Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Dezember/2016

Spalte:

1364–1366

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Theobald, Florian

Titel/Untertitel:

Teufel, Tod und Trauer. Der Satan im Johannesevangelium und seine Vorgeschichte.

Verlag:

Göttingen: Vanden-hoeck & Ruprecht 2015. 323 S. m. 2 Abb. u. 3 Tab. = Novum Testamentum et Orbis Antiquus/Studien zur Umwelt des Neuen Testaments, 109. Geb. EUR 90,00. ISBN 978-3-525-59367-7.

Rezensent:

Jan Heilmann

Die im Sommersemester 2012 an der Theologischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg angenommene Dissertationsschrift von Florian Theobald weckt nicht zuletzt durch die gelungene Alliteration im Titel das Interesse der Leserinnen und Leser. Die von G. Theißen betreute Studie hat den Anspruch, die schon 1888 durch O. Everling konstatierte Lücke einer monographischen Behandlung des Teufels im Johannesevangelium zu schließen.
Das Ziel von T.s Arbeit besteht darin, das »Teufelsverständnis des vierten Evangelisten« (15) zu erschließen und vor dem Hintergrund von Teufelsvorstellungen im Judentum und frühen Chris­tentum traditionsgeschichtlich zu erhellen. Zugleich ist die Studie explizit als Auseinandersetzung mit der These von H. A. Kelley konzipiert, für den im Widerspruch zum Forschungskonsens der Teufel in der testamentarischen Zwischenzeit und im Neuen Testament noch nicht in einem dualistischen Sinne als Widersacher Gottes zu verstehen sei, sondern vergleichbar zu seiner Rolle im Alten Testament als Funktionär Gottes. T. verbindet Kelleys These mit der religionswissenschaftlichen Frage, »ob für den zu untersuchenden Zeitraum überhaupt von einer Teufelsvorstellung ›im eigentlichen Sinne‹« (17), einer Teufelsgestalt, die als von Gott partiell unabhängige Macht nur in den westlich-monotheistischen Religionen existiere, gesprochen werden könne.
Um diese traditions- und religionsgeschichtlichen Fragen im Hinblick auf den Teufel im JohEv adäquat beantworten zu können, untersucht T. zunächst die Wurzeln der Teufelsvorstellungen im Alten Testament (22–35) sowie deren Weiterentwicklung »in der testamentarischen Zwischenzeit« (35–89). T. identifiziert als alttes­tamentliche Wurzeln der frühjüdischen und frühchristlichen Teufelsvorstellungen Satan und Belial, die sich als zwei diametral entgegengesetzte Größen gegenüberstehen – Ersterer als pedantischer Kämpfer auf der Seite Gottes, Letzterer als Todes- und Chaosmacht außerhalb der göttlichen Ordnung. Die Untersuchung der Teufelsvorstellungen in den außerkanonischen Schriften inklusive der Schriften von Qumran führt T. zwar zu der Schlussfolgerung, dass eine »›Biographie des Teufels‹ im Sinne einer geradlinigen Entwicklungsgeschichte« (87) angesichts der verschiedensten Be-zeichnungen und traditionsgeschichtlichen Hintergründe der einzelnen Teufelsgestalten gerade nicht möglich sei; deutlich zu erkennen sei aber, dass die Weiterentwicklung der Teufelsvorstellung in den besprochenen Texten auf der schon im Alten Testament zu beobachtenden Spannung zwischen unabhängiger Gegnerschaft zu Gott und Wirken als Macht oder Instrument Gottes in den Texten basiere. Darüber hinaus zeigten insbesondere die Qumrantexte gegen die These Kelleys, dass die dort vorkommenden Teufelsgestalten gerade nicht nur Abstraktionen seien, sondern sehr wohl als personale kosmische Mächte aufträten.
Um »einen ersten exemplarischen Einblick in das Denken der frühen Christen über den Teufel zu geben und Übereinstimmungen aber auch Abweichungen gegenüber der frühjüdischen ›Satanologie‹ aufzuzeigen« (18), skizziert T. vor der eigentlichen Untersuchung des JohEv die Teufelsvorstellung bei Paulus und in den synoptischen Evangelien. Dabei kommt er zu dem Fazit, dass das Satansbild des Paulus äußerst bunt sei, es aber keine Spur eines durch das Heilswerk Christi bewirkten Machtverlustes des Teufels gebe. Für die synoptischen Evangelien arbeitet T. heraus, dass der Teufel in der markinischen Jesusgeschichte entgegen der These von J. M. Robinson nicht als Antagonist zu Jesus auftrete und durch das Kreuz entmachtet würde, vielmehr habe der Satan als Herrscher über die verursachenden Dämonen schon durch Jesu öffentliches Wirken seine Macht verloren. Im MtEv trete besonders das Konzept hervor, dass der Satan durch Menschen, insbesondere durch die Pharisäer agiere.
Die Untersuchung des »Teufelsverständnisses« im JohEv, das T. entsprechend der Tendenz in der aktuellen Forschung als literarisch einheitliches Werk begreift, gliedert sich nach einer Übersicht über die vier verschiedenen Teufelsbezeichnungen und deren traditionsgeschichtliche Hintergründe (148–153) in zwei große Abschnitte: T. beginnt mit einer detaillierten sprachlichen und traditionsgeschichtlichen Analyse von V. 8,44 (153–189), in dem Wesen und Wirken des Teufels definitorisch zusammengefasst seien. Daran anschließend untersucht T. ausführlich (189–280), wie die Macht des Teufels im Rahmen des narrativen und theologischen Konzepts des JohEv überwunden wird.
Ein wichtiger Beitrag zur Johannesforschung liegt in der ausführlich begründeten These, dass die Entmachtung des Teufels vergleichbar mit der sogenannten Sektenregel in den Schriften von Qumran (1QS 4,18–23) im Johannesevangelium auf zwei Ebenen erfolge:
1. Die universale Entmachtung des Teufels auf kosmischer Ebene ereigne sich in der Stunde Jesu und werde unter Aufnahme frühjüdischer Teufelssturztraditionen erzählt, die in ApkMos und TestJud 25 zu finden seien und die sich dadurch auszeichneten, dass der Sturz aus einem undefinierten lokalen Bereich durch die Inthronisation eines anderen ausgelöst werde.
2. Es »folgt eine individuelle Entmachtung des Teufels auf anthropologischer Ebene, die der Paraklet […] bei seinem Kommen zu den Jüngern bewirkt« (284): Durch die mit dem Parakleten eintretende Erkenntnis der Wahrheit werde der Einfluss der Lüge, die traditionsgeschichtlich eng mit dem Wirken des Teufels verknüpft ist, gebrochen. Wichtig für die weitere Forschungsdiskussion er­scheinen mir außerdem die Beobachtungen zu den Dimensionen des »psychischen Wirkens des johanneischen Teufels« (285).
Bei aller Detailtreue und Breite insbesondere der traditionsgeschichtlichen Analysen in der Studie sind jedoch kritische Anfragen nicht zu vermeiden: So ist zwar die Einführung in die Forschungsgeschichte in der elfseitigen Einleitung gut lesbar und komprimiert dargestellt, zu kurz kommt aus der Sicht des Rezensenten aber die Beschreibung der methodologischen Grundlagen. Es fehlt vor allem eine hermeneutische Reflexion der für die Studie zentralen Analysekategorie »Teufel«. Dadurch bleibt das Verhältnis zwischen Quellensprache und analytischer Metasprache im Verlaufe der gesamten Studie unterbestimmt. Weil T. alle betrachteten Phänomene unter dieser Kategorie zusammenfasst, gerät die Frage nach möglichen Differenzen und deren (traditionsgeschichtlicher, narrativer und pragmatischer) Bedeutung aus dem Blickfeld, die in der quellensprachlichen Vielfalt der verschiedenen Figuren auch im JohEv zum Ausdruck kommen könnte. Eine große Herausforderung der Studie (insbesondere im Hinblick auf den Umfang) bestand darin, dass die Figur des Judas im JohEv eng mit dem Diabolos/Satan verknüpft ist. Dies hat T. zwar im Hinblick auf die untersuchten Stellen herausgearbeitet, einige Facetten des Verhältnisses der beiden bleiben jedoch unberücksichtigt (z. B. die Bedeutung des Bissens in Joh 13,26–30).
Trotz dieser kritischen Anfragen enthält die Studie zahlreiche wichtige Beobachtungen, an denen in Zukunft anzuknüpfen ist. Exemplarisch möchte ich am Schluss auf eine dieser Beobachtungen hinweisen: Und zwar sei die lukanische Teufelsvorstellung dadurch geprägt, dass der Tod Jesu hier in einen kausalen Zusammenhang zum Wirken des Satans gesetzt werde (vgl. insbesondere Lk 22,3–6) und dass der Satan in seinem Handeln von Gott abhängig erscheine. Damit steht Lukas in diesem Punkt dem JohEv deutlich näher als den anderen beiden synoptischen Evangelien. Die Frage nach dem Grund für diese Übereinstimmung in der Theologie der beiden Evangelien wird umso spannender, wenn man berücksichtigt, dass der entscheidende Vers Lk 22,3 durch Tertullian in dem für Markion bezeugten, anonymen Evangelium als fehlend belegt ist.