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Ausgabe:

Dezember/2016

Spalte:

1341–1343

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Tigchelaar, Eibert [Ed.]

Titel/Untertitel:

Old Testament Pseudepigrapha and the Scriptures.

Verlag:

Leuven: Peeters 2014. XXVI, 526 S. = Bibliotheca Ephemeridum Theologicarum Lovaniensium, 270. Kart. EUR 95,00. ISBN 978-90-429-3128-2.

Rezensent:

Beate Ego

Die Erforschung der sogenannten Pseudephigraphen, sowohl der neutestamentlichen als auch der alttestamentlichen, hat in den letzten Jahren erheblichen Aufschwung genommen. Vor diesem Hintergrund widmete sich das renommierte Colloquium Biblicum Lovaniense bereits im Jahre 2011 den apokryphen Evangelien im Kontext der frühen christlichen Theologie; ein Jahr später standen dann die alttestamentlichen Apokryphen im Fokus dieser Veranstaltung. Dabei erfolgte bewusst eine Aufweitung des Corpus, der in der früheren Forschung auf Überlieferungen beschränkt war, die vor dem 1. Jh. n. Chr. entstanden sind, indem auch jüngere Texte in den Blick genommen wurden. Zudem werden auch Texte aus den Schriftfunden von Qumran behandelt, da diese zum Teil auch pseudepigraphen Charakter haben (z. B. das Testament des Qehat).
Die hier vorliegende Aufsatzsammlung stellt die Publikation wichtiger Beiträge dieses Kolloquiums dar, wobei der Schwerpunkt auf den Hauptvorträgen liegt. Die Sammlung wird – nach einer allgemeinen Einleitung (XV–XXVI) – durch eine inhaltliche Einführung des Bandherausgebers und Präsidenten des Kolloquiums Eibert Tigchelaar eröffnet (»Old Testament Pseudepigrapha and the Scriptures«, 1–18). Hier erfolgt eine umsichtige Auseinandersetzung mit der Begrifflichkeit »alttestamentliche Pseudephigraphie«, die verdeutlicht, dass es sich bei dem Begriff um eine heu-ristische Kategorie handelt, die auch pejorativen Beigeschmack haben kann und eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Texte zusammenfasst. Hilfreich ist der Forschungsüberblick zur Begriffsgeschichte sowie der Hinweis auf zentrale Fragen der Forschung, i. e. nach der Herkunft einzelner Texte (e. g. »Enochic Judaism«, christlicher Ursprung etc.), nach Überlieferungsprozessen oder nach dem Konzept von »authorship« in den Pseudepigraphen. Für das Kolloquium werden folgende Leitfragen gestellt: 1. In welcher Be­ziehung stehen die alttestamentlichen Apokryphen zu den kanonischen Schriften? Handelt es sich dabei um eine Interpretation der Schriften und wie ist diese näher zu bestimmen? 2. Wie bindet sich das Phänomen der alttestamentlichen Apokryphen in den Verschriftungs- und Kanonisierungsprozess ein?
Die einzelnen Beiträge des Bandes sind im Hinblick auf die Originalsprache der Texte bzw. auf ihre Datierung hin angeordnet.
Die ersten sechs Beiträge beschäftigen sich mit Texten der Schriftrollen vom Toten Meer sowie dem Jubiläenbuch: Florentino García Martínez, Les rapports avec l’Écriture des textes araméens trouvés à Qumran (19–40) [u. a. Henoch, Aramäischer Levi, Testament des Qehat; Pseudo-Daniel]; Hanna Tervanotko, A Tril-ogy of Testaments? The Status of the Testament of Qahat versus Texts Attributed to Levi and Amram (41–59); Matthew J. Goff, When Giants Dreamed about the Flood: The Book of Giants and Its Relationship to the Book of Watchers (61–88); Devorah Dimant, Hebrew Pseudepigrapha at Qumran (89–103) (am Beispiel von Pseudo-Ezekiel und dem Jeremia-Apokryphon); James L. Kugel, Mastéma (le diable) est dans les détails: Quelques aperçus sur le Livre des Jubilés (105–121); Atar Livneh, The Biblical Background of an Extra-Biblical Conflict Account: Notes on Jubilees 37,1–13 (123–136).
Weitere drei Artikel widmen sich Pseudepigraphen, die mit großer Wahrscheinlichkeit auf Hebräisch verfasst wurden, heute aber nur noch in Übersetzungen vorliegen: Georg Fischer, Baruch, Jeremiah’s »Secretary«? The Rela­tionships between the Book of Jeremiah and the Book of Baruch (137–155); Patrick Pouchelle, Les astres errants. L’utilisation des Écritures dans la finale du dernier Psaume de Salomon (Ps. Sal. 18,10–12) (157–172); Christopher T. Begg, Judges 17–18 as Retold in the Biblical Antiquities of Pseudo-Philo: What Might It Tell Us about His Approach to the »Bible« (173–182).
Andere Arbeiten untersuchen Texte, deren Originalsprache Griechisch ist: Stefan Koch, Zur literarischen Bedeutung der Sapientia Salomonis im Neuen Tes­tament (183–194); John J. Collins, Sibylline Discourse (195–210); Françoise Mirguet, Beyond Authority: The Construction of Scriptures in the Testament of Abraham (211–229); Jed Wyrick, The Vanishing Scriptural Scaffolding of the Book of the Words of Jannes and Jambres and Its Kindred Legends (231–260).
Weitere Aufsätze sind dem 4. Esra gewidmet: Hindy Najman, The Exemplary Protagist: The Case of 4 Ezra (261–287); Jason M. Zurawski, Ezra Begins: 4 Ezra as Prequel and the Making of a Superhero (289–304); James R. Davila, Seven Theses Concerning the Use of Scripture in 4 Ezra and the Latin Vision of Ezra (305–326).
Alle weiteren Artikel beschäftigen sich mit Werken und Manuskripten aus späterer Zeit: Liv I. Lied, Die Syrische Baruchapokalypse und die »Schriften« – Die Syrische Baruchapokalypse als »Schrift« (327–350); Johannes Magliano-Tromp, Genesis 3 and the Life of Adam and Eve (351–362); Christfried Böttrich, Die apokryphe »Geschichte Melchisedeks« (HistMelch) als Teil der jüdisch-christlichen Melchisedektradition (363–387); Jan Dochhorn, Die Narratio Zosimi (CAVT 166): Ein Vorbericht (389–448); Joseph Verheyden, A Jewish King in Egypt? A Note on the So-Called History of Joseph (449–461); Florentina Badalanova Geller, Recasting the Bible, Recapturing Eden: Parascriptural Cosmologies in Byzantine Commonwealth (463–489).
Eine Zusammenfassung und Würdigung der einzelnen hier versammelten Beiträge würde den hier zur Verfügung stehenden Rahmen sprengen, so dass hier nur einige Grundlinien aufgezeigt werden können. Aufgrund der leitenden Fragestellung liegt es nahe, dass zahlreiche dieser Arbeiten verschiedene Typen der Schriftauslegung, die sich in diesen Überlieferungen finden, darstellen, und es findet sich hier reichliches Material für eine Klassifizierung dieses Phänomens, das bereits in der früheren Forschung (so u. a. bei der Erforschung der Texte von Qumran oder beim Jubiläenbuch) schon häufiger behandelt wurde. Sehr interessant sind die verschiedenen Hinweise auf die Konzeption von »authorship«. So beschreibt John Collins die Funktion des Phänomens der Pseudepigraphie in den Sibyllinischen Orakeln. Dabei steht insbesondere die Figur der Sibylle als einer ursprünglich paganen Gestalt im Vordergrund, die als jüdische Figur neu konfiguriert wird und deren Funktion darin besteht, den autoritativen Charakter ihrer Botschaft zu unterstreichen (vgl. zu der Thematik der »author ship« auch die interessante Untersuchung von H. Najman zu Esra).
Bemerkenswert vor dem Hintergrund der Fragestellung nach jüdischen bzw. christlichen Kanonisierungsprozessen ist die Un­tersuchung von Liv I. Lied, die sich der Rezeption des 2. Baruch im syrischen Christentum widmet. Auf der Basis von syrischen Lektionaren aus der Zeit vom 13. bis 15. Jh. kann sie zeigen, dass dieses Werk zeitweise kanonische Gültigkeit im syrischen Christentum hatte, da es Teil der Schriftlesung am Ostersonntag war. Auf die Bedeutung traditionsgeschichtlicher Überblicke verweist schließlich der Beitrag von Christfried Böttrich, der unterschiedliche jüdische und christliche Versionen der »Geschichte Melchisedeks«, eines bislang nur selten behandelten Textes, zusam-menstellt und dabei exemplarisch zeigt, wie sich eine Tradition sowohl im jüdischen als auch christlichen Kontext weiterent-wickeln kann.
Der Band gibt insgesamt einen guten Einblick in die Vielgestaltigkeit des Phänomens der sogenannten Pseudepigraphie und lenkt den Blick auf so bedeutende Fragen wie die der Schriftauslegung, nach dem Verständnis von »authorship« oder der Bedeutung der Texte im Religions- und Kulturkontakt. Somit werden hier wichtige Grundlagen für die weitere Erforschung der sogenannten Pseudephigraphen und für die systematische Erschließung dieser reichen Literatur gelegt.