Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Oktober/2016

Spalte:

1144–1145

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Tetens, Holm

Titel/Untertitel:

Gott denken. Ein Versuch über rationale Theologie. [Was bedeutet das alles?].

Verlag:

Stuttgart: Verlag Philipp Reclam jun. 2015. 96 S. = Reclams Universal-Bibliothek, 19295. Kart. EUR 5,00. ISBN 978-3-15-019295-5.

Rezensent:

Andreas Arndt

Ist es vernünftig, auf Gott zu hoffen? Mit dieser Eingangsfrage leitet der an der Freien Universität Berlin lehrende Philosoph Holm Tetens seinen Essay ein. Der Untertitel gibt eine erste Antwort: Rational kann eine Theologie nur dann sein, wenn die Frage nach Gott nicht unvernünftig erscheint. Der Einwand, rationale Theologie sei eine Disziplin der traditionellen Metaphysik, ficht T. dabei nicht an, denn er beginnt und schließt seine Ausführungen mit einer Verteidigung der Metaphysik, auch wenn dies, wie ihm wohl bewusst ist, unzeitgemäß erscheinen mag.
Sein Hauptgegner dabei ist ein materialistischer Naturalismus, dem er einen idealistischen Theismus entgegenstellt. Seine Argumente zugunsten des Letzteren möchte er »dialektisch« anlegen: »Schwierigkeiten des Naturalismus sind in Stärken des Theismus umzumünzen« (7). Zu den grundlegenden Schwierigkeiten des Naturalismus gehöre, dass er eine uneingestandene Metaphysik sei, welche die Wissenschaft zur Metaphysik erhebe (15), d. h.: Er mache »Rahmenannahmen« (20), die Erfahrung allererst organisieren und daher durch Erfahrung nicht zu widerlegen seien. Die Schwäche des Naturalismus bestehe näher darin, in seine Beschreibungen der ›Welt‹ selbstreflexive Ich-Subjekte nicht integrieren und den Übergang von physikalischen zu mentalen Prozessen nicht erklären zu können.
Dem stellt T. im zweiten Teil seines Essays (»Panentheismus«) eine Kosmologie entgegen, die mit Gott als einer widerspruchsfrei zu denkenden Möglichkeit rechnet. In diesem Kosmos denkt und handelt Gott selbst widerspruchsfrei, so dass alles, was der Fall ist, entweder als von Gott so gewollt oder als von ihm zugelassen angesehen werden kann (vgl. 41). Diese Unterscheidung im Denken eines möglichen Schöpfungshandelns Gottes impliziert, dass die Schöpfung unvollendet und unter Einbeziehung des (von Gott zugelassenen) freien Handelns der Menschen sich weiterentwi-ckelt: »Gott tritt in eine wirkliche Geschichte mit den Menschen ein« (50). Die logische Möglichkeit einer solchen Welt gewinnt für T. Plausibilität da­durch, dass sie im Unterschied zum Naturalismus das Vorhandensein erlebnisfähiger, selbstreflexiver Ich-Subjekte zu erklären vermag.
Die eigentliche Plausibilisierung der bloßen Denkmöglichkeit Gottes erfolgt jedoch existentiell. Im dritten Teil des Essays (»Erlösung und Theodizee«) wird die bereits in der Eingangsfrage artikulierte Dimension der Hoffnung aufgegriffen, die darauf zielt, dass die erlösungsbedürftige ›Welt‹ (hier wird auf Walter Benjamin verwiesen; vgl. 58) so erlöst werden könne, dass die moralische Weltordnung nicht mehr »auf dem Kopf« (ebd.) steht. Im Unterschied zur Kantischen Ethikotheologie geht es T. also um viel mehr: nicht um moralische Handlungsimpulse, sondern um das Reich Gottes. Damit handelt er sich freilich – eingestandenermaßen (vgl. 60) – das Problem der Theodizee ein, denn die aus der Freiheit des Menschen folgenden moralischen Übel schließen jede Rechtfertigung aus. Hier tritt der Tod auf den Plan: Er beendet das böse Handeln eines Individuums und gibt zugleich die Chance zu einem Neuanfang, indem das Leben der endlichen Person in Gott präsent sei und Gott auch die Möglichkeit zu einer Wiederverkörperung (Auferstehung) in einer erlösten Welt habe, in der Böses zwar naturgesetzlich noch möglich sei, aber nicht mehr ausgeübt würde; hier könne Versöhnung und damit Erlösung auch allen vergangenen Leids gedacht werden (68 f.).
Der »Stachel des Theodizee-Problems« (71) ist damit aber m. E. nicht beseitigt. Warum, so ließe sich fragen, können die endlichen, menschlichen Wesen erst durch Tod und Auferstehung in einer besseren Welt, die doch auch möglich sein soll, zu moralischen Wesen geläutert werden? Eine Auseinandersetzung mit Kants Widerlegung aller Versuche in der Theodizee wäre an dieser Stelle klärend gewesen. T.’ existentielles Plädoyer für den Theismus wird ohnehin nur den überzeugen können, der schon glaubt. Mit Hebr 11,1: Ἔστιν δὲ πίστις ἐλπιζομένων ὑπόστασις, πραγμάτων ἔλεγχος οὐ βλεπομένων. Wer hier Zweifel behält – auch an der Sinnhaftigkeit der Alternative von Naturalismus und Theismus –, wird wohl doch mit Albert Camus (76) sich auch ohne die Hoffnung auf völlige Erlösung gegen das Leiden auflehnen oder die Hoffnung innerweltlich begründen, wie in Ernst Blochs Adaption der Reich-Gottes-Theologie.
In jedem Fall aber handelt es sich um einen fulminant geschriebenen, lesenswerten Essay.