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Ausgabe:

Dezember/2016

Spalte:

1411–1413

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Knorn, Bernhard

Titel/Untertitel:

Versöhnung und Kirche. Theologische Ansätze zur Realisierung des Friedens mit Gott in der Welt.

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2016. XII, 363 S. = Frankfurter Theologische Studien, 74. Geb. EUR 49,00. ISBN 978-3-402-16061-9.

Rezensent:

Julia Enxing

Die Dissertationsschrift von Bernhard Knorn SJ ist in vier Teile gegliedert: Nach einem ausführlichen Forschungsüberblick (I.) bilden eine christologisch begründete und profilierte Theologie der Versöhnung (II.) und die Rolle der Kirche in Versöhnungs- und Friedensprozessen (III.) die beiden Hauptteile der Arbeit. Abschließend folgt eine Ertragssicherung (IV.).
K. steigt mit einer Darstellung des Forschungsstandes ein, er­läutert Konzept, Methode und Vorgehen seiner Studie. Obgleich sich die Notwendigkeit und Aktualität einer Theologie der Versöhnung geradezu aufdrängt, merkt er an, dass eine solche in jüngster Zeit primär von evangelischer Seite vorgelegt wurde. Ziel K.s ist es, der katholischen Dogmatik mit Impulsen aus evangelisch-systematischer Theologie (u. a. K. Barth, M. Volf) zu einer eigenständigen und anschlussfähigen Theologie der Versöhnung zu verhelfen. K. profiliert den Versöhnungsbegriff dabei durch eine Verknüpfung von Soteriologie und Ekklesiologie und betritt so ein bisher wenig bearbeitetes Feld, spielt doch die Christologie in den we-nigs­ten (katholischen) Ekklesiologien eine tragende Rolle.
Zu Beginn erläutert K. verschiedene Konzepte von Versöhnung, wobei er sich in erster Linie auf Autoren und Autorinnen des 20./21. Jh.s stützt. Neben bibeltheologischen Erträgen zum Versöhnungsverständnis (Bundestheologie und Mittlerposition Christi) dienen diese Ansätze als Ausgangspunkte für die weitere Entwicklung eines theologischen Versöhnungsbegriffs im zweiten Hauptteil der Studie.
Nach einer bibeltheologischen Grundlegung des Bundes- und Beziehungsgedankens für einen Versöhnungsprozess fragt K. nach der Qualität der Gott-Mensch-Beziehung. Kurz wird – sehr naheliegend – M. Bubers und D. Sattlers Theologie skizziert, bevor ein eigener Abschnitt zur »Beziehung mit Gott« in der Theologie des Kirchenlehrers Thomas von Aquin folgt.
Im darauffolgenden christologischen Teil kontrastiert K. die theologischen Ansätze des protestantischen Theologen W. Pannenberg mit denen der katholischen Theologen J. Werbick und M. Striet und würdigt deren versöhnungstheologische Erträge. »Be­steht die Einbeziehung der Menschen bei Pannenberg in der Inklusion in Jesu Stellvertretung, geschieht sie nach Striet durch die Befreiung der Menschen, Versöhnung selbst zu wagen.« (144) K. kommt zu dem Fazit: »Allenfalls ein Konzept von Stellvertretung, das die Menschen einbezieht und theodizeesensibel ist, kann für eine Versöhnung akzeptabel sein.« (153 f.)
Anschließend erörtert K. die Frage nach dem Versöhnungsbedarf. K. nimmt sich dem Was (nicht des Warum) der Versöhnung an, bleibt allerdings mit Verweisen auf die Theodizeeproblema-tik, die »Bedeutungslosigkeit«, »falsche Absolutheiten« etc. des menschlichen Lebens im Allgemeinen. (147) Im nächsten Schritt untersucht K. das Verständnis vom Dienst der Versöhnung in der paulinischen Theologie und daran anknüpfend bei Barth, Volf, Pannenberg und Werbick.
Der folgende Teil der Arbeit ist »[der] Rolle der Kirche bei der Versöhnung« gewidmet. K. beginnt ihn mit zwei Beispielen, in denen Versöhnung eine Rolle spielt und mit deren Hilfe der Versöhnungsbegriff konturiert werden soll. Zum einen handelt es sich um die religiöse Opferpraxis und ihr Ansinnen, eine Versöhnung mit Gott zu bewirken. K. schließt sich dabei gängig gewordener Kritik am Gedanken eines »Opfertodes Christi« an und plädiert stattdessen dafür, Jesu Kreuzestod als »das bleibende Symbol menschlicher Unversöhntheit mit Gott« zu begreifen (197). Das zweite Beispiel fragt nach dem innerkirchlichen Frieden – vornehmlich in Augustins Ekklesiologie. Für ihn ist die Kirche eine solidarische Größe, die sich sowohl im »Sündersein« [sic! Sünderinsein] als auch in der Vergebung zeige (203). Diese Überlegung wird im Folgenden metapherntheologisch reflektiert: Anhand der ekklesiologischen Leitbegriffe »Leib Christi«, »Volk Gottes«, Kirche als »Kollektivperson« und des »communio«-Gedankens wird ge­fragt, welche dieser Metaphern die gemeinsame Vision eines versöhnten Miteinanders von Gott und Mensch am besten zum Ausdruck bringe. Das Modell der Kirche als Kollektivperson sei sehr gut geeignet, Kirche als »Ort der Versöhnung« – nicht als bereits »versöhnten Ort« – zu begreifen und zu leben.
Daran anknüpfend untersucht K. die versöhnungstheologische Bedeutung von Kirche als (Grund-)Sakrament und den einzelnen Sakramenten. Mit neueren freiheitstheoretischen Überlegungen zeigt er auf, dass Versöhnung nicht nur im Empfang der Sakramente erfahrbar ist. Vielmehr sind Christen dazu befreit, Gottes endgültige Versöhnungszusage darzustellen und im weltlich-menschlichen Versöhnungshandeln zu realisieren.
Insgesamt nimmt sich K.s Studie eines hoch aktuellen Themas an und leistet damit einen großen Beitrag für die katholische Dogmatik. Dass er dies anhand einer systematischen Zusammenschau und Korrelation katholischer und evangelischer Theologien unternimmt, ist innovativ und angesichts der noch immer bestehenden Hemmungen, gerade im Bereich der Dogmatik die konfessionellen Grenzen zu überschreiten, besonders positiv hervorzuheben. Bei den Autoren und Autorinnen selbst stützt sich K. dabei allerdings weitestgehend auf »Klassiker«. Die übersichtliche Sicherung der Erträge und Würdigung der einzelnen Positionen für eine Theologie der Versöhnung am Ende jedes Kapitels sind ausgesprochen hilfreich. Obgleich die Inhalte jeweils überzeugen, ist die Anordnung der Kapitel nicht immer logisch. So hätte das sehr grundlegende Kapitel, das sowohl dem Versöhnungsbedarf der Menschen als auch der Frage der Unversöhntheit der Kirche nachgeht und damit die Versöhnungsbedürftigkeit überhaupt erst auf den Punkt bringt, deutlich früher gebracht werden müssen. Erst nachdem geklärt ist, weshalb es überhaupt einer Versöhnung bedarf und worin die Unversöhntheit besteht, können versöhnungstheolo-gische Konzepte ihre volle Relevanz entfalten. Hinzu kommt, dass K. zum Teil Fragestellungen behandelt, die wie ein Exkurs wirken und deren Relevanz für die Gesamtfragestellung sich erst etliche Seiten später erschließt (Beispiel Weltverständnis der Christen) bzw. unklar bleibt. So scheint der Exkurs über den Aquinaten we­nig zusätzliche »Theologie« zu bieten. Mehr noch, es bleibt unklar, wie die von Thomas vertretene »Unberührbarkeit« Gottes einen positiven Beitrag zu einem theologischen Verständnis von Versöhnung als Beziehungsgeschehen leisten kann. Zwar referiert K. die Unberührbarkeit Gottes bei Thomas, für ihn wird Gott aber »dadurch, dass die menschliche Natur zu ihm in Beziehung kommt, zu einem, der Beziehung hat« (108). Obgleich ein Unterschied besteht, ob Gott Beziehung »hat« oder »ist«, scheint doch zumindest dahingehend Diskussionsbedarf zu bestehen, ob ein derartig einseitiges Ins-Verhältnis-Setzen den Begriff »Beziehung« verdient.
Diese kleineren Kritikpunkte nehmen der Arbeit allerdings nicht ihre grundsätzliche Stimmigkeit und systematisch-theologische Relevanz. Es ist nicht nur eine beachtliche Leistung, sondern auch ein großer Zugewinn, mit dieser Studie eine systematische Darstellung, Gewichtung und Weiterentwicklung bedeutender gegenwartstheologischer Konzepte für eine Theologie der Versöhnung vorliegen zu haben.
K.s Studie ist sowohl in stilistischer als auch formaler Hinsicht einwandfrei und zeichnet sich durch gute Lesbarkeit aus. Einziger Kritikpunkt: Die durchgängige ausschließlich männliche Sprache ist eine Herausforderung für gendersensible Leser und Leserinnen.