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Ausgabe:

Oktober/1999

Spalte:

1056–1058

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Bauernfeind, Hans

Titel/Untertitel:

Inkulturation der Liturgie in unsere Gesellschaft. Eine Kriteriensuche - aufgezeigt an den Zeitzeichen Kirche heute, Esoterik/New Age und modernes Menschsein.

Verlag:

Würzburg: Seelsorge/Echter 1998. 383 S. gr.8 = Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge, 34. DM 48,-. ISBN 3-429-02058-1.

Rezensent:

Dietmar Thönnes

Die 1998 erschienene Dissertation von Hans Bauernfeind beschäftigt sich mit einem Thema, das in der nachvatikanischen Theologie eine wichtige Rolle spielt: die Umsetzung der systematisch-theologischen Inhalte des Glaubens in gefeierten Glauben, in Liturgie. Auf gut 380 Seiten bietet der Vf. eine Vielzahl von Aspekten und Zugängen zu einem Untersuchungsgegenstand, der umfassender kaum angegangen werden kann. Systematisch beginnt er zwar mit einer Klärung der Begrifflichkeit und einer Einführung in die Aufgaben, die dem Programm "Inkulturation" zufallen (1. Kapitel: Inkulturation der Liturgie [1. Inkulturation - Begriff und Praxis, 2. Inkulturation der Liturgie aus heutiger Sicht, 3. Die Aufgabe der Inkulturation der Liturgie in unsere Gesellschaft]) (15-62), inhaltlich aber macht schon der Titel der Studie die Untersuchung eines phänomenologisch umfassenden Feldes deutlich: Kirche heute, Esoterik/New Age und modernes Menschsein. Auch wenn der Begriff "Inkulturation" zunächst aus der Missionswissenschaft entlehnt zu sein scheint und allein auf "Missionsländer" zutrifft, wird bereits in den einleitenden Kapiteln sehr schnell deutlich, daß er durchaus auch auf eine postchristliche Erlebnisgesellschaft angewendet werden kann.

Den gesellschaftlichen Phänomenen und Gegenständen Kirche, Esoterik/New Age und modernes Menschsein ist das zweite, folgerichtig umfangreichste Kapitel der Studie gewidmet (63-280): An drei ausgewählten Paradigmen, nämlich den "Zeitzeichen" Kirche, New Age/Esoterik und modernes Menschsein, werden zunächst die gesellschaftlichen Bedingungen, in denen Liturgie gefeiert wird, herausgearbeitet, um durchaus fundiert kritisch der tatsächlichen Gottesdienst- und Kirchenpraxis in allen Spannungsverhältnissen einen neuen Rahmen entgegenzusetzen (2. Kapitel: Gesellschaftliche Bedingungen für die Liturgie - exemplifiziert an drei Paradigmata unserer Zeit [1. Teil: Zeitzeichen - Kirche heute, 1. Die Situation der Kirche heute, 2. Kirche in heutiger Zeit sein - Herausforderungen für die Liturgie; 2. Teil: Zeitzeichen - Esoterik und New Age, 1. Esoterik - ein Phänomen unserer Zeit, 2. Die New Age-Bewegung, 3. Zusammenschau von Esoterik und New Age und die Konsequenzen für die Liturgie, 3. Teil: Zeitzeichen- Menschsein heute: postmodern gesehen, 1. Modernes Menschsein, 2. Konsequenzen für die Liturgie - eine postmoderne Betrachtung]). Es verwundert nicht, daß die Betrachtung der Kirche in unserer Zeit deutlich breiteren Raum einnimmt als die Untersuchung der letzten beiden Zeitzeichen. Schließlich ist Liturgie zuerst in dieser Kirche beheimatet und wird zuallererst und massiv auch durch sie und die in ihr lebenden und glaubenden Menschen bestimmt. Die kirchenim-manenten kritischen Töne tragen zu einer Ausgewogenheit in der Argumentation bei, die auf der anderen Seite ihr Gegengewicht in der Darstellung verschiedener ekklesiologischer Ansätze findet.

Als eigentlich auswertendes Kapitel ist das dritte und letzte zu bezeichnen, weil hier der spannende Versuch unternommen wird, für die Inkulturation der Liturgie in die heutige Zeit eine Kriteriologie aufzustellen (3. Kapitel: Die Inkulturation der Liturgie in unsere Zeit: Kriteriologie anhand der aufgezeigten Zeitzeichen als Hilfe für eine künftige kirchliche Praxis, 1. Inkulturation der Liturgie in unsere heutige Wirklichkeit, 2. Inkulturation der Liturgie: Realitätssinn und mystagogische Liturgie). Die Kriterien, die unter 1.12 (Kriteriologische Elemente für eine inkulturativ transparente und selbstreflektierte Liturgie) aufgeführten 23 Punkte, lesen sich wie ein Wunschzettel für Gottesdienstfeiern heute. Dabei werden nicht nur liturgieimmanente Postulate formuliert, sondern auch inhaltlich relevante und über die reine Feier hinausreichende Merkmale benannt. Neben dem wichtigen Hinweis, daß die Liturgie den heutigen Menschen in seiner Unterschiedlichkeit, seinen verschiedenen Lebenskontexten wahr- und ernstzunehmen hat, weist B. auch darauf hin, daß Liturgie und Diakonie ("Ethisch anspruchsvoll leben") unbedingt zusammengehören.

Hieraus ergeben sich z. B. Desiderate für ein erneuertes Meßbuch, das endlich all diese Faktoren berücksichtigt und ins Wort nimmt, wie es bereits die Leitlinien zur Neuübersetzung formulieren. Der Öffentlichkeitscharakter, der gerade mit zunehmendem Verlust einer christlichen Gesellschaft von vielen als abnehmend beklagt wird, muß bewahrt und im Zweifel neu aufgebaut werden. Was in den 18 Thesen der Katholischen Arbeitsgruppe beim ZDF schon innerhalb des zweiten Teils angeklungen war, ist hier noch einmal deutlich in den Kriterien artikuliert: Liturgie ist die "lex orandi", in der Glaube sichtbar, erfahrbar und verkündigend öffentlich wird. Die Kompetenz von Laien als eine ureigene Kraft der Kirche für die Liturgie wird mehrfach ausgesprochen und hat ihren wohltuenden Grund einerseits im gemeinsamen Priestertum aller Getauften, andererseits in der Tradition der Kirche, in der Laien immer schon als Betende und häusliche Liturgie Feiernde einen wichtigen Stellenwert hatten. Auch das Gespräch mit dem gesellschaftlichen und kulturellen Umfeld wird als Hoffnung benannt. Zwar hat die Kirche und hat kirchliche Liturgie seit längerem schon eine führende Rolle im Kunstsektor verloren, dennoch ist sie für die Kultur ein ernstzunehmender Gesprächspartner. Umgekehrt ist auch die Liturgie - in Perspektive auf ein anzustrebendes Gesamtkunstwerk "Liturgie" - in reflektierter Auseinandersetzung mit der Gegenwartskunst zu beflügeln.

Wie ein Anhängsel schließt sich der oben genannte zweite Abschnitt (Inkulturation der Liturgie: Realitätssinn und my-stagogische Liturgie) an, obwohl das Thema ein bedeutsames und aktuelles ist, denn letztlich handelt dieser Abschnitt über eine "Liturgie für Fernstehende".

Der sich anschließende, gut eine Seite umfassende Ausblick scheint für eine solch komplexe Arbeit etwas zu kurz geraten. Er nennt allerdings die konkreten Ansatzpunkte, an denen Konsequenzen aus den Ergebnissen dieser Untersuchung zu ziehen sind. Hier sind alle Institutionen von Kirche gefragt, die sich mit Aus- und Weiterbildung beschäftigen oder die Ämter und Dienste in den verwaltenden und seelsorglichen Strukturen auf Gesamtkirchen- und Gemeindeebene wahrnehmen.

Ein sehr gut gegliedertes und umfangreiches Literatur- und Quellenverzeichnis (322-356) rundet die Studie ab und gewährt - auch im Hinblick auf weitere Untersuchungen auf diesem Gebiet - noch einmal Einblicke in das behandelte Material (Quellen und Dokumente, Lexika und Sammelbände, Aufsätze und Zeitschriften, Monographien). Als Anhang sind ein Gesprächsprotokoll mit dem Altbischof Dr. Antonius Hofmann über das Zweite Vatikanische Konzil (357-364), eine Gesprächsaufzeichnung mit dem Pfarrer Thomas Kammerer zum Thema Liturgie und Techno (365-372) und die Geschichte der New Age-Bewegung nach der "New Age Encyclopedia" (373-383) angefügt.

Insgesamt betrachtet, begibt sich die Studie nicht immer gefahrlos auf ein Grenzgebiet zwischen mehreren sich überschneidenden Fachgebieten. Einerseits ist sie eine liturgiewissenschaftliche Studie, die sich weniger am einzelnen Objekt orientiert als vielmehr den gesellschaftlichen und theologischen "Boden" betrachtet, auf dem Liturgiefeier möglich ist und Wirklichkeit wird. Auf der anderen Seite benutzt sie Soziologie, Christliche Gesellschaftslehre, Pastoraltheologie und nicht zuletzt auch demoskopische Erkenntnisse, um damit Maßstäbe und Grenzen für kirchliche Liturgie zu finden. Hierbei zeigt sich an einigen Stellen, daß die sprachlichen und inhaltlichen Ausdrucksmöglichkeiten nicht immer kompatibel sind. Trotzdem handelt es sich um eine beeindruckende und anregende Lektüre, die zum Weiterdenken und zu Umsetzungsversuchen einlädt.