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Ausgabe:

Dezember/2016

Spalte:

1366–1368

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Uro, Risto

Titel/Untertitel:

Ritual and Christian Beginnings. A Socio-Cognitive Analysis.

Verlag:

Oxford u. a.: Oxford University Press 2016. 248 S. Geb. US$ 90,00. ISBN 978-0-19-966117-6.

Rezensent:

Lukas Bormann

Der Autor Risto Uro ist Senior lecturer im Neuen Testament an der Universität Helsinki und forscht im Exzellenzprojekt der Academy of Finland »Ritual and the Emergence of Early Christian Religion: A Socio-Cognitive Analysis«. Neben zahlreichen englischsprachigen Publikationen zum Thema hat er auch auf Deutsch über »Kognitive Ritualtheorien« in EvTh 71 (2011) publiziert. Die nun vorgelegte konzentrierte Studie schlägt eine Brücke von der historisch-philologisch orientierten neutestamentlichen Wissenschaft zur kognitionswissenschaftlichen Religionsforschung (»Cognitive Science in Religion«).
Die Einführung (1–6) und das erste Kapitel (Ritual Theory and Early Christian Studies: 7–40) konstatieren ein Defizit in den Bibelwissenschaften und in der Erforschung des frühen Christentums: Ritualwissenschaftliche Fragen würden nur unzureichend behandelt. U. sieht hingegen im Ritual einen Schlüssel zum Verständnis der Entstehung, Ausbreitung und Entwicklung des Christentums. Er stellt drei Theorien bzw. Modelle vor, die er anwenden möchte: 1. Die Ritualtheorie von Lawson/McCauley, die religiöse Rituale nach Handlungsträger (»agent«), Ritualhandlung (»act/instrument«), Ritualempfänger (»patient«) und den kulturell vorausgesetzten übermenschlichen Akteuren (»culturally postulated superhuman agents«) strukturiert und in Typen, die Vorhersagen über ihre sozialpsychologische Wirkung zulassen, einteilt. 2. Die Theorie über Formen von Religiosität nach Whitehouse, die zwischen lehrorientierter (»doctrinal«) und erfahrungsorientierter (»imagis­tic«) Religiosität unterscheidet und diesen jeweils bestimmte Ritualtypen zuweist (langweilig-wiederholend versus exzentrisch-einmalig). 3. Die soziofunktionale Theorie des Signalisierens von Verbindlichkeit und Engagement (»Commitment Signalling«), nach der Rituale eine evolutionäre Bedeutung für die Hervorbringung und Sicherung der Kooperation einer Gruppe haben.
Im zweiten Kapitel (Ritual, Culture, and the Human Mind: 41–70) findet der Leser zuverlässige Informationen über Entwicklungen im komplexen Feld der kognitionswissenschaftlichen Religionsforschung. U. selbst vertritt einen Methodenpluralismus und will Reduktionismus und Determinismus, die mit manchen Forschungsansätzen verbunden seien, vermeiden. Eine Tabelle gibt einen Überblick (69).
Die Kapitel 3–5 befassen sich nun mit Ritualen im Neuen Testament. Kapitel 3 (Ritual and the Rise of Religious Movements: 71–98): Die Johannestaufe sei an den Täufer als speziellen Handlungsträger gebunden gewesen und habe dadurch größeren emotionalen Eindruck bei den Ritualempfängern hinterlassen als die bisher bekannten rituellen Waschungen im Judentum. Verbunden mit dem innovativen Anspruch, Bußtaufe zu sein, habe sie diese Waschungen zudem in ihrem Effekt überboten. Das mit der Taufe verbundene individuelle Sündenbekenntnis sei als Signalisieren von Verbindlichkeit zu verstehen, habe die Bereitschaft des Ritualempfängers zur Kooperation mit der Täuferbewegung zum Ausdruck gebracht und so den Gruppenzusammenhalt gefördert. Schließlich habe die Taufe als intensives selbstbezügliches Ritual im Ritualempfänger Erinnerungen hinterlassen, in denen religiöses Wissen gespeichert gewesen sei, so dass ein wirkungsvolles »belief-ritual package« aus Sündenvergebung und Taufe entstanden sei.
Kapitel 4 (Ritual, Possession, and Healing: 99–127): Die Heilungen und Exorzismen Jesu seien trotz gewisser Spannungen zwischen dem gängigen Verständnis eines Rituals, das sein Ziel in sich selbst trage, und von Heilungen und Exorzismen, deren Effekt überprüfbar außerhalb des Rituals selbst liege, als Ritual eines besonderen Handlungsträgers (»special agent ritual«) zu interpretieren. Jesus habe ein »belief-ritual package« bestehend aus Reich-Gottes Verkündigung und Heilungen angeboten, das nur in dieser Kombination Jesu Wirkung und Nachwirkung begründen könne.
Kapitel 5 (Ritual and Cooperation: 128–153): Die Rituale der paulinischen Hausgemeinden werden in Anknüpfung an Durkheims sozialfunktionale Religionsinterpretation und Rappaports Theorie des Rituals als eines nichtersetzbaren sozial-kommunikativen Akts der Akzeptanz einer Ordnung analysiert. U. kritisiert die bisherige neutestamentliche Ritualforschung, die eine sozialkohäsive Wirkung des Mahls in den paulinischen Gemeinden behaupte, ohne diese tatsächlich nachzuweisen. Der nach U. eher lockere Zusammenhalt der korinthischen Gemeinde sei vielmehr durch die hochemotionalen Rituale der Prophetie und des Zungenredens hergestellt worden. Diese seien zeitlich mit dem Gemeindeleben abgestimmt gewesen, hätten in einem gewissen Maße die Beteiligung der Gemeinschaft hervorgerufen und als aufrichtige Signale (»honest signals«) den Zusammenhalt hergestellt.
Das abschließende Kapitel 6 (Ritual and Religious Knowledge: 154–177) behandelt die Fragen nach der Formung und der Weitergabe von religiösem Wissen. U. stellt zunächst Forschungsergebnisse vor, die einen Zusammenhang zwischen Körperbewegungen und kognitiven Prozessen nachweisen, und bezieht diese dann auf die Taufe. Die Taufe vermittle Wissen über Machtstrukturen der Kirche, indem sie dieses durch körperlich erfahrbare Handlungen (z. B. Handauflegung, Untertauchen u. Ä.) einpräge. Um die Taufe bilde sich zudem ein System von Institutionen, in denen sich religiöses Wissen überindividuell verkörpere: das Katechumenat, die Glaubensformeln, Erzählungen von Jesu Taufe als Prototyp aller Taufen und die Tauforte.
Abschließende Bemerkungen (178–182), ein umfangreiches Literaturverzeichnis (183–220) und hilfreiche Indizes (221–230) schließen den sorgfältig erarbeiteten und leserfreundlichen Band ab.
U. arbeitet den kognitionswissenschaftlichen Fachdiskurs kompetent auf. Von besonderer Bedeutung sind seine Analyse der Jo­hannestaufe als Innovation, die Anwendung des Modells des »belief-ritual package«, um die Wirkung des Täufers und Jesu zu erklären, sowie die Kritik an theologieaffinen Ritualinterpretationen des Mahls, die soziale Effekte eher suggerieren als nachweisen. Die Rituale im frühen Christentum sind in diesem Buch exemplarisch in einer Weise analysiert, die sie einerseits der vergleichenden Religionsforschung zugänglich macht und die andererseits der historischen Rekonstruktion des frühen Christentums wichtige religionswissenschaftliche Analogien eröffnet. U. ist für diese anregende Pionierarbeit zu danken.