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Ausgabe:

Oktober/1999

Spalte:

1063–1065

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Wenzelmann, Gottfried und Annegrit [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Geist und Gemeinde. Beiträge zu Charisma und Theologie.

Verlag:

Hamburg: Geistliche Gemeinde-Erneuerung in der Evangelischen Kirche 1998. 165 S. 8. ISBN 3-9803972-6-2.

Rezensent:

Holger Böckel

"Beiträge zu Charisma und Theologie" ist als fortzuführende Reihe gedacht, in der theologische Reflexion im Zusammenhang der charismatischen Bewegung bzw. im Blick auf die entsprechende Geisterfahrung geleistet werden soll. Der vorliegende erste Aufsatzband enthält sechs Beiträge unterschiedlicher theologischer Fachrichtungen.

Der erste Beitrag stammt von Norbert Baumert SJ. Unter dem Titel "Charisma - Versuch einer Sprachregelung" läßt der katholische Neutestamentler, ausgehend von einer semantischen Analyse des biblischen Befundes, die Umrisse seiner Charismenlehre erkennen, in deren hermeneutischem Zentrum die entsprechenden Passagen des II. Vatikanums stehen.

Seine Kernthese ist, die Charismen seien als Begabungen der Heilsordnung, nicht jedoch der Schöpfungsordnung zu bestimmen. Charisma ist "eine aus der Gnade Gottes hervorgehende, jeweils von Gott besonders zugeteilte Befähigung zum Leben und Dienen in Kirche und Welt" (37). Charismen sind als durch die göttliche Gnade gewirkte Realitäten bei jedem Christen anzutreffende und im Unterschied zu den Tugenden unableitbar und je ereignishaft zugeteilte Begabungen. Daß die Charismen der Heilsordnung zugewiesen werden, ist vor allem durch ihre Bindung an die Heilsgemeinschaft der Kirche bedingt, welche als "umfassendes Sakrament des Heils" durch die Charismen ihren Auftrag besser erfüllt. Auch wenn Charismen nicht wie die Sakramente die Gnade vermitteln, sind sie "Handeln aus der Gnade, ein Teil des Erlösungswirkens Gottes". Dieser "charismatischen Grundstruktur" der Kirche erscheint das Amt jedoch als prinzipiell vorgeordnet.

Der zweite Beitrag ist ebenfalls in der neutestamentlichen Forschung angesiedelt, jedoch aus evangelischer Perspektive geschrieben. Marco Frenschkowski untersucht "religionsgeschichtliche Hintergründe zu einem Topos der johanneischen Pneumatologie" (Joh 14,26). Nach einleitungswissenschaftlichen Erwägungen widmet sich der Autor sehr ausführlich der Analyse von Memorierbefehlen in antiker Offenbarungsliteratur, im jüdischen Kontext und dem Erinnern und Vergessen in religionspsychologischer Hinsicht.

Im Unterschied zur hellenistischen Offenbarungsliteratur, wo ein aktives Ringen um die Integration der transzendierenden Erfahrung vorliegt, ist im Moment der Gnade, das schon im jüdischen Kontext vorkommt, das Proprium bei Johannes zu sehen: Das "johanneische Heil ist ontologisch, soteriologisch und noetisch ... so vollständig extra nos, daß sogar die elementare Funktion der Erinnerung Gabe des Pneumas ist"(78). Es gibt somit keine Autarkie des Charismatischen ohne Anbindung an die Jesusüberlieferung.

Lorenz Hein liefert schließlich einen kurzen kirchengeschichtlichen Beitrag mit dem Thema "Die geistliche Struktur der Kirche nach Philipp Jakob Spener". Hein hebt den Einfluß der mittelalterlichen Mystik, insbesondere Taulers auf Spener hervor. Die Kirche sei beides, sichtbare Versammlung und geistliche Gemeinschaft. Auch die Struktur der Kirche sei, als eine charismatische, geistlicher Art. Solche geistliche Struktur der Gemeinden wurde in den Versammlungen im Pietismus deutlich und wirkt bis heute in Form der Hauskreise nach.

Gottfried Wenzelmann bringt schließlich einen sehr kurzen, eher stichwortartigen Beitrag zur Geistlichen Gemeinde-Erneuerung, die er als eine gottesdienstlich orientierte Bewegung, eine seelsorgerliche Bewegung und eine Gemeindeaufbaubewegung kennzeichnet.

Als letztes erarbeitet Dieter Müller unter dem Titel "Gottes leibhaftige Liebe" einen Beitrag zu "Ehe, Familie und andere Lebensformen". Seine christliche Sicht der Ehe als "exklusive, dauernde, letztverbindliche und ganzheitliche Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau" (146) stellt er anderen Formen des partnerschaftlichen Zusammenlebens antithetisch gegenüber. Eine sachliche Vermittlung mit den Bedingungen der aktuellen gesellschaftlichen Moderne findet indes kaum statt.

In diesem Sammelband wird ansatzweise sichtbar, daß aus der hiesigen charismatischen Bewegung heraus auch theologische Impulse geliefert werden können. Die ökumenische Weite ist dabei sehr aufschlußreich und sollte beibehalten werden, wenngleich die aufgetretenen Diskrepanzen, etwa beim ersten Beitrag gegenüber dem evangelischen Charismenverständnis (und dem der GGE), bearbeitet werden müßten. Leider fehlen Beiträge aus der Dogmatik, der Religionspsychologie und der Praktischen Theologie, was unbedingt aufgeholt werden sollte.