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Ausgabe:

Oktober/1999

Spalte:

1031 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

MacCulloch, Diarmaid

Titel/Untertitel:

Die zweite Phase der englischen Reformation (1547-1603) und die Geburt der anglikanischen Via Media. Hrsg. von H. Smolinsky. Übers. von St. Hanke.

Verlag:

Münster: Aschendorff 1998. 185 S. gr.8 = Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung, 58. Kart. DM 39,80. ISBN 3-402-02979-0.

Rezensent:

Immo Meenken

Mit diesem Buch (engl. Orig. u. d. T.: The later reformation in England 1547-1603. Basingstoke: Macmillan 1990) liegt nun auch dem deutschen Publikum eine voraussetzungslos lesbare und daher hochwillkommene Überblicksdarstellung zur englischen Religions- und Kirchengeschichte der 2. Hälfte des 16. Jh.s vor. Das Grundanliegen der Reformation beschreibt der Autor einleitend als den Versuch, die beiden Säulen der vorreformatorischen Kirche niederzureißen, zum einen die Messe und den sie zelebrierenden Klerus als "religiöse Form", zum anderen die Einheit der Kirche im Papsttum. In England war nun in der frühen, der Henrizianischen Reformation nur die eine Säule, die päpstliche Oberhoheit, gefallen, die "alte religiöse Welt" aber kaum angetastet worden. Daraus resultierte die ganze Spannung der zweiten Phase, die MacCulloch als die formative Phase der englischen Reformation auffaßt, als den "Bau einer protestantischen Kirche ..., deren katholische Vergangenheit sie immer wieder einholte".

Im Hauptteil der Darstellung geht MacCulloch das Thema dann auf dreifache Weise an. Zunächst verfolgt er die Reformation als Ereignis und bietet eine politische Geschichte der englischen Reformation mit informativen Abschnitten zu den sie begleitenden Auseinandersetzungen und Kontroversen (Cranmer vs. Hooper, "Vestiarian Controversy", "Admonition Controversy", "Marprelate Tracts", Episkopat iure divino, etc.). Sodann betrachtet er die Reformation in ihrem theologischen Gehalt und unterstreicht die calvinistische Grundorientierung der reformatorischen Kräfte bis zur "theologischen Revolution" der 90er Jahre durch die Theologie Hookers auf der einen und protoarminianische Bestrebungen auf der anderen Seite. Immer wieder belichtet MacCulloch dabei leicht nachvollziehbar elementare Konsens- und Konfliktfelder wie den Prädestinationsglauben, das Erwählungsbewußtsein, das Predigtverständnis, die Struktur und Organisation der Kirche, den Status und die Rolle der Geistlichkeit oder den Komplex der Föderaltheologie. Im dritten und letzten Schritt der Darstellung geht es um die Reformation im Ergebnis. MacCullochs Diagnosen zum Bedeutungsschwund des Katholizismus und zur Marginalität des radikalen Protestantismus in England flankieren seine Präsentation einer sich allmählich etablierenden anglikanischen via media.

Der Autor weist im Vorwort selbst darauf hin, daß er ordinierter Geistlicher der Kirche von England ist. Seine Wertungen bleiben zwar im einzelnen durchaus behutsam und führen gegenläufige Evidenzen immer mit sich; auch decken sie sich in aller Regel mit den Wertungen des Rezensenten. Aber sie fügen sich zuletzt doch zu einer Erfolgsgeschichte des Anglikanismus im elisabethanischen Zeitalter zusammen, die von den bekannten Kritikern der englischen Reformation wohl nicht ohne weiteres hingenommen werden kann. Es entsteht das Bild einer zur Jahrhundertwende nach innen und außen gefestigten Kirche, die ihre dogmatischen Gegner aus beiden Lagern, den Katholizismus ebenso wie die verschiedenen Spielarten eines entschiedeneren Protestantismus, in die Schranken gewiesen und dabei insbesondere den Puritanismus auf einen (unpolitischen) Frömmigkeitsstil reduziert hatte; einer Kirche, die ihrerseits aufgrund von dogmatischer Unschärfe und kirchenpolitischem Pragmatismus Identifikationsangebote so breit wie möglich gehalten und die - bei aller gebotenen inhaltlichen und regionalen Differenzierung - eine beachtliche Durchschlagskraft auf die Massen erreicht hatte. Im Schlußwort gewinnt man gar den Eindruck, daß mit einer neuen (anglikanischen) Religiosität ein gewisser Wall gegen Volksfrömmigkeit im negativen Sinne, also gegen Magie- und Geisterglauben, aufgerichtet worden sei. Alle diese Errungenschaften wurden, so MacCulloch, erst unter den frühen Stuarts wiederum verspielt, als der Konformismus der Ära Whitgift einer wirklichen konservativen Reaktion weichen mußte.

Insofern reizt MacCullochs ,Konstruktion einer Konstruktion’ zum Widerspruch, aber sie hält ihm auch stand. Sie zeigt sich immer wieder sozialgeschichtlich informiert, etwa in ihrer Berücksichtigung des Zusammenhangs von religiösem Wandel und Alphabetisierungsraten; sie argumentiert eng an den Ergebnissen jüngerer regional- und lokalgeschichtlicher Forschung mit ihren charakteristischen seriellen Quellen wie Kirchenregistern und Testamenten; sie nimmt an tragenden Teilen der Konstruktion die Auseinandersetzung mit bekannten oder vorhersehbaren Bedenken anderer ,Konstrukteure’ wie Christopher Haigh bewußt auf.

MacCullochs unkomplizierte, in ihrem z. T. schmunzelnden Schreibhabitus typisch angelsächsische Wissenschaftsprosa läßt auch die Übersetzung durch Stefan Hanke über weite Strecken gelingen. Nur einen - vielleicht unbescheidenen - Wunsch läßt die Darstellung offen: Sie gewinnt an keiner Stelle die Qualität einer Quellenkunde. Die ebenso sparsamen wie treffsicheren Fußnoten führen aber zuverlässig zu der jeweils maßgeblichen Forschungsliteratur. Die für die Übersetzung aktualisierte Auswahlbibliographie und ein Glossar zu einigen zentralen Begriffen wie "Chantry" oder "Common Law" unterstreichen noch einmal den einführenden Charakter des Buches. - Von dieser facettenreichen, im doppelten Wortsinne wegweisenden ,Synthese mit These’ werden Anfänger und Fortgeschrittene gleichermaßen profitieren.