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Ausgabe:

Dezember/2016

Spalte:

1345–1348

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Giuntoli, Federico, and Konrad Schmid[Eds.]

Titel/Untertitel:

The Post-Priestly Pentateuch. New Perspectives on its Redactional Development and Theological Profiles.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2015. VIII, 351 S. = Forschungen zum Alten Testament, 101. Lw. EUR 114,00. ISBN 978-3-16-153121-7.

Rezensent:

Christian Frevel

Die in dem hier vorzustellenden Buch versammelten Beiträge eh­ren den am Päpstlichen Bibelinstitut in Rom lehrenden katholischen Exegeten Jean Louis Ska zu seinem siebzigsten Geburtstag, der nahezu vier Jahrzehnte Akzente in der Pentateuchforschung gesetzt hat. Der Band greift damit zugleich ein Thema auf, das nicht nur dem Geehrten in seinen Beiträgen zur Pentateuchforschung ein Anliegen gewesen ist, sondern das besondere Aufmerksamkeit in der gegenwärtigen Pentateuchdebatte verdient.
Es besteht derzeit ein gewisser Konsens in der Pentateuchforschung, dass die formative Phase, die zu der Größe Pentateuch geführt hat, sowohl in redaktionskritischer als auch in komposi-tionskritischer und literatursoziologischer Hinsicht komplexer (oder wie Wellhausen immer wieder betonte »complicierter«) gewesen ist als das überkommene Urkundenmodell abzubilden in der Lage war. In mancher Vereinfachung des Graf-Kuenen-Wellhausen-Modells war »nachpriesterschriftlich« – wenn überhaupt – nur der Pentateuchredaktor, der die Urkunden unter dem leitenden Modell der Priesterschrift additiv zusammenführte und das Deuteronomium durch Dtn 34,10–12 aus dem deuteronomistischen Geschichtswerk abtrennte. Nichtpriesterliche Texte galten durchweg als vorpriesterschriftlich, so dass ein nachpriesterschriftlicher Pentateuch nahezu per definitionem ausgeschlossen war. Dieses Mo­dell ist schon vor über 30 Jahren in der Pentateuchforschung zunächst partiell infrage gestellt worden und kann inzwischen als obsolet gelten. Waren es zunächst nur Beobachtungen zu redaktionellen Verschränkungen deuteronomistischer und priesterlicher Perspektiven oder die Annahme von blockweisen nachpriesterschriftlichen Wachstumsschüben in Lev 17–26; 27, Num 1–4 oder Num 16–17, so ist in den vergangenen beiden Dekaden die Anzahl der nichtpriesterlichen Texte, die für eine nachpriesterschriftliche Entstehung ins Feld geführt werden, enorm gewachsen: Gen 2–3; 15; 20–22; Ex 3–4; 19,3–8; 32–34; Num 11–14; 22–24; Jos 24 etc. Gegenüber dem klassischen Urkundenmodell sind die Vertreter eines Grundschriftmodells zunehmend erstarkt, die in der Priesterschrift den ersten und einzigen quellenhaften Faden im Pentateuch sehen, der erst nachpriesterschriftlich in Fortschreibungen bis zum Abschluss des Pentateuch angewachsen ist. Ein Konsens scheint derzeit darüber erreicht zu sein, dass es die eine formative Endredaktion oder Pentateuchredaktion ebenso wenig gegeben hat wie die Autorisierung der Tora durch die persische Reichsregierung; jedoch besteht nach wie vor Unklarheit darüber, wie sich der Bearbeitungsprozess des Pentateuch im ausgehenden 5. und 4. Jh. v. Chr. gestaltet hat und wie er abgeschlossen wurde.
Muss man mit mehreren konkurrierenden Größen rechnen, die aufeinander hin ergänzt worden sind und dann redaktionell miteinander verschränkt wurden? Gibt es Bearbeitungen und Redaktionsschichten, die gezielt eine hexateuchische Perspektive schaffen oder wieder zugunsten der an die Größe Mose gebundenen pentateuchischen »Tora« auflösen? Das Bild von einzelnen Redaktionen, die ganze Werkzusammenhänge (Tritoteuch, Pentateuch, Hexateuch, Enneateuch) überspannen, findet jedenfalls kaum noch Fürsprecher. Sind aber die Bearbeitungsschichten durch Traditionszusammenhänge oder Textzusammenhänge bestimmt? Steht die Büchertrennung am Ende der Redaktionsprozesse oder hat sie lediglich formativ auf textlich begrenzte Fortschreibungen Einfluss genommen? Gibt es formative Redaktionen, die durch Autorisierung den Wachstumsprozess gezielt zum Stocken bringen oder versiegt der Traditionsstrom irgendwann von selbst, so dass die Produktionsprozesse zunehmend von Rezeptionsprozessen abgelöst werden? Nachdem die These einer persischen Reichsautorisation als formativer Abschluss des Pentateuch ausgedient hat, ist zudem die materiale wie literatursoziologische Verortung der Produktionsprozesse offen: Gab es überhaupt Schulen, die Bearbeitungen aus ihrer Schultradition (deuteronomistisch, priesterlich, weisheitlich, prophetisch etc.) vorgenommen haben oder muss mit literati gerechnet werden, denen in der Perserzeit die schriftgelehrte Traditionspflege oblag und die sowohl in pries­terlichem wie deuteronomistischem Duktus und Stil geschrieben haben? Welche Rolle kam dabei den Priestern am Jerusalemer Tempel zu und wie fand die zunehmend erkennbare Abstimmung etwa zwischen Samariern und Judäern in der Traditionsbildung statt? Zwar haben viele Arbeiten in jüngerer Zeit die Techniken der »scribal erudition« versucht näher zu beschreiben, doch bleibt die institutionelle Verankerung der formativen Prozesse in der Pentateuchforschung nach wie vor sehr unklar. Es besteht Übereinstimmung darin, dass die Verschränkung von verschiedenen Perspektiven und deren Entwicklung Kennzeichen von Traditionsliteratur ist und sich in den fortschreibenden Fügungen eher innerbiblische Bezugs- und Auslegungsprozesse spiegeln als bloß additive Kompilationen von Quellen oder Fragmenten. Derzeit fehlt allerdings ein Modell für die Entstehung und den Abschluss des Pentateuchs, das die genannten Aspekte aufnimmt und diesen Prozess plausibel im Kontext der fortgeschrittenen Perserzeit verankert.
Die Fragen liegen in der gegenwärtigen Pentateuchforschung auf der Hand und sie alle lassen sich unter dem Dach des »Post-Priestly Pentateuch« zusammenführen. Von daher kommt der so betitelte Band zur richtigen Zeit, auch wenn er die oben genannten Fragen nicht in einem systematischen Einleitungsbeitrag oder Überblick entfaltet und viele der Beiträge nur einzelne ausgewählte Aspekte thematisieren. Für Leserinnen und Leser, die in diese Ho-rizonte der Pentateuchforschung nicht eingearbeitet sind, ist der Band daher eine gehörige Überforderung, für alle anderen ein Ge­winn. Herausgegeben wird die Festgabe von Konrad Schmid von der Universität Zürich, der durch seine Herausgebertätigkeit der letzten Jahre bereits viele wichtige und weiterführende Impulse in der Pentateuchforschung gesetzt hat, und Federico Giuntoli, der am Päpstlichen Bibelinstitut in Rom die Tradition innovativer Pentateuchforschung weiterführt. Der Band versammelt elf englisch sprachige und sechs auf Deutsch verfasste Beiträge namhafter Forscher, die aus sehr unterschiedlichen Wissenschaftstraditionen und »Schulen« kommen und je unterschiedliche Horizonte haben: Konrad Schmid, David M. Carr, Reinhard Achenbach, Rainer Al­bertz, Bernhard S. Jackson, Bernhard M. Levinson, Christoph Levin, Joseph Blenkinsopp, Matthias Köckert, Alexander Rofé, Thomas Römer, Federico Giuntoli, Jan Christian Gertz, Ludwig Schmidt, Hans-Christoph Schmitt, Christophe Nihan und Eckart Otto. Der Band vereinigt Überblicke, die aus der Zusammenschau einer abgeschlossenen Kommentierung erwachsen sind (etwa bei Rainer Albertz des Exodusbuches oder Eckart Otto des Deuteronomiums), Untersuchungen zu Textblöcken (wie Matthias Köckert zu Gen 20–22, Thomas Römer zur Josefsgeschichte oder Alexander Rofé zu Gen 26 und 26) über Einzeltexte (Ex 19,3b–9 bei Hans-Christoph Schmitt, Lev 26,39–46 bei Christophe Nihan oder Gen 48 bei Fede-rico Giuntoli) bis hin zu einzelnen Themen (den Umgang mit den Fremden bei Reinhard Achenbach, den Stab des Mose bei Ludwig Schmid oder die Väterverheißungen bei Christoph Levin). Einen guten Einstieg in die Thematik bieten die beiden ersten Beiträge.
Konrad Schmid bietet unter dem vielsagenden Titel »Von der Diaskeuase zur nachendredaktionellen Fortschreibung. Die Geschichte der Erforschung der nachpriesterschriftlichen Redaktionsgeschichte des Pentateuch« eine gute forschungsgeschichtliche Orientierung, die deutlich macht, dass die Frage nach den späten Fortschreibungen im Pentateuch eher in den vereinfachenden Pentateuchmodellen untergegangen war als dass sie neu aufgebrochen ist. Das unterstreicht auch David M. Carr in seinem stärker methodologisch aus­gerichteten Beitrag »Strong and Weak Cases and Criteria for Establishing the Post-Priestly Character of the Hexateuchal Material«, wenn er in der zunehmenden Bestimmung von nichtpriesterlichem Material als nach-priesterlich ein Kennzeichen der europäischen neueren Pentateuchforschung sieht und versucht, in der Charakterisierung von Fortschreibungsprozessen als Auslegungsprozesse Konsenslinien zu definieren. Nicht alle nach-priesterlichen Zuschreibungen werden in der gegenwärtigen Debatte das gleiche Maß an Konsens erzielen, daher versucht Carr zwischen starken und schwachen Kriterien der Zuweisung zu differenzieren. Während er für Num 21,33–35 und Ex 34,11–26 aufgrund der Bezugstexte »strong cases« sieht, problematisiert er die sehr verbreitete Zuweisung von Gen 14–15 oder der nichtpriesterlichen Teile der Urgeschichte zu einem nachpriesterschriftlichen Autor aufgrund vor allem sprachlicher Kriterien und der exklusiven Zuschreibung von konzeptionellen Eigenheiten wie Reinheit, Opfer etc. zu priesterlichen Texten. Die implizite Voraussetzung sei oft »P always had it first« und diese sei nicht zu halten. Die Ausführungen von Carr sind hilfreich, weil sie die Grenzen des derzeitigen Trends in der Pentateuchforschung aufzeigen und eine stärker methodologische Reflexion darüber einfordern, was man eigentlich unter »priesterlich« verstehen will, wenn man über nach-priesterliche Fortschreibungen redet.
Die allesamt für sich gut lesbaren und weiterführenden Beiträge hier im Einzelnen vorzustellen, ist im begrenzten Umfang dieser Rezension nicht möglich. Ich beschränke mich daher auf einen Satz von Konrad Schmid, der zugleich unterstreicht, dass das Feld der Diskussion um die redaktionsgeschichtliche, literarische, rechtshermeneutische und theologische Rolle des nachpriesterlichen Pentateuch mit dem vorliegenden Band gerade erst eröffnet ist: »Die nachpriesterliche Redaktionsgeschichte des Pentateuch ist zwar in der Tat ein komplexes Feld und dessen Bearbeitung ist von zahlreichen Vorentscheidungen über die Bestimmung der Komposition des Pentateuch insgesamt abhängig. Gleichwohl dürfte die jüngste Forschungsgeschichte gezeigt haben, dass dieser Bereich weiter erforscht werden muss und kann« (17 f.).
Eine Anmerkung zur wissenschaftspolitischen und forschungsgeschichtlichen Einordnung in die gegenwärtige Pentateuchforschung erlaube ich mir an das Ende der Anzeige dieses wichtigen und weiterführenden Bandes zu stellen. Dass einer der prominentesten katholischen Vertreter am Päpstlichen Bibelinstitut bis auf wenige Ausnahmen nur von Forschern an protestantischen Fa-kultäten geehrt wird, kann man als gutes Zeichen dafür werten, dass konfessionelle Grenzen in den Bibelwissenschaften keine große Rolle spielen. Man kann es aber auch als Indiz dafür lesen, dass die diachrone Pentateuchforschung in der katholischen Academia derzeit nicht sehr hoch im Kurs steht. Da bildet Jean Louis Ska eine rühmliche und vorbildliche Ausnahme, weshalb man sich dem Abschlusswunsch an den mit dem Band Geehrten nur an­schließen kann: »It is our hope that his acumen will continue to expand our horizons in understanding the formation of the biblical texts as the scholarly community continues to investigate the key role that the post-exilic period had on the formation of the Pentateuch« (V).