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Ausgabe:

Dezember/2016

Spalte:

1380–1381

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Pfisterer, Hans

Titel/Untertitel:

Carl Ullmann (1796–1865). Vom Pfarrersbub aus dem kurpfälzischen Odenwald zum badischen Prälaten: Romantik und »positive Vermittlung« in Theologie und Kirche.

Verlag:

Ubstadt-Weiher: verlag regionalkultur 2014. 128 S. m. 32 Abb. Kart. EUR 14,90. ISBN 978-3-89735-824-9.

Rezensent:

Thomas K. Kuhn

Der reformierte Carl Christian Ullmann, dessen Todestag sich 2015 zum 150. Mal jährte, gehört nicht zu den breiter erforschten Theologen des 19. Jh.s. Die letzte Monographie, die sich mit dem badischen Theologen beschäftigt, ist die im Frühjahr 1976 vom Fachbereich Evangelische Theologie der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz angenommene und von Gustav Adolf Benrath betreute Dissertation von Hans Pfisterer. In seiner 1977 in der Reihe der »Veröffentlichungen des Vereins für Kirchengeschichte in der evangelischen Landeskirche in Baden« (Bd. 29) erschienenen Studie »Carl Ullmann (1796–1865). Sein Weg zur Vermittlungstheologie« rekonstruierte der Vf. Ullmanns Entwicklungsgang bis zu den Anfängen des von Ullmann initiierten und herausgegebenen vermittlungstheologischen publizistischen Organs »Theologische Studien und Kritiken« im Jahr 1828. 37 Jahre nach dem Erscheinen seiner Promotionsschrift legt Pfisterer nun nach seinem Eintritt in den Ruhestand eine weitere Darstellung Ullmanns vor, für die er neue Quellen, die als Teilnachlässe in das Archiv der badischen Landeskirche kamen, verwenden konnte. Hier seien beispielsweise »Biographische Notizen über Dr. C. Ullmann von eigener Hand. Osterferien 1837 (Lebenslauf bis 1813)« genannt, die der Vf. breit zitiert. Diese neuen, leider nicht zusammenfassend beschriebenen Quellen erforderten – so der Vf. – zwar keine Korrekturen der vorliegenden Biographie, ermöglichten aber eine präzisere Verortung Ullmanns in der Bewegung der Romantik. Für die Zeit von 1796 bis 1828 folgt die neue Studie der Dissertation in ihren Grundlinien, kann aber gelegentlich ein wenig differenzierter darstellen.
Der im Odenwald aufgewachsene Pfarrerssohn Carl Ullmann, der seine schulische und universitäre Ausbildung vornehmlich in Heidelberg erhielt, entwickelte dort eine lebenslang währende Vorliebe für die Philologie. Unter dem Eindruck der Malerei der Romantik äußerte er als 16-Jähriger den Wunsch, nicht wie eigentlich vorgesehen das Studium der Theologie aufzunehmen, sondern Künstler und Landschaftsmaler zu werden. Unter dem Druck der Eltern wandte sich Ullmann schließlich seit dem Herbst 1812 der Theologie in Heidelberg zu, bevor er im dritten Semester ins – wie er selbst schrieb – »alttheologische Tübingen« wechselte. Dieser Umzug sollte den jungen Studenten weg von seinem intensiv gepflegten künstlerischen Leben und hin zu einer tieferen Beschäftigung mit der Theologie führen. In Tübingen entstanden Freundschaften mit Carl Sand, dem späteren Mörder des Dichters August von Kotzebue, und Gustav Schwab, dem Verfasser der »Klassischen Sagen des Altertums«. (Dem Verhältnis von Ullmann und Schwab widmet der Vf. einen eigenen »Nachtrag: Carl Ullmann und Gustav Schwab – eine ›Herzensfreundschaft‹ in Briefen«.)
Nach dem im Herbst 1816 absolvierten Examen und dem nachfolgenden Vikariat wurde Ullmann von der Kirchenleitung für eine wissenschaftliche Laufbahn empfohlen. Deshalb bezog er erneut die Heidelberger Universität, um eine Dissertation vorzubereiten, und schloss sich vor allem Karl Daub an, der zum Kreis der Romantiker zählte. Eine Bildungsreise nach Berlin brachte ihn mit Friedrich D. E. Schleiermacher, Wilhelm M. L. de Wette und August Neander zusammen, bevor er im Wintersemester 1819/20 begann, in Heidelberg Vorlesungen zu halten und seine Habilitation zu erarbeiten. Wenig später wurde er zum außerordentlichen Professor für Theologie berufen; eine von de Wette gewünschte Berufung nach Basel scheiterte am Widerstand der dortigen politischen Behörden. Einem abgelehnten Ruf an das Wittenberger Predigerseminar folgte 1826 die Ernennung zum ordentlichen Professor in Heidelberg. Zwei Jahre später erschienen unter der Federführung Ullmanns die schon erwähnten »Theologischen Studien und Kritiken«, die unter Ausschluss der spekulativen Theologie der sogenannten »neueren Theologie« ein wissenschaftliches Forum bieten sollten, ohne aber die unterschiedlichen Richtungen der älteren Theologie ausgrenzen zu wollen. Dem 1828 erfolgten Ruf nach Halle folgte Ullmann, wo er sich dem Projekt »Reformatoren vor der Reformation« zuwandte, dessen Ergebnisse er 1841/42 in zwei Bänden vorlegte. Nach acht Jahren kehrte er nach Heidelberg zu­rück.
Durch seine in den 1830er Jahren erfolgte intensive, aber zusehends kritischer werdende Rezeption Schleiermachers trat bei ihm die überkommene, klassische theologische Begrifflichkeit erkennbar zurück. Zudem wandte er sich der Kirche nun zusehends mit Blick auf Gegenwart und Zukunft zu, betonte als konstitutives Element des Protestantismus das Prinzip der freien Schriftforschung und relativierte die normative Relevanz der Bekenntnisschriften. Eine weitere theologische Positionierung legte er 1845 mit seiner gegen die Linkshegelianer gerichteten Schrift »Das Wesen des Chris­tentums« vor.
Kirchenpolitisch setzte er sich für solche moderaten Reformen der kirchlichen Verfassungen und des deutschen Protestantismus ein, die von der »Idee einer deutsch-evangelischen Kirchengemeinschaft« getragen waren, ohne aber ein neues Bekenntnis zu fordern. Zudem setzte er sich für die Gründung des Deutschen Evangelischen Kirchentags ein. Schließlich warb er auch für christliche Beiträge zur Lösung der drängenden sozialen Fragen und wurde schließlich Vorsitzender des »Badischen Landesvereins für Innere Mission«. Sein kirchliches Engagement erhielt 1853 durch seine Berufung zum Prälaten der badischen Unionskirche ganz neue Dimensionen. In Zeiten eines bis dahin nicht gekannten kirchlichen Transformationsprozesses standen zahlreiche Re­formen an, um der Union positive Gestalt zu verleihen. Ullmann, der schließlich Direktor des Oberkirchenrates mit Sitz und Stimme im Innenministerium wurde, sah sich in einen heftigen Agendenstreit verwickelt, der die badische Landeskirche in den späten 1850er Jahren bewegte. Als weitere kirchenpolitische Auseinandersetzungen Baden erschütterten, die Ullmann selbst als »Katastrophe« bezeichnet hat, bat er um Entlassung aus dem Dienst, die ihm Ende 1860 gewährt wurde. Nun konnte er sich in den ihm noch verbleibenden vier Lebensjahren wieder vermehrt »seiner« Zeitschrift zuwenden.
Hans Pfisterer legt eine knapp gehaltene, aus den Quellen gearbeitete und gut lesbare biographische Darstellung eines bedeutenden und vielfältig aktiven Vermittlungstheologen aus der ersten Hälfte des 19. Jh.s vor und verortet diesen in den wichtigsten zeitgenössischen Kontexten. Insbesondere die Beschreibungen, die zeitlich über den in der Dissertation behandelten Zeitraum hinausgehen, bieten weiterführende Informationen. Allerdings bringt es die Kürze der Darstellung zwangsläufig mit sich, dass wichtige Aspekte häufig nur angerissen wurden. Fragwürdig und unbegründet ist die Entscheidung des Vf.s, auf eine breitere Rezeption neuerer Literatur zu verzichten. Hilfreich wäre es hier sicherlich gewesen, Intention und Grenzen des Buches klarer zu benennen. Insgesamt gesehen hat das reichlich bebilderte und erfreulich preiswerte Buch das Verdienst, auf einen weithin, aber zu Unrecht vergessenen Theologen und Kirchenmann aufmerksam zu machen, und es bleibt zu hoffen, dass es weitere, vertiefende Forschungen anregt.