Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Oktober/2016

Spalte:

1138–1140

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Stuflesser, Martin [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Fundamentaltheologie des Sakramentalen. Eine Auseinandersetzung mit Louis-Marie Chauvets ›Symbol und Sakrament‹.

Verlag:

Regensburg: Verlag Friedrich Pustet 2015. 220 S. = Theologie der Liturgie, 9. Kart. EUR 29,95. ISBN 978-3-7917-2735-6.

Rezensent:

Jörg Neijenhuis

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Chauvet, Louis-Marie: Symbol und Sakrament. Eine sakramentale Relecture der christlichen Existenz. Übers. v. Th. Fries. Regensburg: Verlag Friedrich Pustet 2015. 527 S. = Theologie der Liturgie, 8. Kart. EUR 54,00. ISBN 978-3-7917-2670-0.


Das erstmals 1987 auf Französisch erschienene Werk von Louis-Marie Chauvet hat innerhalb der römisch-katholischen Kirche und der Theologie international eine außerordentliche Beachtung gefunden, weil es auf die Plausibilitätskrise der bislang metaphysisch grundierten Sakramententheologie reagierte. Nachdem es zunächst zusätzlich in englischer und italienischer Übersetzung zugänglich gemacht wurde, liegt nun seit 2015 auch eine den wissenschaftlichen Erfordernissen genügende Übersetzung in die deutsche Sprache vor. Obwohl die Originalausgabe bereits 1987 erschien, hat das Werk doch an Aktualität und Gewicht nichts verloren, weil C. sich als postmetaphysischer Theologe auf dem Hintergrund der Kritik an der klassischen Metaphysik durch Martin Heidegger mit der Sakramententheologie des Thomas von Aquin auseinandersetzt. C. fasst die Plausibilitätskrise in Worte, die die Sakramententheologie im 20. Jh. bedrängt. Diese Krise erörtert er auch im Gespräch mit zeitgenössischen Autoren, so z. B. mit Jacques Lacan, der Sigmund Freud neu gelesen hat, oder in Auseinandersetzung mit den Theorien von Jacques Derrida oder Paul Ricœur sowie mit dem phänomenologischen Denken von Maurice Merleau-Ponty usw., so dass eine interessante Auseinandersetzung mit den zeitgenössischen Geistesströmungen der Fundamentalontologie, der analytischen Sprachphilosophie, der Phänomenologie, des Strukturalismus, des Dekonstruktivismus, der Psychoanalyse etc. geführt wird. Ebenso findet eine intensive Auseinandersetzung mit entsprechenden Werken nicht nur französischer Theologen statt, wie z. B. Yves Congar, sondern z. B. auch mit Edward Schillebeeckx, Karl Rahner, Walter Kasper, Jürgen Moltmann, Eberhard Jüngel oder Karl Barth.
In die Mitte seines sakramententheologischen Gesamtentwurfs stellt C. seine Symboltheorie, mit der er nicht mehr ein essentialis­tisches Denken verfolgt, also ein Denken vom Wesen der Dinge her, sondern ein existentielles Denken, das die sakramentale Erfahrung in der christlichen Existenz zum Inhalt hat. Folglich erhalten die Sachverhalte der Sprache, der Leiblichkeit oder des Ritus großes Gewicht und prägen den Entwurf. Als »Symbol« definiert C. die Vermittlung zwischen Gott und Mensch, die grundsätzlich sakramental zu verstehen ist.
Das umfangreiche Werk ist in vier Teile gegliedert: I. Vom Metaphysischen zum Symbolischen: Die Kritik an den onto-theologischen Voraussetzungen der klassischen Sakramentenlehre wird formuliert in Auseinandersetzung mit Heidegger, sowie mit der Philosophie und Psychoanalyse im Besonderen. Danach wird die Vermittlung zwischen Gott und Mensch als Symbol anhand der Sprache, des Leibes, der Rituale vorgestellt. II. Die Sakramente im symbolischen Netz des Glaubens der Kirche: Die Struktur der sakramental verstandenen christlichen Existenz wird zugrunde gelegt, um daraufhin die Beziehungen zwischen Hl. Schrift und Sakrament auch in der liturgischen Praxis, zwischen Sakrament und Ethik im Gottesdienst wie im Alltag auszuführen und die Funktionsweise des Symbols als Austausch zwischen Gott und Mensch darzustellen mithilfe des zweiten Hochgebets oder des Opferverständnisses. III. Symbolisierungshandlungen der christlichen Identität: Diese ereignen sich im Ritual wie in der Leiblichkeit des Menschen. Daran knüpft die Einsetzung der Eucharistie durch Jesus Christus als Einsetzung des Leibes Christi, verstanden als Kirche, an. Es werden die Glaubenssprache und die liturgische Sprache als spezifische Sprachspiele symbolischer Ausdrucksweisen erörtert und sie werden verknüpft mit der Frage, inwiefern der sakramentalen Gnade dennoch eine außersprachliche Wirklichkeit zugesprochen werden kann. IV. Sakramentenlehre und trinitarische Christologie: In Auseinandersetzung mit Thomas von Aquins Sakramentenlehre wird nicht nur seine onto-theologische Grundlegung kritisiert, sondern auch die bei ihm nur am Rande vorkommende Pneumatologie, weil die Christologie ganz im Vordergrund steht. C. setzt ein beim Pascha Christi und führt den Gedanken weiter mit dem pneumatologischen Pol der Sakramente als Gedächtnis im Heiligen Geist. Gott ist diskret gegenwärtig im Fleisch, im Leib durch den Heiligen Geist, was ein symbolischer Ausdruck ist. Der Leib Christi ist im­mer im Werden, wobei der Leib nicht nur den einzelnen Christen bezeichnet, sondern auch immer die Kirche.
Als Gegenprobe setzt sich C. mit der Nicht-Sakramentenlehre der Taufe bei Karl Barth auseinander. Er hält fest, dass Barth nicht zugleich das gnädige Handeln Gottes und das freie Handeln der Menschen ohne Konkurrenz oder Synergieverdacht denkt, weil er die Transzendenz Gottes in Gegensatz zum Menschen setzt. Gottheit und Menschheit werden getrennt und das Sakrament der Taufe kann demnach nicht als Sakrament verstanden werden, das den Leib Christi konstituiert. Denn nach C. wirkt das Wort Gottes nicht nur im und durch das Fleisch, sondern ist Fleisch.
Am Zusammenhang der Kritik an der klassischen Metaphysik und an der intensiven Beschäftigung mit der Psychoanalyse soll beispielhaft die besondere Denkungsart C.s aufgezeigt werden, wie er das essentielle Denken kritisiert und dem existentiellen Denken den Vorzug gibt. C. schließt sich Heideggers Kritik an der Metaphysik an, da die Differenz zwischen dem Sein und dem Seienden vergessen ist, denn das Seiende als das Seiende ist eben nicht das Sein selbst. Das Sein wird fälschlicherweise als Eigenschaft von Seiendem verstanden. Im Gefolge von Thomas von Aquin wird somit Gott als das höchste, absolute Seiende verstanden, als ens increatum und zugleich als causa prima. Dieses »Missverstehen« erklärt C. mit dem menschlichen Bedürfnis nach Verfügbarkeit und Objektivität, mit dem Wunsch, die Wahrheit zu beherrschen. Der so »missverstandene« Gott wird zur kausalistischen Grundperspektive, alles wird so zur Anwesenheit »gezwungen«. Mit diesem Denken erringen Menschen Selbstsicherheit. Das liegt im Analogie-Denken begründet, denn es wird nach dem Was des Seienden gefragt, das sich analog in der Welt zeigt. C. kritisiert hart: Das »ist eine utilitaristische Logik, die, aus Angst vor der Differenz, vor dem immer Offenen und schließlich vor dem Tod, das Sein auf seinen Vernunftgrund und damit auf sein Unwissen reduziert, das als Zement einer geschlossenen Totalität funktioniert.« (42) Darum setzt C. auf die Differenz und letztlich auf die von ihm favorisierte Mè-Ontologie statt auf eine Onto-Theologie. Das mè on (z. B. 1Kor 1,28) symbolisiert die Erkenntnis des Anderen und nicht die Metaphysik des wirklichen Seins. Die Mè-Ontologie ist im gekreuzigten Jesus begründet. Durch C.s Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse in Verbindung mit der Mè-Ontologie ergeben sich für die Interpretation des Kreuzestodes Jesu Überlegungen, die die Differenz und nicht die Analogie in die Mitte der Betrachtung stellen. Jesu Tod und der nicht mehr vorhandene Leib im Grab zeigen das Fehlen Gottes an, das es zu akzeptieren gilt. Das löst Trauer aus. Wenn die Trauer nicht akzeptiert wird, stellen sich drei nekrotische Versuchungen ein: Man errichtet ein geschlossenes System religiösen Wissens, das die Andersheit Gottes negieren muss, weil darin die Abwesenheit des Auferstandenen ebenso wenig Platz hat wie die Nicht-Beherrschbarkeit des Heiligen Geistes. Man nimmt Zuflucht zur sakramentalen Magie, um sich der Vergebung der Sünden oder Gnadenwirkung sicher zu sein. Man stellt einen erheblichen Moralismus auf, um auf Gott durch gute Werke Einfluss auszuüben, obwohl man zugleich sagt, dass das niemals möglich ist. So sind es »drei Weisen, aus ihm, dem ›Lebenden‹, einen toten Leib oder ein verfügbares Objekt zu machen.« (178, auch im Original kursiv) Letztendlich ist das menschlicher Größenwahn. Denn die Differenz (und das damit gesetzte offene System) macht deutlich, dass die Gegenwart Christi immer durch Abwesenheit als anwesende Abwesenheit gekennzeichnet ist. Diese unaufhebbare Differenz bezeichnet C. als Heiligen Geist, ebenso auch die Differenz, dass der ab-wesende Leib Christi in seiner Kirche anwesend ist. Er geht vom Anderen aus, den er nicht ontologisch, sondern in einem lebendigen Beziehungsgeschehen, eben existentiell, begreift, bis dahin, dass er vom Anderen, dem Unverfügbaren, her sagen kann: »Unmöglich zu verstehen, ohne verstanden zu werden.« (474)
Nach Erscheinen der deutschen Übersetzung von C.s Werk hat Martin Stuflesser als Herausgeber der Buchreihe zur »Theologie der Liturgie« ein Forschungskolloquium veranstaltet, das sich intensiv mit C.s Entwurf auseinandergesetzt hat. Der daraus entstandene, als Zweiter hier anzuzeigende Band enthält etwa ein Dutzend Beiträge, die sich mit der Rezeption von C.s Sakramententheologie, mit ihren philosophischen Grundlagen und mit den theologischen Anfragen an diesen Entwurf befassen. Abschließend werden Perspektiven entworfen, wie mit C. über ihn hinaus weitergedacht und an einer erneuerten, allgemeinen Sakramententheologie wei tergearbeitet werden könnte. Die Kritik an den Begriffen oder Zusammenhängen in C.s Werk fällt in den einzelnen Beiträgen recht deutlich aus. Der Symbolbegriff wird stark kritisiert und es wird gefragt, warum die Semiotik nicht stärker berücksichtigt wurde, gegen die sich C. abgrenzt. Ebenso deutlich wird auch C.s Kritik an der Metaphysik im Gefolge von Heidegger kritisiert. Ganz ohne Metaphysik kommt auch C. nicht aus, doch dass er diese ganz auf das Existentielle bezieht, erscheint doch fragwürdig. Weitere Anfragen oder Infragestellungen finden sich z. B. zu C.s Aussage, dass der Geburtsort der Bibel die liturgische Versammlung sei. Dies wird anhand historischer Belege bestritten und als falsch gekennzeichnet. In Thesenform wird gezeigt, wie für die römisch-katholische Theologie Sakramentenlehre und Liturgiewissenschaft wieder besser aufeinander bezogen werden können. Ein Ergebnis könnte sein, dass die Sakramente vom leiblichen Vollzug her verstanden werden, was eine neue Art von Metaphysik erfordern würde, die nicht statisch, sondern dynamisch als im Werden begriffen gedacht wird. Eine Würdigung erfahren seine Ausführungen zu Gabe als Austausch und zu Opfer und Anti-Opfer.
Trotz aller sicherlich berechtigten Kritik im Einzelnen wird doch von allen Autoren immer wieder für das gesamte Werk hervorgehoben, wie anregend und bereichernd C.s Buch zu lesen ist. Dem kann man nur zustimmen.