Hinzu kommen Postulate, die teilweise völlig unverbunden und ohne argumentative Aufbereitung stehen (174. 177.179).
Auch gedanklich und sprachlich weist diese Arbeit Defizite auf (z. B. 20.25.54.67.322.357.371). Knappe Moderationen und teils sehr nah an Zitationen angelegte Paraphrasen (z. B. 164: »heilsindividualistischer Ausgangspunkt«) oder sehr schlichte Paraphrasen ohne entdeckerischen Blick (297) ersetzen an vielen Stellen eine kritische Analyse- und Einordnungsleistung. Hinzu kommen in die Peripherie führende Notizen zu Gesprächspartnern wie Maurice Blondel (59) oder Ignatius (127–130), die die gesamte Arbeit in Teilen anekdotenhaft und zuweilen unkonzentriert erscheinen lassen (z. B. 171, Anm. 1).
Trotz vieler erheblicher Kritikpunkte gelingt K. eine erste Darstellung des expliziten und impliziten Diskussionsstrangs um eine optio fundamentalis im katholischen und evangelischen Raum. Dennoch drängt sich beim Gang durch die Arbeit die Frage auf, welches theologische Problem hier überhaupt sondiert werden soll und ob der Begriff der optio fundamentalis im Sinne der Darstellung dieser Arbeit überhaupt präzisieren und definieren hilft, was genau die Probleme oder wenigstens einige Probleme des Gott-Mensch-Verhältnisses sind. Die ersten Andeutungen, die K. zu diesem weiten Feld gemacht hat, lohnen es, im zukünftigen ökumenischen Gespräch fortgesetzt zu werden, das K. übrigens vorbildlich und ohne jeden Subtext der Gehässigkeit sehr versöhnlich und auf der Suche nach Gemeinsamkeiten begonnen hat.