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Ausgabe:

Oktober/2016

Spalte:

1159–1161

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Schönfeld, Heidi, u. Rainer Lachmann

Titel/Untertitel:

Allerlei für einfältige Schulmeister/Pfaffen. Zwei Quellenschriften aus dem Jahr 1825.

Verlag:

Jena: IKS Garamond 2008. 197 S. = Arbeiten zur Historischen Religionspädagogik, 6. Geb. EUR 24,80. ISBN 978-3-938203-60-6.

Rezensent:

Antje Roggenkamp

Das kleine, von den Bamberger Religionspädagogen Heidi Schönfeld und Rainer Lachmann herausgegebene Bändchen setzt seinen Fokus auf eine Epoche, die die historische Religionspädagogik selten untersucht. Der Zwischenraum am Übergang so verschiedener Strömungen wie der Aufklärung, dem Pietismus und der Orthodoxie kennzeichnet die aufeinander Bezug nehmenden Streitschriften, in denen um die Ausbildung von Volksschullehrern (»Schulmeistern«) gerungen wird. Es handelt sich zum einen um die Schrift »Allerlei für einfältige Schulmeister und Alle, die Gemeinwesen und Einfalt lieb haben« (Nürnberg 1825) des späteren Ansbacher Dekans Christoph Wilhelm Götz (1792–1877), zum anderen um die Erwiderung »Allerlei für einfältige Pfaffen. Veranlaßt durch des Herrn C. W. G. ›Allerlei für einfältige Schulmeister‹. An das Licht gestellt von Gotthelf Wahrlieb« (Nürnberg 1825) [alias Johann Le­on­hard Winkler (1791–1853)].
Rainer Lachmann informiert über Leben und Wirken des erstgenannten Götz, der als aufstrebender Pfarrerssohn 1821 eine Adelige, Louise von Seebeck, heiratet (13–39). Mit der vorgelegten Schrift scheint sich der Vf. für die Stelle eines II. Inspektors am neu gegründeten und ersten protestantischen Schullehrerseminar in Bayern qualifiziert zu haben: In Altdorf sollte im Sinne König Ludwigs I. eine Erziehung der sogenannten »Schullehrlinge« zu guten Christen und braven Hausvätern stattfinden. Der Autor Götz, der seine Kenntnis über den bayrischen Schulmeister aus der Visitation von Lehrern aus seinem Pfarramt in Wallesau (1821–1824) heraus bezieht, passt sich mit seinen orthodoxen Ansichten zunächst gut in dieses Konzept ein (18 f.): Zwei Inspektoren teilen sich fortan in Altdorf den gesamten Unterricht, zwei Musiklehrer bilden die angehenden »Schulmeister« zum Kantorendienst aus. Zwar scheinen die Altdorfer Inspektoren mit ihrer 80 Punkte umfassenden Haus- und Strafordnung nicht von allen Lehramtskandidaten innig geliebt worden zu sein. Die Veröffentlichungen zur Naturkunde lassen aber durchaus aufklärerisches Gedankengut erkennen. Mit seinem Amtsantritt als Stadtpfarrer in Ansbach nimmt Götzens Veröffentlichungstätigkeit ab, bevor sie 1843 ganz erlischt. Zwischenzeitlich in die Nachwirkungen des »Kniebeugungsstreits von 1838« im Landtag verwickelt, wird er 1856 unter nicht ganz aufzuklärenden Umständen zum Prodekan in Oberferrieden degradiert. Bis 1876 versieht er sein Pfarramt selbständig. Er stirbt ein Jahr später 84-jährig.
Heidi Schönfeld hingegen rekonstruiert die Biographie von Johann Leonhard Winkler, der 1807 16-jährig in das (neu eröffnete) Bamberger Schullehrerseminar eintritt (40–73). Es handelt sich zunächst um eine (katholische) »Simultananstalt«, in der Protes­tanten und auch drei jüdische Kandidaten auf das Lehramt vorbereitet werden. Im Seminar hat die Musik einen hohen Stellenwert, insofern die Lehrer nicht nur die Orgel schlagen, sondern auch den Schüler- und Landwehrchor dirigieren und bei Hochzeiten und Beerdigungen musikalisch in Erscheinung treten. Den Kern des Unterrichts bildet aber die Religion, mit der jeder der sechs wö­chentlichen Schultage beginnt. Winkler zählt zu den ersten seminaristisch ausgebildeten Lehrern in Bayern. Seine erste Lehrer-stelle tritt er 1813 in Gutenstetten an, nach wiederholten (Gehalts-) Auseinandersetzungen mit dem Gemeinderat folgen weitere An­stellungen in Alfershausen (1825–1827), Hersbruck (1827–35) und Heidenheim (1835–1853). Winkler greift wiederholt zur Feder und legt seine pädagogischen Prinzipien – so tritt er u. a. gegen einen mechanischen und für einen bildenden Unterricht ein – öffentlichkeitswirksam dar.
Der erste Text von Götz bietet in zehn Paragraphen eine fast apologetische Mischung aus persönlichen Eindrücken, verhaltenem Stolz, aber auch der Schilderung idealer Wertvorstellungen (77–115). Dabei assoziiert er zwar eine Reihe von Themen: Ziele des Schulmeisters, Lehren von Religion ohne Religion zu haben, Er­neuerung, Verhältnis von Rationalismus und Supernaturalismus, Be­deutung von Religion für die Volksschule, Unterschied zwischen Land- und Stadt-Volksschullehrern, Schonung, Lehrton, das Äußere des Schulmeisters und eine Entschuldigung des Tadelswerten bei Schullehrern – so empfiehlt er u. a. das Tragen eines schwarzen Schulmantels. Insgesamt wirkt die Durchführung, als werde hier eine Art Knigge für angehende Lehrer aufgestellt.
Der zweite Text von Winkler führt den ersten auf hohem Niveau ad absurdum (117–194), indem er etwa Argumentationsschwächen zeigt (»Warum soll in unsern Schulen keine andere, als die christliche Religion gelehrt werden? Weil wir Christen sind schon von der Taufe her. Das nenn’ ich einen Grund! Das heißt dem Widersacher die Waffen in die Hand geben! Juden und Türken sind Juden und Türken von der Beschneidung her; darum dürfen sie nur jüdische und muhamedanische Religionssätze lehren!« (149 f.) oder nach Möglichkeiten sucht, den »geistigen Tod der Religion«, der durch den Mechanismus der »Repetirwerke« drohe, zu verhindern (151). Und auch mit Blick auf Luther zeigen die Beobachtungen des Volksschullehrers ein reflexives Problembewusstsein:
»Von einem protestantischen Geistlichen hätte man am allerwenigsten glauben sollen, daß er zwischen Religionslehre und konfessioneller Glaubenslehre nicht zu unterscheiden wissen werde und das Wesen der Religion blos in den Ausdrücken und Formeln findet, die Luther aufgestellt hat.« (153)
Die Einblicke in die Praxis der Seminarlehrerbildung, vor allem aber in die Theoriefähigkeit dieses einen bayrischen Volksschullehrers sind erstaunlich, zeugen sie doch davon, dass sich im 19. Jh. die eigene Fortbildung auch ganz autodidaktisch vollziehen ließ. Die Rezensentin hätte sich allerdings eine wechselseitige Auseinandersetzung der Herausgeber mit jenen Spannungen gewünscht, die so nur eben in den jeweiligen Einführungen angedeutet sind: das Verhältnis von Aufklärung und Orthodoxie, von Lehrer und Pfarrer, von Bildungsideal und Schulmeisternorm.
Es bleibt aber das Verdienst der beiden Religionspädagogen, dass sie die Winkler’sche Schrift nicht nur aus der archivalischen Dunkelheit herausgezogen, sondern auch kommentiert und so wei­teren Forschungen zugänglich gemacht haben.