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Ausgabe:

Oktober/1999

Spalte:

1066 f

Kategorie:

Kirchenrecht

Autor/Hrsg.:

Gut, Walter

Titel/Untertitel:

Kreuz und Kruzifix in öffentlichen Räumen. Eine Auseinandersetzung mit Gerichtsentscheiden über Kreuze und Kruzifixe in kommunalen Schulzimmern.

Verlag:

Zürich: NZN 1997. 180 S. 8. Kart. sFr 29.-. ISBN 3-85827-118-7.

Rezensent:

Heinrich de Wall

Die vieldiskutierte Kruzifix-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 16.5.1995 hat in einem Entscheid des Schweizerischen Bundesgerichts vom 26.9.1990 einen Vorgänger gehabt. In beiden Fällen ging es um die Frage, ob die staatliche bzw. kommunale Anordnung, in Klassenzimmern öffentlicher Schulen Kreuze anzubringen, mit der Religionsfreiheit und dem Grundsatz der staatlichen Neutralität in religiösen und weltanschaulichen Fragen vereinbar ist. Beide Gerichte haben diese Frage im konkreten Fall verneint. Dies nimmt der Schweizer Walter Gut zum Anlaß einer vergleichenden Analyse und Kritik beider Entscheidungen, die auch im vollen Wortlaut dokumentiert werden. Dabei hebt er die kulturelle Bedeutung von Kreuzen und Kruzifixen als Element des Brauchtums in katholisch geprägten Landstrichen besonders hervor. Da Symbole ihre Bedeutung nicht in sich trügen, sondern erst durch den jeweiligen Betrachter erhielten, und da das Kreuz eine Vielzahl von Deutungsmöglichkeiten eröffne, gingen die Gerichte an den Realitäten vorbei, wenn sie meinten, daß ein an der Wand eines Schulzimmers hängendes Kreuz oder Kruzifix wegen einer vermeintlichen "Zwangswirkung" die Glaubens- oder Gewissensfreiheit eines Schülers oder die Neutralität der Schule verletze.

Beide Urteile werden aus dieser Perspektive, aber darüber hinausgehend auch im sonstigen juristischen Detail, je für sich einer gesonderten Kritik unterzogen. Überraschend ist dabei, daß beiden Entscheidungen prozessuale Konstellationen zugrunde liegen, die für den juristischen Laien - aber auch für den nicht in der jeweiligen Rechtsordnung beheimateten Juristen - kaum nachzuvollziehen sind. Der Vf. zieht daraus die Folgerung, daß beiden nur auf den Einzelfall bezogene Bedeutung zukommen sollte. Das ist für den deutschen Kruzifix-Beschluß wegen der gesetzesgleichen Kraft von verfassungsgerichtlichen Entscheidungen nicht ganz zutreffend. Für den deutschen Betrachter sind die Ausführungen zu den spezifisch Schweizerischen Verhältnissen besonders interessant und nützlich. Der Vf. macht deutlich, daß der in Art. 27 Abs. 3 der Schweizerischen Bundesverfassung besonders hervorgehobene Grundsatz der konfessionellen Neutralität im Unterricht nicht im Sinne einer strikten Laizität zu verstehen ist, sondern die Pflege religiöser Werte und Normen in der Schule unter Beachtung der Parität und Toleranz verlange. Insofern bestehe kein Unterschied zum Begriff der weltanschaulichen Neutralität deutscher Prägung. Dem ist für den deutschen Teil insoweit zuzustimmen, als mit der Pflege religiöser Werte und Normen keine konfessionelle Unterweisung außerhalb des Religionsunterrichts verbunden ist.

Zutreffend erkennt G., daß das Bundesverfassungsgericht in seiner Kruzifix-Entscheidung von den Grundsätzen, die seine bisherige Rechtsprechung zur Frage der religiösen Bezüge im öffentlichen Schulwesen geprägt haben, nicht ausdrücklich abgewichen ist. Allerdings sei es bei deren Anwendung nicht sorgfältig genug vorgegangen, indem es den Bedeutungsgehalt des Kreuzes als Symbol verengt und seine kulturelle Bedeutung verkannt habe. Auf dieser Grundlage habe es zu Unrecht eine Tendenz zur Verdrängung des Religiösen aus dem Schulwesen bestärkt. Beide Gerichte hätten die säkularstaatliche Perspektive verlassen, die der Religion auch im öffentlichen Raum grundsätzlich freundlich gegenüberstehe. Besonders das Bundesverfassungsgericht gerate dabei in Gefahr, in eine "laizistische Fahrrinne" zu geraten und so das Religiöse aus der Öffentlichkeit zu verdrängen. Dieser Analyse ist beizupflichten, auch wenn man, wie der Rez., nicht so sehr die kulturelle Bedeutung religiöser Symbole hervorheben würde als vielmehr die Freiheit des einzelnen, auch des Schülers, seine Religion in der Öffentlichkeit bekennen zu können. Gleichwohl stellen die Ausführungen Guts einen gewichtigen Beitrag zur weiter schwelenden Diskussion um die Neutralität des Staates und der Schule dar, der den Blick über den nationalen Tellerrand ermöglicht.