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Ausgabe:

Oktober/1999

Spalte:

1054–1056

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Stock, Alex

Titel/Untertitel:

Poetische Dogmatik. Christologie. 3: Leib und Leben.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 1998. 462 S. m. Abb. gr.8. Geb. DM 98,-. ISBN 3-506-78833-7.

Rezensent:

Gustav A. Krieg

Unabhängig von etlichen Fragen, die der Rez. schon an die früheren Bände von Stocks "Poetischer Dogmatik" an den Autor gerichtet hat (zuletzt ThLZ 122, 1997, 190-191) und die auch weiterhin zu stellen sein werden (s. u.): Auch Bd. III dieses Opus ist eine fesselnde Lektüre, bereits sprachlich - und bisweilen mit einem poetologischen Humor formuliert, der schon wieder sprach-los macht (vgl. etwa Stocks Hymnus-Analyse 267f.). Erst recht beeindruckend ist weiterhin (vielleicht sogar zunehmend) die Fülle des frömmigkeitsgeschichtlichen, ikonologischen, literarischen Materials, vermittels dessen christliche Dogmatik als Gegenstand poetischer Wahrnehmung erstellt werden soll. Beneidenswert für protestantische Theologie (mit ihrem wohl unvermeidlichen Hang zu konfessionskirchlichem, wenn nicht landeskirchlichem Provinzialismus) ist auch die katholische (=universale) Weite von Stocks Ansatz: Sein poetisch-dogmatisches Interesse reicht von der Reflexion altkirchlicher Plastik über die deutsche und italienische Renaissance-Kunst, das katholische (F. von Spee) und protestantische (P. Gerhardt) Kirchenlied, die Musik Bachs bis zu so bedeutsamen Literaten wie G. M. Hopkins und zur theosophisch-sakramental orientierten Christologie von J. Beuys. Kohärent im Sinne der dogmatischen Tradition wie der Intention des Autors ist schließlich die Zueinanderordnung der Themenbereiche. Nach der Reflexion der "Namen" Jesu (Bd. I) und von Jesu "Signaturen" und "Gesicht" ("Schrift und Gesicht". Bd. II) folgt nunmehr die Reflexion von Jesu "Leib und Leben": von der Verkündigung über Passion, Geburt, Ostern und Himmelfahrt hin zu Fronleichnam, dem Herz-Jesu-Fest und Jesu Verklärung.

St. möchte seine Dogmatik, die er aus kontingent-biographischen, nicht kontroverstheologischen Gründen als "katholische" Dogmatik konzipiert hat, als "ökumenischen" Text verstehen, und er ist dabei "weniger auf den Feinschliff von Konsensformeln ... als auf den Austausch von Gaben" bedacht (11). Und in der Tat ist es bemerkenswert, wie sehr auch ein protestantischer Rez. zur Auseinandersetzung mit Frömmigkeitstraditionen angeregt wird, die nur auf den ersten Blick konfessionell-"katholisch" sind: Immerhin ist Luthers Lied "Gott sei gelobet und gebenedeiet" Weiterbildung eines spätmittelalterlichen Liedes zur Lauda Sion-Sequenz des Thomas von Aquin, steht also in historischer und inhaltlicher Nähe zum Fronleichnamsfest (324 ff.) - ganz abgesehen davon, daß auch protestantische Frömmigkeit gelegentlich dem Fronleichnamsfest Beachtung geschenkt hat (vgl. F. Mendelssohn Bartholdy mit seiner Vertonung des Lauda Sion, op. 73). Und so wenig der Protestantismus ein Herz-Jesu-Fest entwickelt hat, ist doch weder die Verehrung des "Hauptes voll Blut und Wunden" protestantischerseits ein Novum noch diejenige des "Herzens Jesu", wie P. Gerhardt mit seiner - gemein-lutherisch nicht ungewöhnlichen - Rezeption mittelalterlicher Jesus-Mystik zeigt (353 ff.). Auch hinsichtlich der frömmigkeitsgeschichtlichen Traditionen der Advents- und Weihnachtszeit enthält das Buch für Protestanten Aufschlußreiches (55 ff.), bis hin zur Gestalt der Weihnachtskrippe (74 ff.).

Unterdrücken kann der Rez. seine Fragen an die Hermeneutik des Autors jedoch weiterhin nicht. Wie verhält sich St.s "Poetische Dogmatik" zum postmodern-ästhetischen Goutieren religiöser Traditionen? Und wie verhält sich religiöse poiesis, jene "Kraft, die etwas ins Werk setzt, Werke hervorbringt mit den Mitteln von Sprache und bildender Kunst" (9) zu der Tatsache, daß eben dieser Hervorbringungsprozeß immer kraftloser wird, so daß der Blick auf religiöse Gestalten zunehmend ein Rück-blick wird, damit aber naheliegenderweise zum postmodernen Blick in ein "sakrales Museum" zu werden droht? Gewiß ist es auch Ansicht des Rez., daß eine Rückbindung der (poetischen) Dogmatik an die Liturgie, an eine Hermeneutik des Vollzugs, der Kontemplation des Ordo salutis notwendig ist, um der Vitalität der Tradition für die Gegenwart willen. Dabei scheint um so wichtiger, diese Interdependenz von lex credendi und lex orandi zu betonen, als sie auch protestantischerseits bedacht werden sollte.

Wie weit trägt jedoch diese Interdependenz angesichts der Tatsache, daß die Neuzeit in der Tat tradierte (z. B. kultische) "Objektivationen" des Christentums mehr und mehr weg-säkularisiert hat (so auch St. im Blick auf das Fronleichnamsfest und mit Rückbezug auf K. Rahner, 359 ff).? Läßt sich zudem, so wie St. es z. B. im Blick auf das Himmelfahrtsfest und sein mittelalterliches Brauchtum tut, ein solches Gestalten vornehmlich mit historisch zeitgleicher Theologie reflektieren - in letzterem Falle also derjenigen des Aquinaten (263 ff.), d. h., wiederum auf das Himmelfahrtsfest bezogen, mit der Hermeneutik einer Epoche, in der traditionelle Himmelfahrtstheologie noch mit "astronomischen Anschauungen antiker und frühmittelalterlicher Herkunft" kontaminierbar war (266)? Droht hier nicht eine Hermeneutik frömmigkeitsgeschichtlicher Traditionen selbst zur "bloßen Ikonologie" zu werden? Denn so wenig die ",Struktur des gelebten Raumes’ ... identisch [ist] mit der des astrophysikalisch erforschbaren Raumes" (266), ist die neuzeitliche Nicht-Kontaminierbarkeit beider Räume vielleicht eine größere hermeneutische Crux, als daß diese durch eine Schau des "Polymorphisme du Corps du Christ" (Stock, 16, mit J. Moingt) zu bewältigen wäre.

Nun muß indes eingeräumt werden, daß diese Hermeneutik des liturgischen Zugangs zur Dogmatik protestantischer Tradition trotz jener Interdependenz von lex orandi und lex credendi eher fremd ist. Das gilt um so mehr, als die Erosion frömmigkeitsgeschichtlicher Traditionen im Protestantismus weiter fortgeschritten ist als im Katholizismus, also auch der Blick auf diese Traditionen nicht mehr so unbefangen geschehen und die Hermeneutik des Vollzugs nicht mehr so unbefangen angewendet werden kann wie im Kontext katholischer "Volkskirchlichkeit". Es könnte allerdings sein, daß sich auch in St.s Dogmatik solche Probleme noch verschärfen werden - etwa dort, wo es (wie von Stock, 15, für Bd. IV angekündigt) um die christologischen "Figuren" gehen wird, um "Licht und Leben", "Lehrer und König", vor allem um das "Kreuz". Es scheint ja, daß in "postmodernen" Ästhetiken gerade die christlichen Zentralsymbole zur ästhetischen Nivellierung hin gefährdet sind, dazu verurteilt, Markt-Artikel zur Lebensverschönerung zu werden, bei verblassender religiöser Bedeutung.

So werden Rez. und Leser den Autor weiter auf dem Weg seiner Entdeckungen begleiten.