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Ausgabe:

Oktober/1999

Spalte:

1034–1036

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Knodt, Gerhardt

Titel/Untertitel:

Leitbilder des Glaubens. Die Geschichte des Heiligengedenkens in der evangelischen Kirche.

Verlag:

Stuttgart: Calwer 1998. XIII, 349 S. gr.8 = Calwer Theologische Monographien, 27. Kart. DM 98,-. ISBN 3-7668-3585-8.

Rezensent:

Heinrich Holze

Bei der vorzustellenden Arbeit handelt es sich um eine von Manfred Seitz betreute und von der Theologischen Fakultät der Universität Erlangen 1996 angenommene praktisch-theologische Dissertation. Die Fragestellung, unter der der Vf. die Thematik erschließt, kommt von der kirchlichen Praxis her und führt zu ihr hin. Erfahrungen in der Communität Casteller Ring bilden den biographischen Ausgangspunkt (vgl. das Vorwort und 295 A. 158). Ziel der Arbeit ist es, zu einer Neubesinnung des Heiligengedenkens im Kontext evangelisch-lutherischer Kirchlichkeit beizutragen. Dessen Berechtigung soll biblisch-exegetisch sowie systematisch-theologisch begründet und auf seine liturgischen und homiletischen Konsequenzen hin bedacht werden.

Bei der Darstellung hat sich der Vf. anders, als die problem-orientierte, auf die gegenwärtige kirchliche Praxis zielende Frageintention vermuten läßt, für eine konventionelle Methodik entschieden, die das ganze thematische Feld in chronologischem Voranschreiten abzudecken beansprucht. Teil 1 geht auf "die Heiligen in der Bibel" ein, im Alten Testament, in zwischentestamentlicher Zeit und im Neuen Testament (3-86). Teil 2, "die Entwicklung der Heiligenverehrung von der Alten Kirche bis zur Reformation", skizziert auf 38 Seiten 1500 Jahre Kirchengeschichte (87-124). Teil 3, mit 146 Seiten der ausführlichste Abschnitt, behandelt das "reformatorische Heiligenverständnis in der evangelisch-lutherischen Kirche" (125-270). Den Schluß bilden theologische und praktische "Impulse zum gegenwärtigen Heiligengedenken" (271-303).

Mit diesem Schlußteil sollte, wer aus Interesse an der Thematik zu dem Buch greift, denn auch einsetzen, da sich das Anliegen des Autors, nämlich die Begründung einer lutherischen Hagiologie, hier am deutlichsten erschließt. Daß er sich damit auf schwieriges theologisches Terrain begibt, wird vom Vf. zugestanden. Darum knüpft er nicht nur an Autoren wie Walter Nigg, Gunter Wenz und Max Lackmann an, die der evangelischen Heiligenverehrung bereits Untersuchungen gewidmet haben, sondern verweist auch auf das in den letzten Jahren deutlich gestiegene Interesse an den Heiligen, das sich in religiöser Literatur und kirchlichen Tagungsthemen kundtut. Der Vf. plädiert für eine christozentrische Heiligenverehrung, die keinen Zugang zu den Heiligen an Christus vorbei sucht, sondern sich als "Erfahrung der Gemeinschaft mit den verstorbenen Heiligen im Abendmahl" konkretisiert (279). In diesem Zusammenhang spricht er sich für "so etwas wie eine evangelische ,Kanonisation’" aus, in der sich die Kirche Rechenschaft darüber gebe, nach welchen Kriterien sie Menschen für Heilige halte, welche Charismen erinnerungswürdig seien und was die biblisch bezeugte Wolke der Zeugen für sie bedeute (281/282). Nachdrücklich plädiert der Vf. für die Aktualität von CA 21 in dem Sinne, "daß die Heiligen gerade so Vorbild sind, daß sie uns die Rechtfertigung des Sünders vorbilden, und wir zuerst ihren Glauben nachahmen sollen" (285). Außerdem spricht er sich dafür aus, das Heiligengedenken in das Kirchenjahr zu integrieren sowie in katechetischer und homiletischer Hinsicht zur Geltung zu bringen.

Ausgehend von dieser These erschließen sich die anderen Abschnitte des Buches, in denen sich der Vf. auf alttestamentliches, neutestamentliches und kirchengeschichtliches Terrain begibt, um Argumente für die Richtigkeit seiner These zu sammeln. Daß er dabei weitgehend "auf die bisherige Forschung zurück(greifen)" (3, Anm.1) und sich damit begnügen muß, "die Forschung unter theologischer Akzentsetzung zusammen(zufassen)" (87, Anm.1), versteht sich angesichts der Weite des Themenfeldes von selbst. Die Frage drängt sich freilich auf, ob diese Weite überhaupt notwendig war, um die im Schlußkapitel entfaltete These zu begründen. Daß in den exegetischen Abschnitten für die Fragestellung wenig gewonnen wird, erstaunt nicht, da die Heiligenverehrung erst im 3./4. Jh. einsetzt. Daß der mittelalterliche Heiligenkult für eine evangelische Hagiologie kaum Anknüpfungspunkte bietet, war ebenfalls vorher bekannt. Hingegen hätten die Anfänge der Heiligenverehrung in der frühen Christenheit mehr Aufmerksamkeit verdient, als nur auf wenigen Seiten abgehandelt und ausschließlich unter der Facette der Märtyrerverehrung in den Blick genommen zu werden. Es wäre lohnend gewesen, Athanasius, Gregor von Nazianz, Prudentius, Hieronymus, Paulinus und Augustinus daraufhin zu befragen, welches Verständnis des Heiligengedächtnisses bei ihnen sichtbar wird. Der dritte und wichtigste geschichtliche Teil der vorliegenden Arbeit behandelt das "reformatorische Heiligenverständnis in der evang.-luth. Kirche". Zunächst wird anknüpfend an die Arbeiten von Pinomaa, Manns u. a. das neue Verständnis der Heiligen bei Luther dargestellt: das Verborgensein der Heiligen vor der Welt, deren Heiligkeit nur dem Glauben und der Liebe offenbar ist; die Heiligung im Beruf und im Kreuz; die Ablehnung der Heiligenanrufung, aber die Wertschätzung der Heiligen als Beispiele, die über sich hinaus auf Gottes Werk weisen. Sodann wird CA 21 "als erste ,dogmatische’ Lehrentscheidung zur Heiligenverehrung" gewürdigt, insofern Melanchthon zwischen Gedenken und Anrufen der Heiligen unterschieden und damit den Blick dafür geöffnet habe, in den Heiligen "die exemplarisch beschenkten Bedürftigen und die gerechtfertigten, weil glaubenden Sünder" zu sehen, die "Mut zum eigenen Glauben" machten (146/147).

Ausgesprochen informativ sind die Abschnitte über die Begründung und die Praxis der Heiligenverehrung in den reformatorischen Kirchenordnungen des 16. Jh.s, weil sie in Erinnerung rufen, daß die Reformation trotz aller liturgischen Reduktion eine Reihe von Heiligen-, Marien und Engeltagen übernommen und auch weiterhin gefeiert hat. Nützlich ist weiterhin der Exkurs über den Osnabrücker Reformator Hermann Bonnus, der mittelalterliche Hymnen und Sequenzen theologisch überarbeitet und dadurch den evangelischen Gemeinden erhalten hat (206-210). Bei der weiteren Darstellung, die bis in die Gegenwart führt, fällt auf, daß der Vf. die Aufklärung nur im Sinne der Graffschen "Geschichte der Auflösung der alten gottesdienstlichen Formen" als eine Zeit der "Abwürdigung der Heiligenfeste" (227) zu sehen vermag, während für ihn die Liturgiegeschichte des 19. Jh.s unter Wilhelm Löhe, Theodor Kliefoth und Theodosius Harnack in ihrem "Ringen um die Erhaltung der Heiligentage" (256) Höhen erreicht, die selbst den Reformatoren unerreichbar waren. Es verwundert bei diesen Sympathien nicht, daß der Vf. seinen geschichtlichen Rundgang mit einem Ausblick auf "die Rückkehr der Heiligen in den Eucharistiegebeten der Erneuerten Agende" (268) abschließt, dabei aber verschweigt, daß eben dieser Aspekt der Agendenreform außerordentlich umstritten ist und kontroverse Diskussionen ausgelöst hat.

Der Wert des vorliegenden Buches wird durch die Anfragen nicht geschmälert. Es ist ein nützlicher Beitrag zur Diskussion um das Heiligengedenken in den Kirchen der Reformation. Wer zu ihm greift, wird eine Fülle von Beobachtungen zum Thema und Hinweise auf zahlreiche Quellen der Liturgiegeschichte finden (vgl. die Verzeichnisse auf 304-348).