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Ausgabe:

Dezember/2016

Spalte:

1413–1415

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Ohly, Lukas

Titel/Untertitel:

Anwesenheit und Anerkennung. Eine Theologie des Heiligen Geistes.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2015. 210 S. = Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie, 147. Geb. EUR 80,00. ISBN 978-3-525-56416-5.

Rezensent:

Christian Danz

Unter dem Titel Anwesenheit und Anerkennung hat der in Frankfurt am Main Systematische Theologie lehrende Lukas Ohly Eine Theologie des Heiligen Geistes vorgelegt. Den Ausgangspunkt seiner Pneumatologie bildet das Phänomen der Anwesenheit. Der Heilige Geist, so die These, ist der »Name für ein spezifisches Anwesenheitsphänomen«, »dessen besonderer Charakter« in dem Buch in Auseinandersetzung und vor dem Hintergrund der Konzeptionen von Christian Rust, Gunther Wenz, Jürgen Moltmann und Michael Welker (17–21) »präzise beschrieben werden soll« (22). Hierzu wählt O. als »angemessene Methode« eine »phänomenologische Darstellung« (21). Die Phänomenologie erschließt also den Heiligen Geist auf eine angemessenere Weise als die Dogmatik. Daraus resultiert eine interessante Neuformulierung der Pneumatologie, die in den neun Kapiteln des Buches ausgeführt wird.
Grundlegend ist das zweite Kapitel Zur Methodik der Pneumatologie (23–53), in dem das Phänomen der Anwesenheit in den Blick genommen wird. Auf das hier entwickelte Verständnis bauen die weiteren Ausführungen auf. Anwesenheit lässt sich mit den aristotelischen Kategorien nicht recht erfassen (35–39). Sie ist ein »Drittes zwischen uns und dem Anwesenden« (34), ein Phänomen eigener Art also, welches nicht in dem Vorhandensein von etwas aufgeht. Mit Peirce, seinen Kategorien der Erstheit, Zweitheit und Drittheit, sowie im Anschluss an Hermann Deuser wird das Phänomen als gleichsam kosmologischer Möglichkeitshorizont des Erscheinens von etwas verstanden und theologisch gedeutet (vgl. 76). Anwesenheit sei »selbst als eine theologische Kategorie zu interpretieren«, nämlich »als transzendente Grundlage für zwei Seiende, von denen mindestens eins dem anderen anwesend ist« (41). Diese Deutung überträgt O. auf den Heiligen Geist. »Der Heilige Geist wird erfahren, wo Anwesenheit als schöpferische und wirklichkeitsbildende Kraft erfahren wird, indem sie die Anwesenheit von etwas (statt pure Anwesenheit) ist.« (49; vgl. 50) Kategorial gehört das Phänomen der Geisteserfahrung auf die Peirce’sche Ebene der Drittheit, was auch besagt, der Geist ist stets medial vermittelt (vgl. 40). Aus der Perspektive des Phänomens der Anwesenheit, es fungiert als ein »Schlüssel« (10) für ein Neuverständnis des Geistes, wird dieser universalisiert. Die Bindung des Geistes an die Christologie – von der die Lehrtradition ausgegangen ist – wird damit zugunsten des Phänomens und seiner Evidenz (51 f.) zurückgestellt. Der Geist bildet dann den Horizont für alles, selbst noch für dessen Bestreitung, da er den Horizont darstellt, der für alles Bestimmte konstitutiv ist (vgl. 45: »Jegliches Wirklichkeitsverständnis verdankt sich der schöpferischen Bedingung von Anwesenheit.«; vgl. auch 52). Folglich ist, wie im Anschluss an Martin Heidegger (41–43) und Johannes Fischer (43–45) herausgearbeitet wird, zu unterscheiden zwischen Anwesenheit und Anwesenden. Als Kriterium zur Scheidung der Geister fungiert die Nichtanerkennung der Anwesenheit. Darin besteht die Sünde wider den Geist. Sie sei deshalb unvergebbar, »weil der Vergebung die Anwesenheit geraubt wird« (46 f.). Die Anerkennung der Anwesenheit besteht dann im Glauben, i. e. der Unterscheidung von Anwesenheit und Anwesenden (84–88). O. verbindet auf diese Weise die Pneumatologie mit der Ethik, wie es der Titel seiner Studien bündig zusammenfasst: Anwesenheit und Anerkennung.
Mit der Unterscheidung von Anwesenheit und Anwesenden, also von schöpferischem Möglichkeitshorizont und dessen konkreten Deutungen (»Wirklichkeitsverständnis«), sind die kategorialen Grundstrukturen der Pneumatologie umrissen, die in den weiteren Abschnitten des Buches minutiös und konsequent entfaltet werden. Kapitel 3 Wann Menschen doch vom Heiligen Geist reden (54–76) diskutiert expressive und repressive Ausdrucksformen der Geisterfahrung, das 4. Kapitel wendet sich dem Themenfeld Glaube und Werke unter der Leitfrage Sind Christen bessere Menschen? zu (77–95). Hier reformuliert O. die Rechtfertigungslehre als »Gerechtigkeit allein aus Treue« (85). Diese Deutung resultiert aus der Grunddifferenz von Anwesenheit und Anwesenden, die rechtfertigungstheologisch in der Unterscheidung von Treue und Treu-Sein und sodann im 5. Kapitel ekklesiologisch als Unterscheidung von Anerkennung und Erkenntnis bzw. verborgener und sichtbarer Kirche aufgenommen wird. Letztere wird in dem Abschnitt Man kann nur mit Kirche an Gott glauben (96–141) so interpretiert, dass ein Glaube an Gott außerhalb der Kirche nicht bzw. nur als Selbstwiderspruch möglich sei (95.104.114 f.). Hatte die protestantische Lehrtradition den Geist an die Schrift gebunden, so bindet ihn O. an die Kirche. Dadurch erhält das eingeräumte universale und gleichsam kosmologische Wirken des Gottesgeistes Bestimmtheit (vgl. 114: »sichtbare Gestalt im Hinblick auf Treuebeziehungen«). Die Kirche repräsentiert die Unterscheidung von Treue und Treu-sein bzw. von Anerkennung und Erkenntnis. Wer aus ihr als Institution im Interesse eines »wahren« Glaubens, also mit Rekurs auf die verborgene Gemeinschaft (Treue) austritt, verwandelt den Glauben in sein Gegenteil. »Wenn man aber die Treue nicht sinnfällig zum Ausdruck bringen will, die man im Glauben an eine verborgene Kirche anerkennt, widerspricht man im Verhalten diesem Glauben. Man widerspricht mutwillig dieser Treue, indem man sich selbst untreu verhält.« (104) Lässt sich aber dieses Verständnis der Kirche noch, wie O. behauptet (102.114), von deren katholischer Deutung als Heilsanstalt unterscheiden?
Die weiteren Kapitel des Buches behandeln Die Kraft des Wortes Gottes (142–157) sowie Die Kraft der Sakramente (158–173). Wieder ist es die Grundunterscheidung von Anwesenheit und Anwesenden, die kategoriale Fassung des Geistes als medial vermittelte Anwesenheit, die den Argumentationsgang trägt. O. bietet in diesen Abschnitten viele bedenkenswerte Überlegungen zur Sprache, zur medial vermittelten Kommunikation (Evangelium als virtuelle Gegenwelt, 150–157) sowie zur zirkulären Struktur des Sakramentsbegriffs (168–172). Wie eine Art Anhang wirken hingegen die beiden letzten Kapitel, die der Eschatologie gewidmet sind (Ewiges Leben mit altem Gehirn?, 174–184; Das Ende der Kränkungen, 185–201). Zwar traktieren auch sie Themen, die zum dritten Artikel des Glaubensbekenntnisses gehören, aber die Perspektive, in der sie ausgeführt werden, steht zu dem bisherigen Gedankengang in einem lockereren Zusammenhang. O. selbst weist darauf hin, in diesen beiden Abschnitten gehe es um eine Aufnahme der eschatologischen Kapitel seiner Christologie (Was Jesus mit uns verbindet, Leipzig 2013) in Auseinandersetzung mit der neurophysiologischen Debatte über die Auferstehung (174 f.).
Man kann fragen, was die Pneumatologie bei O. eigentlich thematisiert. Es geht nicht wie in der Lehrtradition um die Aneignung Christi im Glauben. In dem Buch selbst wird die Pneumatologie nicht mit der Christologie verbunden. Hinter dem universalen Wirken des Geistes treten die individuellen Vollzüge zurück. Auch die Frage nach der Person des Geistes wird nicht thematisch, da O. auf eine Trinitätslehre verzichtet. Stattdessen rückt seine Neuformulierung der Pneumatologie das universale Wirken des Geistes im schöpferisch-kosmologischen Zeichenprozess in den Fokus, der auf eine absolute Bestimmtheit der Zeichen zielt. Wenn allerdings der Geist alles in diesem Prozess wirkt, dann ist er aber auch ununterscheidbar. Vermeiden lässt sich eine solche missliche Konsequenz allein durch eine Rückbindung des Geistes an die konkreten, stets bereits kulturell bestimmten Deutungsakte von Menschen. Darin liegt der Gehalt der von der Lehrtradition vorgenommenen Bindung des Geistes an die Christologie.
Der angeführten Kritik ungeachtet hat O. einen interessanten systematischen Reformulierungsvorschlag der Pneumatologie vorgelegt, der sich nicht (wie so oft) in einer Reproduktion der Theologiegeschichte erschöpft.