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Ausgabe:

Oktober/1999

Spalte:

1038 f

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Mosheim, Johann Lorenz von

Titel/Untertitel:

Die Macht der Lehre Jesu über die Macht des Todes. Annotiert und mit einem Nachwort sowie einem Beitrag über Mosheims Predigten hrsg. von J. A. Steiger.

Verlag:

Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann 1998. 135 S. 8 = Doctrina et Pietas , Abt. II, 1. Lw. DM 78,-. ISBN 3-7728-1870-6.

Rezensent:

Traugott Koch

Es ist nicht neu, daß das Werk des Göttinger Theologen v. Mosheim (1693-1755) ein besonderes Interesse auf sich zieht. Vier seiner Werke liegen gegenwärtig als fotomechanische Nachdrucke vor. Doch zum ersten Mal wird hier von J. A. Steiger eine kritische, modernen Editionsprinzipien folgende Ausgabe eines nur autographisch vorliegenden Textes v.Mosheims veranstaltet. Das ist m. W. die erste kritische Edition einer theologischen Schrift aus der Zeit des 17. und frühen 18. Jahrhunderts überhaupt - und insofern eine vorbildliche und höchst anerkennenswerte Leistung.

Der herausgegebene Text umfaßt 47 Druckseiten; das informierende Nachwort (samt den Registern) 22 Seiten. v. Mosheims Abhandlung selbst zur Macht der Lehre Jesu über die Macht des Todes ist dem Stile nach ganz offenkundig eine Rede. Sie ist in 18. Paragraphen untergliedert und vom Hg. im Nachwort kommentiert. Sie beginnt mit einer vanitas-Meditation (cf. 66 f.), an deren Schluß die Bitte steht, es möge klar werden, was die Schrecken des Todes besiegt (15). Im weiteren wird in einem Neueinsatz betont - und das wird dann in der gesamten Rede ausgeführt -, daß Christus durch die Kraft seiner Lehre die Schrecken des Todes gänzlich überwunden hat: Er hat uns nämlich gezeigt, wie wir das Ende unserer Tage als Anfang des Lebens "ansehen können" (15). In dieser Intention versteht v. Mosheim die Rede von der "Macht des Todes" ausdrücklich als ,bildlich’ (19): "Die Macht des Todes ... ist die Furcht des Todes" (20). Hat Jesus dem Tod die Macht genommen, so heißt das, er hat die Furcht - n. b.: unsere, subjektive Furcht - vor dem Tode als grundlos erwiesen (ebd.). Dreifach ist die "Quelle" der Todesfurcht: Sie ist (1.) Furcht vor der gänzlichen Vernichtung, auch der Seele (21.33); sie ist (2.) Furcht vor dem gerechten Richter (33) und (3.) Furcht vor einem ewigen Verlust des Leibes und aller mit ihm erworbenen oder uns zuteil gewordener Güter (22.33). Des längeren wird mit un-übersehbarer Gelehrsamkeit (vom Hg. annotiert !) dargelegt, daß es der Antike und dem Judentum nicht gelang, Klarheit über die Überwindung der Todesfurcht zu gewinnen (24-28. 29-32), ja daß die Vernunft von sich aus unfähig ist, diese Furcht und den damit einhergehenden Zweifel zu beheben (34-38). Hingegen hat Jesus sowohl die Unsterblichkeit der Seele wie die Auferstehung des Leibes und die Erlangung ewiger Güter bewiesen: durch seine Lehre, durch seine Totenerweckungen und eigene Auferstehung sowie durch seine satisfaktorische Versöhnung Gottes (23. 29. 38. 42 f. 47 ff.). Doch Jesus hat uns nicht nur die Verleugnung der irdischen Güter gelehrt und die Erlangung der ewigen Güter in Aussicht gestellt; sondern er hat uns auch angewiesen, die irdischen Güter als Gottes Geschenk zu gebrauchen (52 f.). (Letzteres ist ja theologiegeschichtlich ein neues Thema und dürfte wohl auch gegen die weltflüchtigen Tendenzen im damaligen Pietismus gesagt sein [cf. dazu auch: 113].)

Das Nachwort des Hg.s hebt, sicherlich zurecht, hervor, daß v. Mosheim sich gerade in der Satisfaktionslehre dem lutherisch-orthodoxen Erbe treu erweist (69.74.76 f.) und daß er in Rezeption des angelsächsischen Latitudinarismus dessen Kampf gegen den Rationalismus der Deisten teilte (70).

Die Frage der theologiegeschichtlichen Einordnung bleibt offen. Unverkennbar kommt hier eine neuartige Form lutherischen Christentums auf: ein - in der Aufnahme des angelsächsischen Latitudinarismus - moderates Luthertum, dem seine Inhalte unbefragt als Offenbarungswahrheiten feststehen, das diese aber sich und anderen mittels verständlicher Argumentation plausibel zu machen sucht. So äußert sich die Theologie v. Mosheims in einer wohlformulierten Sprache und in einem gleichmäßig durchsichtigen Stil. Sie ist, unter Aufbietung respektabler Gelehrsamkeit und in eingehender Widerlegung der rationalistischen Gegner, im besten Sinne gebildet - und immer belehrend. Und so ist sie vorbildlich geworden für alle apologetische Theologie bis heute.

Beigegeben ist dieser Edition eine Abhandlung des Hg. s über v. Mosheims Predigten (81-119). Sie hebt zurecht hervor, daß v. Mosheims Beharren auf der lutherisch-orthodoxen Versöhnungslehre ein Korrektiv darstellt in seiner Rezeption des Latitudinarismus (81), daß sich seine Predigten aber durch die "stärkere Nüchternheit" ihrer Sprache und durch historisierende und vor allem moralisierende Züge von der orthodox-lutherischen Rhetorik unterscheiden (98 f.103). Doch überdies möchte der Vf. noch eine Aufnahme spätmittelalterlicher imitatio-Frömmigkeit bei v. Mosheim erkennen (107-111), was m. E. nicht überzeugt. Die angeführten Sätze finden sich der Sache nach auch im vorausgehenden Luthertum - nur hier weniger verständig und weniger moralisch formuliert als bei v. Mosheim.