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Ausgabe:

Oktober/1999

Spalte:

1060 f

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Klie, Thomas [Hg]

Titel/Untertitel:

Der Religion Raum geben. Kirchenpädagogik und religiöses Lernen.

Verlag:

Münster: LIT1998. 170 S. 8 = Grundlegungen, 3. Kart. DM 34,80. ISBN 3-8258-3723-8.

Rezensent:

Martin Schreiner

Das anzuzeigende Buch ragt aus der derzeitigen Fülle kirchenpädagogischer Veröffentlichungen durch seine grundlegenden und mehrperspektivischen Beiträge heraus. Die darin aufgezeigten Wege zu einer Semantik heiliger Räume loten auf hohem Reflexionsniveau Chancen und Grenzen religions- und gemeindepädagogischen Umgangs mit Kirchengebäuden als Orten gelebter christlicher Religion aus. Die Artikel spiegeln allesamt nachdenkens- und nachahmungswerte Versuche wider, "die Stille, die Atmosphäre, die Spuren von Gottesdiensten und schöpferischen Beiträgen (R. Volp)" im Rahmen von "originalen Begegnungen" (H. Roth) in den Kirchenräumen zu erschließen. Sie widersprechen damit einer rein funktionalistischen Raumauffassung, wie sie etwa in Luthers Torgauer Predigt von 1544 auftaucht. Luther schrieb, für den Kirchenraum solle gelten, "das nichts anderes darin geschehe, denn das unser lieber Herr selbs mit uns rede durch sein heiliges Wort, und wir widerumb mit jm reden durch Gebet und Lobgesang" (WA 49,588).

Christian Grethlein stellt zu Beginn die Frage nach der Bedeutung von Kirchen für Kirche und christliche Religion und rückt Kirchenpädagogik zu Recht wieder ins Blickfeld der Praktischen Theologie. Nach zwei schon einmal andernorts abgedruckten Beiträgen von Manfred Josuttis (Vom Umgang mit heiligen Räumen) und Hans-Georg Soeffner (Kirchliche Gebäude als Orte der christlichen Religion in der pluralistischen Kultur) umreißt Andreas Mertin eindrucksvoll die Geschichte und Gegenwart räumlicher Verdichtungen von Religion. Kirchenpädagogik habe die Aufgabe, das Spiel der symbolischen Formen, das im Kirchenraum und im Gottesdienst stattfindet, wahrnehmbar zu machen, indem sie dieses zurückbindet an die religiöse, theologische und biblische Erzählwelt. Im Rahmen eines pädagogisch-religiösen Prozesses müsse eine Annäherung an den religiösen Raum erarbeitet werden, die "von der intuitiven zur reflektierten Raumwahrnehmung, von der Aisthesis zur Ästhetik" führt.

Bernhard Dressler erörtert Grundsätzliches zu religiösem Lernen in inszenierten Lernräumen und betont ebenfalls die Angewiesenheit des Religionsunterrichts auf gelebte und gestaltete Religion, auf Lebensformen und auf Räume, in denen Religion Resonanz gewinnt. Viel zu lange sei in der Religionspädagogik die phänomenologische Seite von Religion als bloße Oberfläche geringgeschätzt worden. Kirchenpädagogik ermögliche eine "öffentliche Reizung des Glaubens", so lautet die These von Thomas Klie. Er legt einleuchtend dar, wie Kirchenräume insbesondere in Glaubensgeschichten verstricken, spielerische Offerten unterbreiten und faszinierende Fremdheit in Szene setzen können. Praxisbeispiele dafür liefern Gerhard Marcel Martin (Inszenierung biblischer Texte in sakralen Räumen), Christiane Kürschner (Kirchenerkundung mit allen Sinnen) und Siegfried Macht (Auf den Spuren der Zisterzienser. Ein musischer Klostergang), während Klaus Raschzok zu den Wechselbeziehungen zwischen Raum und Gottesdienst Stellung nimmt und für eine geistliche Raumerschließung als eine Hermeneutik der Gestalt gewordenen Kirche plädiert. Seine langjährigen Erfahrungen als Kirchenpädagoge bündelt Christoph Ricker in der Aussage: "Kirchenpädagogik hat den Anspruch zu vermitteln: zwischen Sehen und Hören, Gottesdienst und Kirchenraum, katholischer und protestantischer Hochschätzung des Sakralraums, zwischen der Innen- und Außenseite des Glaubens, Fremdheit und Vertrauen, Gemeinde und säkularer Öffentlichkeit". Es ist zu wünschen, daß diese Vermittlungsprozesse gelingende Aneignungsprozesse auf Seiten der jüngeren und älteren Kirchgängerinnen und Kirchgänger auslösen.