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Ausgabe:

Oktober/1999

Spalte:

10148–1050

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Lohner, Alexander

Titel/Untertitel:

Der Tod im Existentialismus. Eine Analyse der fundamentaltheologischen, philosophischen und ethischen Implikationen.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 1997. 308 S. 8. Kart. DM 68,-. ISBN 3-506-75245-6.

Rezensent:

Peter Heidrich

Es liegt eine Dissertation der kath.-theol. Fakultät München vor. Sie hat ein fundamentaltheologisches Anliegen, dem sie mit einem kundigen Gang durch die Philosophie dient. Viele Seiten lang empfindet der Leser gar nicht, in einem theologischen Buch zu lesen. Beim Schlußabschnitt und bei manchen Bemerkungen im Gang der Darstellung erfährt der Leser, was den Vf. eigentlich interessiert: auf dem Hintergrund der Existenzphilosophie neutestamentliche Aussagen über das Sterben eindrücklich zu machen. Keine Philosophie habe das Bewußtsein der Menschen so geprägt in unserem Jahrhundert wie die der Existenz, keine verfüge wie diese über den Anspruch auf Betroffenheit, in der die neutestamentlichen Texte auch erst zu sprechen begönnen.

Die Darstellung der Philosophen erweist den Vf. als zuverlässigen Kenner; die vorher abgeschlossene philosophische Promotion und eine Reihe von Veröffentlichungen belegen das auch. Mehr noch: Der Vf. wählte die Existenzphilosophie als Vorbereitung zu einer theologischen Eschatologie, weil sie nicht nur durch das Was, sondern gerade durch das Wie ihrer Gedankendarstellung sich auszeichnete - und das gelingt dem Vf. bei seinem Referat auch. Er stellt die Grundgedanken des jeweiligen Philosophen vor, dann dessen Aussagen über den Tod und ggf. zur Unsterblichkeit. Für den Leser bleibt das nicht einfach ein Referat, in dem er vielleicht seine eigene Vorstellung von der referierten Philosophie überprüft, sondern es stellen sich ihm Gedankengänge vor, die ihn unmittelbar ansprechen und von denen er sich unter Umständen nicht ganz leicht trennen kann. Nachdenkenswert, nachempfindenswert erscheinen ihm Grundgedanken Nietzsches oder Spenglers oder Schelers ... Den Leser hineinnehmen in die Betroffenheit des jeweiligen Autors und nicht nur bei der urteilenden Distanz zu bleiben, das ist dem Thema dieses Buches angemessen. Die Wahl des Begriffs für diese Philosophie, die im Titel steht, wird begründet.

Das Buch ist in drei große Teile gegliedert: A. Einführung. B. Der Tod in der Lebensphilosophie. C. Der Tod in der Existenzphilosophie. Es beginnt mit einer Abhandlung über Wesen, Anliegen und Geschichte der Existenzphilosophie. Die Betonung der psycho-physischen Einheit des Menschen wird herausgestellt, im Blick auf eine spätere Behandlung des anima-separata-Modells.

Nietzsche erhält ein langes Kapitel, für seine Grundgedanken und dann erst für die Gedanken zum Tod. Die Interpretationsschwierigkeiten bei der Idee der ewigen Wiederkunft werden nicht umgangen. Ludwig Klages ist das nächste Kapitel gewidmet, er und Spengler gelten als die naturalistischen Lebensphilosophen. Treffende Auswahl von Textzitaten und Interpretation geben ein Bild der Gedankenwelt von Klages, im nächsten Kapitel wird es Oswald Spengler sein - jedesmal soll die Anschauung über den Tod im Zusammenhang der Philosophie des besprochenen Mannes sichtbar werden.

Von den geistesgeschichtlich orientierten Lebensphilosophen haben Rudolf Eucken und Georg Simmel sich ausführlich mit dem Tod beschäftigt. Im Referat der beiden Kapitel wird der Zusammenhang zwischen den grundlegenden Einsichten und dem Todesthema deutlich, beides unterstützt durch Verwendung der Literatur zum Thema. Der Abschnitt über die Lebensphilosophie wird abgeschlossen mit einer Gesamtwertung: Die Reflexionen der Lebensphilosophen über den Tod sind nach unserem Vf. ungenügend.

Fast 100 Seiten sind gelesen, da beginnt der dritte Abschnitt, der im strengen Sinn das Thema des Buches aufgreift: Der Tod in der Existenzsphilosophie. Zuerst wird Max Scheler besprochen. Der Vf. weiß, wie wenig selbstverständlich die Zuordnung Schelers zu den Existenzphilosophen ist, er vermag indes zu argumentieren, oft mit Bezug auf Peter Wust. Die verschiedenen Phasen des Schelerschen Denkens werden vorgestellt, mit den Versuchen, den Zugang zu religiöser Wirklichkeit zu bestimmen (z. B. aus dem Dasein religiöser Akte das Dasein Gottes zu folgern). In der christlichen Schaffensperiode habe Scheler für ein individuelles Weiterleben nach dem Tode argumentiert, gegen Ende seines Lebens gibt es nach ihm keine persönliche individuelle Unsterblichkeit.

Es folgt das Kapitel zu Heidegger, über 40 Seiten lang, in der Mitte des Buches. Ausführlich werden die Grundgedanken dargestellt, aus den Quellen belegt, mit der Literatur erörtert. Der wichtige Begriff des "Vorlaufens" (in den Tod) wird gedeutet mit der literarischen Diskussion. Da der Tod von Heidegger in seiner Funktion im Leben selbst behandelt wird, gibt es unterschiedliche Antworten auf die Frage, ob Heidegger ein Weiterleben nach dem Tode für möglich gehalten hat. Der Vf. stellt aus der Diskussion drei verschiedene Positionen vor. Gottesfrage und Leib-Seele-Einheit bei Heidegger schließen das Kapitel ab.

Jean-Paul Sartre ist der nächste Philosoph, der dem Leser vorgestellt wird. Wer Sartre noch nicht gelesen haben sollte, erhält hier die Terminologie und die Fragestellungen dieses Franzosen vorgestellt. Er wird etwas erfahren über die vom Anderen angesehene Leiblichkeit. Die Idee eines Gottes stammt aus der Erfahrung des das eigene Ich verdinglichenden Blickes des Anderen. Die Gottesidee sucht das Für-sich-Sein und das An-sich-Sein zusammenzudenken; dabei hat das Kapitel die Bedeutung dieser Begriffe bei Sarte eingangs zuverlässig dargestellt. Bei der Deutung des Todes setzt sich Sartre mit religiösen und dichterischen Vorstellungen auseinander. Als absolute Nichtung der menschlichen Freiheit ist der Tod sinnlos und zeigt so auch die Sinnlosigkeit des Lebens.

Bei Albert Camus ist das Absurde das Schlüsselwort, die Diskrepanz zwischen Glückssuche und Erlebnissen, zwischen der Erfahrung einer widerspruchsvollen Welt und dem Verlangen nach rationaler Durchsichtigkeit. Erst durch uns Menschen kommt Absurdität zustande. Der Vf. sieht Camus’ Anschauung vom Tode zwischen Heidegger und Sartre. Der Tod ist nicht nur absurd, sondern befreit auch durch Einsicht. In einem Abschnitt über Camus und das Christentum benennt der Vf. zeitbedingte theologische Verengungen und Einseitigkeiten, die Camus von der Kirche fernhielten (z. B. das Schicksal ungetauft sterbender Kinder). Er sieht in Camus’ Philosophie den entschiedenen "Protest gegen jeden negligeanten Seinsoptimismus - von dem christliche Theologie in der Tat nicht immer frei war und ist."

Ob Gabriel Marcel - ihm gehört das nächste Kapitel - zur Existenzphilosophie zu rechnen ist, ist, wie der Vf. weiß, problematisch. Dieser "Neusokratiker" nimmt die Erfahrung der Intersubjektivität, die daraus erwachsene Hoffnung, zum Ausgangspunkt seines Denkens. Mit einer Art vorkonfessionellen Glaubens wisse der Mensch sich von einer personalen höchsten Macht getragen. Statt eines gegenständlichen Wissens vermittle die ontologische Reflexion eine prophetische Gewißheit. So sei der Beruf des Philosophen kein Beruf, sondern eine Berufung und eine Antwort auf diesem Ruf. Wichtig wird die Unterscheidung zwischen "Sein" und "Haben". Durch sie wird der menschliche Leib den Objektcharakter verlieren. Wer sich oder seine Mitmenschen unter dem Aspekt des Habens sieht, ist sich selbst und den anderen entfremdet. Weitere Themen wie Treu, oder Problem-Mysterium, und das Nachdenken über den Tod rechtfertigen, Marcel im Zusammenhang vorliegenden Buches zu besprechen. Unsterblichkeit ergibt sich für Marcel aus der Liebe ("einen Menschen lieben, heißt sagen: Du wirst nicht sterben!"). Der Vf. beendet das Kapitel mit einem Nachdenken über die Möglichkeit einer christlichen Existenzphilosophie. In der Nähe solcher Philosophie sieht er Guardini, Przywara, Feuerer, natürlich Blondel, und Maritain und Ferdinand Ebner. Der Vf. empfindet den Grad der Unabhängigkeit Marcels vom Neuthomismus bemerkenswert.

Karl Jaspers mit seinen Gedanken zu Tod und "Unsterblichkeit" wird im folgenden Kapitel besprochen. Das Referat der grundlegenden Aussagen ist untermauert mit Verweisen auf das Echo in der Literatur. Wieweit darf Jaspers’ Transzendenz gedeutet werden? Unsterblichkeitsglauben ist für Jaspers Produkt der Todesangst. Jaspers’ Verständnis von Religion ist durch Kierkegaard und Karl Barth beeinflußt, bei denen der irrationale Charakter des Glaubens betont ist. Der Einspruch katholischer Theologie hebe aber nicht Jaspers’ eminente Bedeutung auf.

Das letzte, das siebente Kapitel trägt die Überschrift: "Tod und Unsterblichkeitshoffnung in der Philosophie Peter Wusts." Eine Gesamtdarstellung der Philosophie Wusts liegt vom Vf. vor. Eine gewisse Zurückhaltung Wusts gegenüber eschatologischen Fragen, trotz festen Glaubens an ein Weiterleben nach dem Tode, bringt der Vf. mit Wusts Reserviertheit gegenüber dem in seiner Zeit gängigen anima-separata-Modell in Zusammenhang. Der Gottesglaube ist für Wust eher eine aus der Lebenserfahrung geborene Geisteshaltung, weniger die Frucht rationalen Wissens. Weisheit ist ein Wissen um das Unbedingte, ist Ruhe, Besonnenheit, Stille. Wust sieht die menschliche Natur als Einheit, bei allem Widerstreit zwischen "Es" und "Ich".

Zwei Exkurse füllen die letzten 30 Seiten des Buchs. Einmal geht es um den Tod in der Philosophioe Kierkegaards. Der Tod ist ein bewußtloser Schlaf, ist Nacht, leerer Raum, Vernichtetsein. Der Vf sieht so in Kierkegaard einen Wegbereiter der sogenannten "Ganztodtheorie". Einmal bedeute das den Verzicht auf philosophisch-spekulative Aussagen, der Glaube an ein Leben nach dem Tode wurzele allein im Glauben an die Auferstehung Christi. Zum anderen sei in der Zwischenzeit bis zur Auferstehung am Jüngsten Tag der Mensch mit Leib und Seele tot, sein Bewußtsein ausgelöscht. Bei dieser Theorie bleiben viele Fragen offen, der Vf. benennt einige (ist der durch die Auferstehung neugeschaffene Mensch nur ein "Clonus"?) Luther kennt auch die Vorstellung vom Todesschlaf, bei dem das Aufwecken zur Auferstehung sofort erlebt werde, dank der Bewußtlosigkeit des Schlafs oder der anders zu deutenden "Zeit". Der letzte Exkurs geht der "Auferstehung im Tode" bei Greshake nach. Das Jesuswort an den Schächer: "heute noch ..." steht am Anfang. Exegetische Untersuchung zur Frage der Auferstehung werden vorgestellt. Greshakes Untersuchungen zu der Geschichte der Seelenlehre werden referiert, zumal die Position des Thomas von Aquin. Für die Eschatologie heißt das: Auferstehung des Leibes meint keinen Leichnam, im Tode werde vielmehr der ganze Mensch mit seiner konkreten Welt und Geschichte von Gott neue, unvorstellbare Zukunft erhalten.

Aus dem knappen Epilog sei erwähnt, daß der Vf. auch in agnostizistisch-nihilistischen Formen der Existenzphilosophie Wertvolles für christliche Eschatologie findet: der Mensch wird der verbreiteten Todesverdrängung entrissen, und es geht immer um den Menschen in seiner Existenznot.

Auf den Lektürewert der einzelnen Kapitel wurde öfters verwiesen. Das Buch liegt in einer drucktechnisch guten Form vor. Der Name Grützmacher-Grützmann (100,300) bleibt unklar, Hamann (23). 108,6 soll statt und vielleicht als stehen, 289 richtig statt nichtig; 107, 153, 192, 236, 281 statt des qualitativen vollkommen das quantitative völlig.